Kenntnis von Überstunden ist mit Duldung gleichzusetzen

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Sofern ein Arbeitgeber angibt, dass sämtliche Führungskräfte bei ihm unentgeltliche Mehrarbeit leisten würden, so folgt schon daraus, dass der AG diese Mehrarbeit duldet. Der arbeitsvertragliche Anspruch auf Bezahlung der Mehrarbeit wird nicht allein deshalb gegenstandslos, weil sämtliche Führungskräfte unentgeltliche Mehrarbeit leisten.

Zur Sache:

Die Beklagte unterhält ein größeres Fuhrunternehmen. Der Kläger war vom 9.6.2015 bis zum 15.7.2016 bei der Beklagten als Leiter Technik/Fuhrpark angestellt. In seinem Arbeitsvertrag war u. a. festgehalten, dass geleistete Überstunden binnen zwölf Kalendermonaten, sei es durch bezahlte Freistellung, sei es durch Zahlung des Mindestlohns nach dem Mindestlohngesetz, ausgeglichen werden müssen. In den ersten drei Wochen des Arbeitsverhältnisses wurde die Arbeitszeit automatisch mit einem Chip erfasst.

Schließlich kündigte der Kläger sein Arbeitsverhältnis zum 15.7.2016 und forderte die Bezahlung seiner Überstunden. Da die Beklagte dem nicht entsprach, erhob er vor dem Arbeitsgericht Klage auf Zahlung von 4.549,62 Euro für 535,25 geleistete Überstunden auf der Basis einer 45-Stundenwoche. Hierzu reichte er eine Auflistung der jeweiligen Arbeitstage mit Arbeitsbeginn und Arbeitsende ein.

Die Klage war vor dem Arbeitsgericht erfolglos. Die hiergegen eingelegte Berufung des Klägers hatte vor dem LAG ganz überwiegenden Erfolg.

Gründe:

Der Kläger kann von der Beklagten die Zahlung von 4.498,63 Euro wegen 529,25 (anstatt 535,25) geleisteter Überstunden verlangen.

Nach ständiger Rechtsprechung des BAG ist es bei Überstundenklagen ausreichend, wenn der Arbeitnehmer auf der ersten Stufe, sofern er für jeden Tag im Einzelnen darlegt, von wann bis wann er gearbeitet hat. Dies hat der Kläger im vorliegenden Fall getan. In einem zweiten Schritt muss der Arbeitnehmer angeben, inwiefern der Arbeitgeber die Leistung von Überstunden veranlasst hat oder diese ihm zumindest zuzurechnen sind. Die geleisteten Überstunden müssen dazu entweder angeordnet, gebilligt, geduldet oder jedenfalls zur Erledigung der geschuldeten Arbeit erforderlich gewesen sein. Eine Duldung der Überstunden wird für den Fall angenommen, dass der Arbeitgeber in Kenntnis der Überstunden diese hinnimmt und nichts unternimmt, um diese künftig zu unterbinden. Die Überstunden also quasi in Kenntnis derselben als Arbeitsleistung entgegennimmt ohne zu widersprechen.

Da in Deutschland fast 50 Prozent der geleisteten Überstunden weder bezahlt noch durch Freizeit ausgeglichen werden, bestehen Zweifel, ob dieser rigiden Rechtsprechung des BAG bezüglich des zweiten Schritts der Darlegung der Zurechnung der Überstunden zum Arbeitgeber zu folgen ist, denn der Arbeitgeber ist regelmäßig "Herr im eigenen Betrieb". Setzt er seine Betriebsorganisation nicht dazu sein, Überstunden zu vermeiden, dann gibt er zu erkennen, dass es ihm egal ist.

Diese Zweifel können sind jedoch vorliegend ohne Belang, da auch nach den entwickelten Grundsätzen des BAG der Kläger im Streitfall die Zahlung seiner Überstunden verlangen kann. Im vorliegenden Fall existiert eine arbeitsvertragliche Überstundenvergütungsregelung. Daher kommt § 612 BGB nicht zur Anwendung und die Frage, ob der Kläger die Vergütung erwarten durfte, stellt sich gar nicht erst. Dieser Anspruch wird auch nicht etwa dadurch gegenstandlos, dass – wie im Streitfall wie von der Beklagten behauptet – alle Führungskräfte unbezahlte Mehrarbeit leisteten, denn die Hinnahme eines rechtswidrigen Zustands anderer Arbeitnehmer, wirkt sich nicht auf den Anspruch eines einzelnen Betroffenen aus.  

Entgegen der Auffassung des ArbG hat die Beklagte die Überstunden auch geduldet. Bereits aus der Behauptung der Beklagten, sämtliche Führungskräfte würden bei ihr Mehrarbeit leisten, folgt die Kenntnis der Beklagten über die Mehrarbeit.

Quelle: LAG Berlin-Brandenburg online



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