Notwendiger Begründungsumfang bei der Anwendung von Erwachsenenstrafrecht auf Heranwachsende

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Nach § 105 JGG sind Straftaten Heranwachsender nach Jugendstrafrecht abzuurteilen, wenn es sich um eine Jugendverfehlung handelt oder eine Gesamtwürdigung von Täter und Tat ergibt, dass der Heranwachsende zum Tatzeitpunkt einem Jugendlichen gleichstand.

Während die typische Jugendverfehlung (§ 105 Abs. 1 Nr. 2 des Jugendgerichtsgesetzes) noch relativ leicht zu greifen ist, ist die insbesondere bei schwereren Straftaten erforderliche Würdigung von Täter und Tat schwer sauber zu begründen.

In der Praxis wird auf Heranwachsende meist das Jugendstrafrecht angewendet. Das liegt wohl berechtigterweise daran, dass die Angeklagten meist zum Tatzeitpunkt noch nicht einem Erwachsenen gleichzustellen waren.

Will das Gericht aber auf einen Heranwachsenden Erwachsenenstrafrecht anwenden, ist die Begründung zuweilen schwierig.

Einen solchen Fall hat der Bundesgerichtshof am 11.5.2021entschieden.

Der Fall des Bundesgerichtshofes (2 StR 443/20):

Der Angeklagte war zum Tatzeitpunkt 19 Jahre und 4 Monate alt. Das Landgericht Gera hat ihn wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und 3 Monaten verurteilt.

Dabei hat es das Erwachsenenstrafrecht angewendet.

Im Gegensatz zu seinen Mitangeklagten war der Angeklagte nicht nach der Tat geflohen, sondern hatte nach dem Eintreffen der Polizei sofort die Verantwortung für die Tat übernommen.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes

Der BGH hat das Urteil aufgehoben, weil die Begründung des LG Gera inhaltlich nicht nachvollziehbar und unvollständig war.

Zwar hatte der Angeklagte auf die Polizei gewartet und sofort die Verantwortung für die Tat übernommen, was zunächst für eine gewisse Reife gesprochen hätte. Aber dass sich der Angeklagte danach auf den Boden legt und weint, entspricht eher einem kindlichen Verhalten.

Das Landgericht hatte nur die schulischen und beruflichen Erfolge gewürdigt, aber die Misserfolge in Form einer abgebrochenen Ausbildung und einer Entlassung durch einen Arbeitgeber nicht gewürdigt. 

Auch hat das Landgericht Gera das Privatleben des Angeklagten und seine sozialen Kontakte nicht beleuchtet. 

Der BGH führt aus, dass das Urteil in diesem Punkte unvollständig sei, weil die vom Gesetz geforderte umfassende Würdigung von Täter und Tat weder erfolgt noch möglich sei.

Schlussfolgerung:

Die Anforderungen an die Begründung der Anwendung von Erwachsenenstrafrecht bei einem Heranwachsenden sind deshalb so hoch, weil wirklich alle Lebensumstände des Angeklagten gewürdigt werden müssen.


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