Neues zur Räum- und Streupflicht

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Bereits 1995 hat das Landgericht Konstanz mit Urteil vom 04.05.1995 – AZ: 2 O 305/94 ausgeführt:

„Es gehört zu den Gefahren des täglichen Lebens, dass im Winter bei Schnee Stürze mit Verletzungsfolgen passieren können, ohne dass ein Haftpflichtiger für die Schäden existiert. Es handelt sich um die Konkretisierung des allgemeinen Lebensrisikos, das jeder einzugehen hat, der bei Schnee und Schneefall am geschäftlichen Verkehr teilnehmen.“

In einer aktuellen Entscheidung vom 02.07.2019 (VI ZR 184/18) hat der BGH zum Umfang der Streupflicht auf den Parkplatz eines Lebensmittelmarktes Stellung genommen.

In dem entschiedenen Fall war es so, dass die Klagepartei ihr Fahrzeug kurz nach 8:00 Uhr im Dezember auf einem markierten Stellplatz eines großen Parkplatzes eines Supermarktes geparkt hatte. Beim Aussteigen aus dem Auto kam die Klagepartei auf einer vereisten glatten Fläche zwischen ihrem Fahrzeug und einem direkt daneben abgestellten Auto zum Sturz und verletzte sich. Der Parkplatz wurde nicht nur von Kunden genutzt, sondern auch von Anwohnern, sodass der Parkplatz nie frei von Fahrzeugen war. In der Nacht hatte eine entsprechend kalte Witterung mit Minusgraden geherrscht.

Der BGH hat hierzu ausgeführt, dass die Klagepartei bei der winterlichen Witterung mit Glättebildung und möglichen Eisflächen an feuchten und schattigen Stellen rechnen musste. Die Klagepartei hätte daher auch entsprechend vorsichtig und sorgfältig beim Aussteigen und beim Gang über den Parkplatz sein müssen.

Klarstellend führt der BGH aus, dass zunächst die Grundvoraussetzung für eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht wegen eines Verstoßes gegen die Räum- und Streupflicht ist, dass entweder allgemeine Glätte vorliegt, oder aber erkennbare Anhaltspunkte gegeben sind, die auf eine ernsthaft drohende Gefahr vereinzelter Eisflächen hindeutet. Im Prozess bezog die Klagepartei diese Erkennbarkeit und die daraus resultierenden Verhaltensanforderungen jedoch nicht auf sich, sondern auf den Supermarktbetreiber bzw. den Dienstleister, der vom Supermarktbetreiber mit dem Winterdienst auf dem Parkplatz beauftragt war.

Weiter wird ausgeführt, dass, wenn für den Verkehrssicherungspflichtigen eine Erforderlichkeit des Streuens wegen Glatteisbildung erkennbar ist, dies in gleicher Weise auch für den Verkehrsteilnehmer selbst gelten muss. Ein Verkehrsteilnehmer muss also eine Verkehrsfläche so hinnehmen, wie sie sich ihm erkennbar darbietet und sich auf die Verhältnisse einstellen.

Es wurden vom BGH auch Parallelen zu der Verkehrssicherungspflicht bei öffentlichen Parkplätzen gezogen, da es sich im entschiedenen Fall um einen sehr großen Parkplatz handelte und dieser auch in der Nacht von Anwohnern benutzt wurde. Entscheidend ist also, dass eine Vielzahl von Personen mit häufigem Wechsel die Verkehrsfläche nutzt. Selbst bei einer allgemeinen Glätte besteht keine uneingeschränkte Räum- und Streupflicht, die jede Gefährdung ausschließt. Dies liegt einfach daran, dass eine völlige Sicherheit weder möglich noch geschuldet ist. Jeder Verkehrsteilnehmer kann grundsätzlich nur die Sicherheit erwarten, die nach Treu und Glauben im Rahmen der berechtigten Erwartungen geschuldet ist. 

Letztendlich hat der BGH entschieden, dass ein Streuen nur im Rahmen des wirtschaftlich zumutbaren unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Verkehrssicherungspflichtigen gefordert werden kann. Dies bedeutet, dass, wenn bestimmte Bereiche nicht maschinell bearbeitet werden können (in dem entschiedenen Fall also die Bereiche zwischen den eng parkenden Autos in den Parkbuchten), ein Streuen per Hand in diesen Bereichen nicht zumutbar ist. Jeder Verkehrsteilnehmer muss vielmehr aufpassen und damit rechnen, dass teilweise auch nicht gestreute Flächen bis zum Geschäftseingang mit der gebotenen Sorgfalt von ihm selbst gemeistert werden müssen.

Jeder Nutzer von Parkplätzen muss mit Vertiefungen und Unebenheiten rechnen, in denen sich im Winter Nässe sammelt, sodass Eisflächen entstehen oder aber im Sommer Stolperflächen. Mit anderen Worten, man muss eben hinschauen, wo man hintritt.

Der Supermarktbetreiber war auch nicht verpflichtet, den Parkplatz über Nacht sperren zu lassen, damit die Anwohner keine Autos abstellen können und ein Räum- und Streudienst über Nacht auf dem gesamten Parkplatz möglich wäre. Eine völlige Sicherheit der Verkehrsteilnehmer ist weder möglich noch vom Verkehrssicherungspflichtigen geschuldet.

Zu beachten ist allerdings bei diesen Entscheidungen, dass es sich um Einzelfallentscheidungen handelt und nicht jede Entscheidung 1 zu 1 übertragbar ist.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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