OLG Celle vs. KG Berlin und warum Kaiser Wilhelm II. nach über 120 Jahren den Coaching-Vertrag beeinflusst

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Ein Urteil des OLG Celle gibt Kunden von Coaching-Anbietern Möglichkeiten an die Hand, sich vom Vertrag zu lösen. Das Kammergericht Berlin sieht dies offensichtlich anders: Lesen Sie hier, warum das so ist und warum ein Gesetz von 1894 hier eine Rolle spielt. 

1. OLG Celle -FernUSG auch auf Unternehmer bzw. B2B anwendbar

Nach der Entscheidung des OLG Celle vom 01.03.2023, 3 U 85/22, ist das FernUSG auch auf Unternehmer und damit auch im B2B-Bereich anwendbar. Das OLG Celle sieht die Gesetzesbegründung des FernUSG aus dem Jahre 1975 durchaus. In dieser ist ausdrücklich vom Schutz der Verbraucher die Rede. Andererseits spreche das Gesetz selbst aber - mit Ausnahme der Vorschrift von § 3 Abs. 3 FernUSG - nicht explizit von einer Anwendbarkeit nur auf Verbraucher.  Letztlich hält das OLG Celle daraus ableitend im Ergebnis eine Einschränkung nur auf Verbraucher für nicht gegeben und begründet dies wie folgt: 

"Der Senat hält letzteres Verständnis für zutreffend (so auch Bülow in ders./Artz, Verbraucherkreditrecht, 10. Aufl., § 506 BGB Rn. 48). Ausschlaggebend hierfür ist, dass das Gesetz keine ausschließliche Anwendung auf Verbraucher vorsieht und auch eine teleologische Auslegung kein eindeutiges Ergebnis ergibt. Denn die Regelungen des FernUSG können in dem Kontext, in dem sie verabschiedet wurden, auch so verstanden werden, dass sie zum Schutz der Verbraucher getroffen wurden, sofern diese einen Fernunterrichtsvertrag abschließen, ohne Unternehmer auszuschließen; diese sollten gleichfalls von den getroffenen Regelungen profitieren. Soweit § 3 Abs. 3 FernUSG eine gesonderte Belehrung für Verbraucher vorsieht, ist dies nur der Umsetzung des Verbraucherschutzes geschuldet. Zudem sollte das FernUSG der "Enttäuschung der Bildungswilligkeit" vorbeugen und ging von einer erheblich höheren Schutzbedürftigkeit des Teilnehmers am Fernunterricht im Verhältnis zu demjenigen am Direktunterricht aus (BT-Drs. 7/4245, S. 12f.), stellte also nicht auf die Eigenschaft des Teilnehmers als Verbraucher ab."

Die Folge davon ist, dass ein Vertrag, der dem FernUSG sachlich unterfällt (Stichwort synchroner Unterricht) und bei dem der Anbieter keine Zulassung der Zentralstelle für Fernunterricht besitzt, nichtig ist. Die Folgen wären im Minimum, dass jedenfalls keine weiteren Zahlungen mehr erbracht werden müssten. Die Einzelheiten zu diesem Urteil können Sie hier nochmals nachlesen: 

Coaching-Vertrag kündigen? - Neues Urteil ermöglicht Ausstieg aus fast allen Verträgen ohne Kündigung (anwalt.de)

2. Kammergericht Berlin sieht das anders

Anders sieht das jetzt aber das Kammergericht Berlin. Dieses setzt sich mit der Entscheidung des OLG Celle dezidiert auseinander und leitet ebenfalls basierend auf der Gesetzesbegründung aus dem Jahre 1975 ab, dass dieses Gesetz aufgrund des vom Gesetzgeber verfolgten Zweckes eben nur auf Verbraucher Anwendung finden kann. Wenn das Gesetz den "Verbraucherschutz" als Grund für dieses Gesetz ansieht, dann kann sich ein Unternehmer nicht darauf berufen. 

Die Folge davon wäre, dass sich Unternehmer eben nicht auf die fehlende Zulassung des Anbieters für den konkreten Kurs berufen könnten und damit eine Nichtigkeit ausscheidet. 

3. Was hat Kaiser Wilhelm II. damit zu tun? 

Auch hier hilft ein Blick in die Gesetzesbegründung des FernUSG aus dem Jahre 1975. Dort heißt es auf S. 13: 

„Der Gesetzentwurf versucht, den genannten Defiziten Rechnung zu tragen und den Teilnehmer am Fernunterricht unter dem Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes zu sichern. In verfassungsrechtlicher Hinsicht stützt sich der Entwurf vornehmlich auf die Zuständigkeiten des Bundes für die Gesetzgebung auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts (Artikel 74 Nr. 1 GG) und des Rechts der Wirtschaft, insbesondere des Gewerberechts (Artikel 74 Nr. 11 GG). Er reiht sich ein in die übrigen Bemühungen zum Schutz der Verbraucher wie z. B. das Abzahlungsgesetz und die Regelung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, des Rechts der Reiseveranstalter oder der Immobilienmakler.“

Nachfolgend finden Sie den Link zur Gesetzesbegründung: 

https://dserver.bundestag.de/btd/07/042/0704245.pdf

Der Begriff des "Verbrauchers" wurde als Legaldefinition aber überhaupt erst im Jahre 2000 ins Gesetz eingeführt. Vorher gab es diesen Begriff als Verbraucher in Abgrenzung zum Unternehmer überhaupt nicht. Diese Abgrenzung gibt es erst seit dem Jahre 2000. Mit anderen Worten: Der Begriff des Verbrauchers im Jahre 1975 ist nicht gleichzusetzen mit dem Begriff des Verbrauchers im Jahre 2023. 

Warum ist das so? Nun hier kommt Kaiser Wilhelm II. ins Spiel. Wie oben ausgeführt, nimmt der Gesetzgeber ausdrücklich Bezug auf das Abzahlungsgesetz. Dabei handelt es sich um ein Gesetz, welches von Kaiser Wilhelm II per Verordnung vom 16. Mai 1894 in Kraft gesetzt wurde. Dieses wurde 1964, 1969 und 1974 überarbeitet und hatte eine Regelung, die seit 1894 unverändert war. In § 8 des "Gesetzes betreffend die Abzahlungsgeschäfte" heißt es: 

"Die Bestimmungen dieses Gesetzes finden keine Anwendung, wenn der Empfänger der Ware als Kaufmann in das Handelsregister eingetragen ist."

Mit anderen Worten - nach dem Abzahlungsgesetz, auf das sich die Gesetzesbegründung 1975 bezieht, gibt es gar keine generelle Ausnahme der Anwendbarkeit für Unternehmer, sondern nur soweit, wie das Unternehmen als Kaufmann im Handelsregister eingetragen ist. 

Konsequent zu Ende gedacht heißt das, dass ein eingetragener Kaufmann (e.K.) und auch ein Formkaufmann (z.B. GmbH, AG, KG etc.) sind nach der Historie des Gesetzes nicht auf den Schutz durch das FernUSG berufen können, alle anderen - nicht im Handelsregister eingetragenen Unternehmen schon.

4. Verhinderung unseriöser Angebote

Bemerkenswerterweise hat der Gesetzgeber die Gefahren des Fernunterrichtes bereits im Jahre 1975 gesehen. Ließt man nämlich die Gesetzesbegründung vollständig, so findet man auf S. 12 folgende Passage:

"Bei der Überprüfung von Fernlehrgängen durch die staatlichen Prüfstellen und in einer größeren Zahl von Gerichtsverfahren zum Fernunterricht wurden immer wieder Mängel erkennbar, die durch die bisherigen staatlichen und privaten Bemühungen um einen verbesserten Teilnehmerschutz nicht beseitigt werden konnten und die Ursache dafür sind, daß das Vertrauen der Interessenten insgesamt schwach bleibt. Als Mängel wurden vor allem festgestellt 

  • ein übertriebener, nicht an den Beratungswünschen der Interessenten ausgerichteter Einsatz von Abschlußvertretern; 
  • eine unzulängliche, falsche oder irreführende Information und Werbung; 
  • eine für den Teilnehmer nachteilige Vertragsgestaltung, bei der häufig ein dem Fernunterricht angemessenes Lösungsrecht nicht verwirklicht ist; 
  • Angebote von geringer methodischer und fachlicher Qualität, die nicht geeignet sind, das in der Werbung genannte Lehrgangsziel zu erreichen."

Nicht alle Anbieter von Coaching-Verträgen sind gleich und es gibt auch eine Reihe von wirklich seriösen Anbietern. Sie sollten sich jedoch einmal fragen, ob Ihnen einer oder mehrerer dieser Punkte im Zusammenhang mit Ihrem konkreten Vertrag bekannt vorkommt.

5. Nun muss es der Bundesgerichtshof richten

Die Entscheidung des OLG Celle ist nicht rechtskräftig, es wurde eine sog. Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Diese kann z.B. damit begründet werden, dass dieser Fall eine über den Fall hinausgehende Bedeutung hat oder aber der Vereinheitlichung der Rechtsprechung dient. Auch wenn es sich bei dem Hinweis aus Berlin nur um einen Hinweis, jedoch noch nicht um eine Entscheidung handelt, ist zu erwarten, dass das Kammergericht Berlin auch so wie angekündigt entscheiden wird, es sei denn das Verfahren wird ohne Entscheidung beendet. Dann gäbe es zwei divergierende Entscheidungen, was dazu führt, dass damit der Bundesgerichtshof die Beschwerde bezüglich des Verfahrens in Celle annehmen und das Kammergericht Berlin sogar die Revision zum Bundesgerichtshof zulassen müsste. 

In jedem Falle wird der Bundesgerichtshof hier nun ein Machtwort sprechen müssen.  Im Grunde ist es doch ganz einfach: Ich werde immer wieder gefragt, wie kann man denn "sowas unterschreiben". Es gibt in Deutschland kein Gesetz dagegen, für sehr hohes Honorar ein Coaching-Paket zu buchen. Das nennt sich Vertragsfreiheit. Hier muss der BGH nun eigentlich auf Basis des FernUSG, an dem die Zeit irgendwie vorbeigelaufen ist, klären, welche Zielgruppe von Coaching-Anbietern unter Berücksichtigung des Gesetzeszweckes schutzwürdig ist und welche nicht. Diesen Schutzbereich kann man mehr oder weniger weit fassen. Hier wird man die Entscheidung des BGH abwarten müssen. 

6. Was heißt das für Ihren konkreten Vertrag?

Bei Verträgen, die eindeutig in der Eigenschaft als Verbraucher abgeschlossen wurden, ändert sich im Grunde nichts. Ob eine Verbrauchereigenschaft vorliegt oder nicht, muss im Einzelfall geprüft werden. 

Bei Unternehmern, insbesondere juristischen Personen ist die Sache zumindest derzeit offen. Hier hängt die Anwendbarkeit des FernUSG von der Entscheidung des BGH ab. Wann diese getroffen wird, ist noch nicht absehbar. 

Im Grunde ist dieses Argument nur eines von vielen, welches im Rahmen solcher Vertragsverhältnisse geprüft werden muss und kein "Allheilmittel". Es wird daher bezüglich dieses Punktes eine gewisse Zeit lang Unsicherheit herrschen und es wird divergierende Entscheidungen geben. 

Wenn Sie wissen wollen, was es mit Ihrem konkreten Coaching-Vertrag auf sich hat, können Sie mich gern anrufen, mich über das unten stehende Formular kontaktieren oder Sie schreiben mir eine mail an marc.gericke@gericke-recht.de . Die Erstbewertung erfolgt kostenlos. 


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