Langer Zeitablauf muss nicht berücksichtigt werden in der Strafzumessung beim Kindesmissbrauch

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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hatte sich am 10.05.2016 (Az. 1 ARs 5/16) mit der Frage zu beschäftigen, ob ein hoher zeitlicher Abstand zwischen dem sexuellen Missbrauch eines Kindes und des ergangenen Strafantrags im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen ist.

Der 3. Strafsenat hat nämlich einen Revisionsantrag vorliegend, wo der Vater die damals fünfjährige Tochter sexuell missbraucht hat. Während der Taten erklärte er seiner Tochter damals, dies gehöre zu einer Vater-Tochter-Beziehung dazu und wenn sie eine gute Tochter sein möchte, müsse sie mitmachen. Darüber hinaus forderte er sie zur Geheimhaltung der Geschehnisse auf, da ihm sonst Gefängnis drohe.

Das Tatgericht verurteilte den Täter zu drei Jahre und drei Monate Freiheitsstrafe und bemerkte zwar, dass zwischen den Taten und dem Strafantrag ein Zeitablauf von mehr als 20 Jahren liegt, berücksichtigte dies jedoch mit der Begründung der gesetzlichen Wertung aus § 78b StGB nicht in der Strafzumessung.

Der anfragende Senat sieht hierbei eine ungerechtfertigte Vermischung von Aspekten der Strafmessung mit solchen der Verjährung und beabsichtigt daher, zu entscheiden, dass dem zeitlichen Abstand in sexuellen Missbrauchsfällen bei Kindern die gleiche Bedeutung zukommt, wie auch bei anderen Straftaten.

Allerdings hindert ihn hierbei die entgegenstehende Rechtsprechung des 1.Strafsenats (Beschluss vom 08.02.2016 – 1 StR 7/06).

Dieser hat bereits damals entschieden, dass da, wo ein Kind vom im selben Familienverband lebenden Vater missbraucht werde, dieses oft erst im Erwachsenenalter die Kraft zu einer Aufarbeitung der Geschehnisse mithilfe einer Strafanzeige findet.

Diese Besonderheiten solcher Fälle müsse hinreichend berücksichtigt werden und ein langer Zeitablauf könne hier daher nicht genauso gehandhabt werden, wie bei anderen Delikten.

Diese Ansicht würde durch die gesetzliche Wertung des § 78 Abs.1 Nr.1 StGB untermauert werden. Der Gesetzgeber hat dabei zum Ausdruck gebracht, dass die Taten im Sinne der §§ 176 bis 179 StGB tatsächlich oft erst nach viele Jahre bekannt werden und ein solcher Umstand deren Verfolgungswürdigkeit nicht mindert.

Zwar ist es richtig, dass die Verjährungsvorschriften eine andere Zielrichtung als die Strafzumessung haben, allerdings sind auch diese grundsätzlich an der Frage des Erfordernisses von Strafe trotz Zeitablaufs orientiert. Dieser Umstand des Zeitablaufs versteckt unter dem Begriff der Verjährung zeigt deutlich, dass die Rechtsordnung ein Strafbedürfnis gegenüber dem Täter infolge einer hohen Zeitspanne zwischen Tat und Urteil in manchen Fällen verneint. Durch die Staffelung nach der Schwere der Delikte in § 78 Abs.3 StGB ist erkennbar, dass die Verjährung/der Zeitablauf nicht stets gleich auf alle Delikte und unabhängig von Einzelfallumstände zu bemessen ist. Gleiches gilt auch für den Zeitablauf als Strafzumessungsfaktor. Die strafzumessungserheblichen Umstände sind vom Tatgericht zu werten und zu gewichten und sollte dieser hierfür auf die gesetzgeberischen Wertungen der Verjährungsvorschriften zurückgreifen, so ist dies keine Minderung von Strafzumessungsgründen sondern vielmehr eine Aufwertung dieser.

Es ist deshalb revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Tatgericht bei der ihm obliegenden Gewichtung eines Strafzumessungsfaktors die Gesichtspunkte der gesetzgeberischen Wertung bei den Verjährungsregelungen miteinbezieht und zu dem Ergebnis kommt, dass ein langer Zeitablauf im vorliegenden Fall keine Berücksichtigung findet.

Einzig darf dabei nicht außer Acht gelassen werden, dass die strafmildernde Wirkung durch einen langen Zeitablauf auf einer geminderten Notwendigkeit von Sühne beruhen muss. Es ist daher stets auf den Einzelfall und gegebenenfalls auf die persönlichen Umstände des Täters abzustellen. Eine Pauschalisierung dieses Strafzumessungsfaktors ist nicht möglich.

Damit widerspricht die Auffassung des 3. Strafsenats der bestehenden Rechtsprechung des 1. Strafsenats.


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