Medizinischer Standard/Aufklärung/Einwilligung bei der Corona-Schutzimpfung von Kindern u. Jugendlichen

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Zum aktuellen  medizinische Standard,  zur  ärztlichen Aufklärung und  ordnungsgemäßen Einwilligung bei der Corona-Schutzimpfung von Kindern und Jugendlichen



1.  Wer legt den sogenannten „medizinischen Standard“ bei Impfungen fest?

Die Empfehlungen der STIKO gelten als medizinischer Standard.

Die STIKO (ständige Impfkommission) ist ein beim Robert-Koch-Institut ansässiges unabhängiges Expertengremium, das 1972 beim damaligen Bundesgesundheitsamt eingerichtet und in § 20 II 3 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) 2001 gesetzlich verankert wurde.

Seit 2007 sind die von der STIKO empfohlenen Impfungen gemäß § 20i I SGB V Grundlage für die Schutzimpfungsrichtlinie (SI-RL) des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) und werden mit der Aufnahme in die SI-RL Pflichtleistung in der gesetzlichen Krankenkasse (GKV) in Deutschland.


Die STIKO hat nun ganz aktuell am 24.05.2022 Ihre Empfehlungen für die Impfungen gegen Covid 19 bei 5-11-jährigen Kinder geändert. Demnach sollen jetzt alle 5-11-jährigen Kinder geimpft werden, unabhängig von ihrer Vorerkrankung. Als Grund wird angegeben, dass es notwendig sei, eine gute Basisimmunität als Vorsorge für die zukünftigen infektionsquellen aufzubauen.  


Zuletzt hatte die STIKO Änderungen im April 2022 vorgenommen. Hier wurde in der Empfehlung noch unterschieden zwischen Kindern mit und ohne Vorerkrankung. Während für Kinder zwischen 5 und 11 mit Vorerkrankung eine klare Impfempfehlung vorlag, war dies für die gleiche Altersgruppe ohne Vorerkrankung nicht der Fall. Diese sollten nur nach ärztlicher Aufklärung geimpft werden, sofern ein individueller Wunsch der Kinder und der Sorgeberechtigten Eltern bestand.


Für 12-17-jährige Kinder und Jugendliche bestand schon lange die Empfehlung zur Auffrischimpfung.



2. Warum muss der Arzt bei der Impfung aufklären? 


Nach juristischer Auffassung ist jeder Heileingriff ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit, im Sinne des § 823 BGB, der  nicht von einem Rechtfertigungsgrund legitimiert sind. Als Rechtfertigungsgründe können die (mutmaßliche) Einwilligung und der rechtfertigende Notstand nach § 34 StGB herangezogen werden.

Auch die Impfung stellt einen sog. Heileingriff dar, zu der der Patient nach entsprechender Aufklärung einwilligen muss.


Eine wirksame Einwilligung ist dem Patienten nur möglich, wenn er zuvor ordnungsgemäß aufgeklärt worden ist. Die Aufklärung hat grundsätzlich mündlich durch einen Arzt vorgenommen zu werden.

Eine Delegation an nichtärztliches Personal ist nicht statthaft (vgl. BGH NJW 1974, 604).

Der Arzt hat also grundsätzlich differenziert nach dem Lebensalter des Kindes eine ausführliche Aufklärung zu den Impfrisiken vorzunehmen, da nur dann eine rechtswirksame Einwilligung zur Impfung vorliegt.


Worüber hat der Arzt nun bei einer Impfung aufzuklären und wo findet man die entsprechenden Vorgaben ?


Im Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten (Patientenrechtegesetz/ Art. 1 GG, § 630 e BGB) sind im Jahr 2013 die konkreten Aufklärungspflichten des behandelnden Arztes gegenüber dem Patienten bzw. der zu impfenden Person neu geregelt worden.

Nach den Empfehlungen der STIKO sollte die Aufklärung bei Impfungen aller Art folgendes erfassen:

  • Informationen über die zu verhütende Krankheit und deren Behandlungsmöglichkeit
  • Informationen über den Nutzen der Impfung, die Kontraindikationen, Durchführung der Impfung, mögliche unerwünschte Arzneimittelwirkungen und die Impfkomplikationen
  • Informationen über die Notwendigkeit und die Termine von Folge- und Auffrischimpfungen


Für die Aufklärung bei Impfungen von Kindern und Jugendlichen im Rahmen der kassenärztlichen Versorgung bestehen außerdem die folgenden Rechtsvorschriften:

  • die Schutzimpfungs- Richtlinie
  • ggf. Impfvereinbarungen der Länder


In der Schutzimpfungs-Richtlinie finden sich konkrete Anweisungen in § 7.



§ 7 der Schutzimpfungs-Richtlinie lautet wie folgt: [FK1]


Vor einer Schutzimpfung hat die impfende Ärztin oder der impfende Arzt den Impfling bzw. die Erziehungsberechtigten über die zu verhütende Krankheit und die Impfung aufzuklären. Die Aufklärung umfasst insbesondere

  1. Informationen über den Nutzen der Impfung und die zu verhütende Krankheit
  2. Hinweise auf mögliche Nebenwirkungen, Komplikationen und Kontraindikationen
  3. Empfehlungen über Verhaltensmaßnahmen im Anschluss an die Impfung
  4. Informationen über Beginn und Dauer der Schutzimpfung
  5. Hinweise zu Auffrischimpfungen


Um allen Anforderungen an eine ordnungsgemäße mündliche Aufklärung zu genügen wird die Verwendung von Merkblättern empfohlen, z.B.:



3. Was setzt nun eine rechtswirksame Einwilligung voraus? 

Nach § 630d BGB (Patientenrechtegesetz) ist nach der Aufklärung die Einwilligung durch den Impfwilligen bzw. dessen Sorgeberechtigten erforderlich

Laut BGH–Urteil (vom 15.2.2000, VI ZR 48/99, NJW 2000, 1784-1788) und dem Patientenrechtegesetz ist in den überwiegenden Fällen die mündliche Einwilligung ausreichend. Dem Arzt wird indes empfohlen, die Aufklärung und die Einwilligung zu dokumentieren.


Bei minderjährigen Kindern und Jugendlichen sind  folgende Unterscheidungen nach medizinrechtlichen bzw. nach familienrechtlichen Grundsätzen zu treffen.


Aus der Perspektive des Arztes gilt folgendes:


  1. Impfung von Minderjährigen ohne die Anwesenheit der Eltern (z.B. in Schulen)

Hier ist zwingend die schriftliche Einwilligung der Sorgeberechtigten erforderlich. Es genügt die Einwilligung eines Elternteils aus Ärztesicht. Der Arzt kann in der Regel darauf vertrauen, dass der andere Elternteil ebenfalls zustimmt (BGH, Urteil vom 15.2.2000, VI ZR 48/99, NJW 2000, 1784-1788). Nur wenn Anhaltspunkte bestehen, oder dem Arzt bekannt ist, dass ein Elternteil etwas gegen die Impfung einzuwenden hat, oder diese ablehnt, dann muss er die Zustimmung des anderen Elternteils einholen. Ein generelles Nachforschen ist für den Arzt indes nicht erforderlich.


  1. Impfung von Minderjährigen mit Anwesenheit nur eines Elternteils

Hier kann mündlich durch den einen Elternteil eingewilligt werden. Der Arzt darf auch hier darauf vertrauen, dass der andere Elternteil zustimmt.


  1. Jugendliche

Nach allgemeinem Konsens können Jugendliche bei altersentsprechender geistiger Entwicklung beziehungsweise, wenn sie die erforderliche Einsichts- und Entscheidungsfähigkeit besitzen, d.h. in der Regel ab dem 16. Lebensjahr, selbst entscheiden.



Aus der Perspektive der Eltern ist allerdings folgendes zu beachten:


Die Gesundheitsfürsorge ist Teil des Sorgerechts.


Die Gesundheitsentscheidung bei gemeinsamer elterlicher Sorge ist je nach Umfang der Tragweite des Heileingriffs von beiden Elternteilen gemeinsam zu treffen, oder kann von dem Elternteil, in dessen Obhut sich das Kind befindet allein getroffen werden.


Grundsätzlich ist zwar dasjenige Elternteil befugt, in dessen Obhut sich das minderjährige Kind befindet, alle Angelegenheiten des alltäglichen Lebens allein zu entscheiden. Dies gilt allerdings nur in medizinischen Fragen, soweit es sich um Routinemaßnahmen (medizinische Vorsorgeuntersuchungen, zahnärztliche Vorsorge), oder um absolute Notsituationen (Wundversorgung, Knochenbrüche) handelt, in denen eine sofortige Entscheidung keinen Aufschub duldet.


Die Impfentscheidung stellt nach herrschender Meinung in Literatur und Rechtsprechung eine sogenannte Angelegenheit von erheblicher Bedeutung dar.


Dies haben verschiedene Gerichte inzwischen recht einheitlich entschieden.


Der Arzt benötigt daher grundsätzlich die Einwilligung beider Eltern.


Ein Elternteil hat daher im Innenverhältnis zum anderen Elternteil die Obliegenheit die Zustimmung des anderen Elternteils einzuholen.


Verweigert nun ein Elternteil die Impfung muss der andere Elternteil, der die Impfung befürwortet, eine Entscheidung des Familiengerichts herbeiführen und dabei einen Antrag auf Teilsorgerechtsübertragung der Gesundheitsfürsorge/Impfentscheidung stellen. Das Familiengericht muss dann eine Entscheidung treffen, welchem Elternteil es die Teilsorge überträgt.


Diese Entscheidung orientiert sich wie allgemein in Sorgerechtsverfahren üblich am sog. Kindeswohl.


In Angelegenheiten der Gesundheitssorge ist derjenige Elternteil entscheidungsbefugt, der das für die Gesundheitssorge bessere Konzept verfolgt (so bereits BGH, Beschluss vom 9.11.2016, Az. XII ZB 298/15).


Das bessere Konzept verfolgt in der Regel derjenige Elternteil, der dem medizinischen Standard folgt. Dieser wird bei Impfungen bekanntlich durch die Empfehlungen der STIKO definiert, die ohnehin eine individuelle Prüfung der Impffähigkeit durch den Kinderarzt vorsehen. Daher hat auch der BGH (BGHZ 144,1 in FamRZ 2000, 809,811 und der BGH am 03.05.2017, XII ZB 157/16) entschieden, dass derjenige Elternteil besser geeignet ist, der die Impfung befürwortet, da der medizinische Standard die Impfempfehlung der STIKO ist.  



4. Ausblick

Spannend bleibt auch die Frage, ob die nachstehende Entscheidung auf europäischer Ebene noch weitere Konsequenzen der Rechtsprechung in Deutschland hervorruft.


Der Europäische Menschengerichtshof (EGMR - Urteil vom 8.4.2021 in der Sache Vavricka u.a../. Tschechische Republik) meint , dass die Impfpflicht nicht gegen Art 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privatlebens) verstößt.

Diese Entscheidung wurde von der Großen Kammer des Gerichts getroffen und kann nicht angefochten werden.

Das Urteil gibt die Möglichkeit für Staaten in Europa die Impfung für Kinder zur Pflicht zu machen.

Diese Entscheidung kann daher grundsätzlich auch in Deutschland eine Rolle spielen.

Es bleibt abzuwarten, ob und wie sich gegebenenfalls das Bundesverfassungsgericht dazu verhalten wird.


In praktischer Hinsicht ist festzuhalten, dass obwohl die Gesellschaft zur Impfung gegen Corona deutlich gespalten erscheint, jedenfalls kaum Teilsorgerechtsverfahren bei den Familiengerichten anhängig sind. Scheinbar sind sich die Eltern wohl selten uneinig.


Noch ein Tipp am Rande: 

Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung veröffentlicht Informationen für Eltern und Sorgeberechtigte. Dort finden sich Informationen, warum es wichtig sein kann, die Kinder und Jugendlichen zu impfen und welche konkreten Empfehlungen derzeit bestehen. Weitere Informationen findet man unter:





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Ariane von der Heyden-Karas


Rechtsanwältin

Fachanwältin für Medizinrecht- und Familienrecht




Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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