Keine Negativzinsen bei Vorfälligkeitsentschädigungen

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Vorbemerkung 

Das Oberlandesgericht Nürnberg hat mit Urteil vom 25. Juli 2023 (14 U 2764/22) die umstrittene Frage der Berechnung zur Vorfälligkeitsentschädigung mit negativen (fiktiven) Wiederanlagezinsen im Sinne der Verbraucher entschieden. Hiernach verwehrte das Oberlandesgericht Nürnberg dem Kreditinstitut, die Vorfälligkeitsentschädigung mit negativen Zinsen zu berechnen, da das Kreditinstitut andernfalls durch die vorzeitige Rückzahlung bessergestellt würde als im Falle einer Vertragserfüllung durch den Verbraucher als Darlehensnehmer. Jenes sei nach der Ansicht der Richter vom Oberlandesgericht Nürnberg mit dem Schadensersatzrecht nicht in Einklang zu bringen. Aufgrund dessen gestand das Oberlandesgericht dem Kläger einen bereicherungsrechtlichen Anspruch gemäß § 812 BGB auf Rückzahlung der Vorfälligkeitsentschädigung zu den angesetzten negativen Zinsen in Höhe von 2.600,93 Euro zu.

I. Einleitung

Seit die Europäische Zentralbank (EZB) im Juli 2022 infolge der Inflation die Zinswende eingeläutet hat, scheint das Thema „Negativzinsen“ an Brisanz verloren zu haben. Dennoch ist die oben angesprochene Entscheidung des Oberlandesgerichts Nürnberg für viele Verbraucher von erheblicher Bedeutung. Denn Verbraucher, die in den Jahren 2021 und 2022 eine Vorfälligkeitsentschädigung für Ihre vorzeitige Darlehenstilgung zahlen mussten, können diese Zahlungen überprüfen lassen und gegebenenfalls überhöhte Vorfälligkeitsentschädigungen anteilig heute noch zurückverlangen. Außerdem ist die Entscheidung rechtsdogmatisch sehr spannend, da sich die Richter aus Bayern insgesamt beherzt und kritisch mit der Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung auseinandergesetzt haben. Bemerkenswert ist, dass die vom Oberlandesgericht Nürnberg vertretene Ansicht eines Verstoßes gegen das Bereicherungsverbot von Kundenseite bereits längere Zeit vertreten wurde. Dies stieß allerdings in der übrigen Rechtsprechung zuweilen auf Ablehnung. So nahm beispielsweise das Oberlandesgericht Stuttgart an, dass eine Bank sehr wohl „das in den Negativbereich gesunkene Kapitalmarktzinsniveau […] zugrunde legen […]“ dürfe. Die hiesige Entscheidung des Oberlandesgerichts Nürnberg setzt mithin einer bankenfreundlichen Rechtsprechung – die wir leider so aus Deutschland kennen – nun eine hörbare Stimme entgegen und stellt sich deutlich gegen andere Auffassungen anderer Oberlandesgerichte. Daher hat es auch die Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zum BGH zugelassen. Der BGH muss nunmehr entscheiden, ob er dem Oberlandesgericht Nürnberg folgt oder sich der Ansicht des Oberlandesgerichts Stuttgart sowie des Hanseatischen Oberlandesgerichts anschließt.

II. Sachverhalt der Entscheidung des Oberlandesgerichts Nürnberg

Ein klagender Darlehensnehmer schloss im April 2009 mit einem Kreditinstitut einen  Immobiliendarlehensvertrag über 350.000 Euro. Im Juni 2014 prolongierte der klägerische Darlehensnehmer den Kredit bis zum Frühling 2024. Im Mai 2021 wollte der Kläger das Darlehen vorzeitig zurückzahlen. Das beklagte Kreditinstitut verlangte am 9. Mai 2021 eine Vorfälligkeitsentschädigung in Höhe von 33.318 Euro sowie Kosten (Institutsaufwand) in Höhe von 150 Euro. Die beklagte Bank berechnete die Vorfälligkeitsentschädigung nach der sogenannten Aktiv-Passiv- Methode. Das bedeutet, dass der Kunde die Differenz zwischen den ursprünglich geschuldeten Zinsen und der Rendite, die sich für die darlehensgebende Bank aus der sicheren Wiederanlage am Kapitalmarkt ergibt, auszugleichen hat. Diese fiktive Wiederanlagerendite in sichere Kapitalmarkttitel war zum Zeitpunkt Mai 2021 negativ, so dass in den Gesamtbetrag der Vorfälligkeitsentschädigung in Höhe von 33.318 Euro ein Negativzins von 2.601 Euro mit eingerechnet wurde.

Die Aktiv-Aktiv-Methode kam hier nicht zur Anwendung. Die Aktiv-Aktiv-Methode geht von der Prämisse aus, dass die vorzeitig zurückgewährte Darlehensvaluta als festverzinslicher Grundpfandkredit bis zum Ende des rechtlich relevanten Zinsraums neu ausgereicht wird.

Das Oberlandesgericht Nürnberg gelangte zur Auffassung, dass die Anwendung der Aktiv-Passiv-Methode den Kunden in diesem Fall benachteiligt und er daher den mit der Vorfälligkeitsentschädigung abgegoltenen Negativanteil von der Bank zurückfordern kann.

III. Entscheidung des Oberlandesgerichts Nürnberg sowie die gegenteilige Auffassung des Oberlandesgerichts Stuttgart

1. Grundsätzliche Voraussetzungen einer Vorfälligkeitsentschädigung

Nach § 490 Abs. 2 S. 1 BGB können Darlehensnehmer einen Darlehensvertrag, bei dem der Sollzins fest vereinbart und das Darlehen durch ein Grundpfandrecht gesichert ist, unter Einhaltung der Fristen des § 488 Abs. 3 S. 2 BGB vorzeitig kündigen, wenn ihre berechtigten Interessen dies gebieten und seit dem vollständigen Empfang des Darlehens sechs Monate abgelaufen sind. Das berechtigte Interesse ist in aller Regel beim Verkauf einer Immobilie, zu deren Anschaffung das Darlehen aufgenommen wurde, gegeben, aber auch bei Ehescheidung, Krankheit, Arbeitslosigkeit, Umzug und anderem.

Nicht ausreichend als Kündigungsgrund ist dem gegenüber beispielsweise die Möglichkeit einer zinsgünstigen Umschuldung. An die Stelle des von der Rechtsprechung entwickelten Anspruchs auf Vertragsauflösung tritt nunmehr nach § 490 Abs. 2 BGB ein Kündigungsrecht, und zwar ein außerordentliches Kündigungsrecht als Gestaltungsrecht. Es bedarf keiner Kulanz des Darlehensgebers, was teilweise von den Kreditinstituten irrtümlich angenommen wird. Vielmehr handelt es sich um ein einseitiges Recht des Darlehensnehmers. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass das Amtsgericht München bereits in einem Urteil vom 10. September 2014 entschieden hat, dass eine Bank den Kunden sogar arglistig täuscht, wenn sie den Eindruck einer Zustimmungsbedürftigkeit der Kündigung eines Darlehensvertrages erweckt. Der Kunde ist also aus den genannten Gründen berechtigt, das Darlehen zu kündigen, ohne die Bank zu fragen. Die Bank darf aber im Gegenzug eine sogenannte Vorfälligkeitsentschädigung verlangen.

Die Vorfälligkeitsentschädigung ist nicht mit dem Vorfälligkeitsentgelt zu verwechseln. Das Vorfälligkeitsentgelt kann vom Kreditinstitut nur dann verlangt werden, wenn die Voraussetzung der Kündigung des § 490 Abs. 2 BGB fehlt und der/die Darlehensnehmer aus Kulanz aus dem Darlehensvertrag entlassen wird. Dann kann ein Vorfälligkeitsentgelt vereinbart werden, dessen Höhe keiner Angemessenheitskontrolle unterliegt, sondern in den Grenzen des § 138 BGB frei und rechtswirksam aushandelbar ist.

2. Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart (bankenfreundlich)

Das Oberlandesgericht Stuttgart ist bei der Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung der Ansicht, dass die Berechnung nach der Aktiv-Passiv-Methode zulässig ist, dass die Kreditinstitute negative Zinsen berücksichtigen dürfen und dies in die Vorfälligkeitsentschädigung einrechnen können. Denn nach dem Verständnis des Oberlandesgerichts Stuttgart ist in der Vorfälligkeitsentschädigung sowohl ein Zinsmargen- als auch ein Zinsverschlechterungsschaden auszugleichen. Der Zinsverschlechterungsschaden ist der Nachteil in Höhe der Differenz zwischen dem Vertragszins und dem Wiederausleihzins. Daher dürfen nach der Vorstellung von den Richter aus Stuttgart auch Negativzinsen in die Vorfälligkeitsentschädigung eingerechnet und zugrunde gelegt werden, die die Bank zahlen müsste, wenn sie das zurückgezahlte Geld nicht neu gegen Zinsertrag ausleiht.

Der Umfang eines Schadensersatzes fußt auch auf dem Grundsatz, so die Richterinnen vom Oberlandesgericht Stuttgart, dass der Geschädigte durch den Schadensersatz nicht bessergestellt werden solle, als er ohne das schädigende Ereignis stünde.

3. Entscheidung des Oberlandesgerichts Nürnberg

In seiner hier angesprochenen Entscheidung vertritt das Oberlandesgericht Nürnberg exakt die gegensätzliche Auffassung und argumentiert, dass Darlehensnehmer dem Darlehensgeber im Rahmen der Vorfälligkeitsentschädigung keine negativen Zinsen schul-den. Dies würde sich bereits aus einem Vergleich der Aktiv-Passiv- und Aktiv-Aktiv-Methode ergeben. Zwar habe der Darlehensgeber bei der Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung die Wahl zwischen Aktiv-Passiv- und Aktiv-Aktiv- Methode und ausgehen davon könne der Kreditgeber, so die Richter vom Oberlandesgericht Nürnberg, den Zinsverschlechterungsschaden und kumulativ den Zinsmargenschaden auch geltend

machen. Den Zinsbegriff im Rechtssinne habe jedoch eine definitorische Untergrenze von Null Prozent.

So können die Darlehensnehmer bei Anwendung der Aktiv-Aktiv-Methode keine negativen Zinsen schulden. Aktiv-Aktiv- und Aktiv-Passiv-Methode fußen allerdings beide, so das Oberlandesgericht Nürnberg, auf § 490 BGB. Folglich schulden die Darlehensnehmer dem Darlehensgeber auch bei Anwendung der Aktiv-Passiv-Methode keine negativen Zinsen.

IV. Konsequenzen für Verbraucher

In der Praxis bietet die Entscheidung des OLG Nürnberg die Grundlage dafür, Vorfälligkeitsentschädigungen, welche in den Jahren 2021 und 2022 gezahlt wurden, zu überprüfen und gegebenenfalls zu hoch verlangte Vorfälligkeitsentschädigungen zurückzuverlangen.

Allerdings hat der BGH das letzte Wort hierzu noch nicht gesprochen. Es spricht allerdings einiges dafür, dass er nach der Revisionszulassung die Entscheidung des Oberlandesgerichts Nürnberg bestätigen wird. Denn er hat bereits entschieden, dass dem Zinsbegriff im Rechtssinne eine definitorische Untergrenze von Null Prozent immanent ist und daher keine negativen Zinsen geschuldet werden können.

Darlehensnehmer, die Vorfälligkeitsentschädigungen zurückfordern möchten, sollten auf die Verjährung achten und daher eventuell nicht bis zu einer Entscheidung des BGH warten. Ein Bereicherungsanspruch verjährt gemäß § 199 Abs. 1 BGB in drei Jahren, wobei die Verjährung mit dem Schluss des Jahres beginnt, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den anspruchsbegründeten Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt hat. Nicht erforderlich ist in diesem Zusammenhang, dass der Gläubiger den Vorgang rechtlich zutreffend beurteilt. Wenn man sichergehen will, geht man davon aus, dass die Verjährung in dem Jahr zu laufen beginnt, in dem die Vorfälligkeitsentschädigung gezahlt wurde. Es spricht aber auch viel dafür, dass sie erst im Jahr der Überprüfung zu laufen beginnt, wenn der Kunde vorher nämlich nicht wusste, dass Negativzinsen berücksichtigt wurden. Auch stellt sich die Frage, ob eventuell aufgrund einer unklaren Rechtslage die Verjährung erst nach einer möglichen Entscheidung des BGHs beginnt. Diese unsichere Rechtslage könnte dann mit einem Urteil des BGH im hier angesprochenen Verfahren in der Revision enden. Verbraucher, die sichergehen wollen, sollten allerdings Ansprüche beziehungsweise Vorfälligkeitsentschädigungen aus dem Jahre 2021 dieses Jahr überprüfen und notfalls verjährungshemmende Maßnahmen zum 31. Dezember 2024 ergreifen.



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