Pflicht des Gerichts in einem Ausweisungsverfahren wegen der militärischen Invasion in der Ukraine (gilt für Tschechien)

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Das Verfassungsgericht hat mit seinem Urteil vom 14. 12. 2022, Aktenzeichen: II. ÚS 1199/22, entschied, dass die früheren gerichtlichen Entscheidungen in einer Strafsache über die Auslieferung einer ausgelieferten Person an die Russische Föderation zum Zwecke der Strafverfolgung für nichtig erklärt wurde. Der Ausgelieferte machte vor dem Verfassungsgericht geltend, es bestehe die reale Gefahr einer Misshandlung im Sinne einer Verletzung seiner grundlegenden Menschenrechte. Für die Entscheidung, ob der Entscheidung des Verfassungsgerichts, den Antragsteller an die Russische Föderation auszuliefern, einer der Gründe für die Unzulässigkeit der Auslieferung nach dem Gesetz über die internationale justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen entgegensteht, war von Bedeutung, dass am 24. Februar 2022, d. h. vor dem angefochtenen Beschluss des Gerichts zweiter Instanz, der bis dahin andauernde militärische Einmarsch der Russischen Föderation in das Gebiet der Ukraine begonnen hatte. Die Folgen sind weitreichend und beeinträchtigen die internationalen Beziehungen der Tschechischen Republik und anderer europäischer Länder zur Russischen Föderation sowie deren institutionellen Rahmen, was sich auch im Ausschluss der Russischen Föderation aus dem Europarat widerspiegelt. Eine Fortsetzung der Mitgliedschaft würde unter den gegebenen Umständen den Zielen und Werten dieser internationalen Organisation zuwiderlaufen. 

Gleichzeitig hat die Russische Föderation die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten gekündigt, so dass sie nach einem Zeitraum von sechs Monaten nicht mehr Vertragsstaat der Konvention ist. Für den Antragsteller (die ausgelieferte Person) bedeutet dies, dass er künftig nicht mehr berechtigt ist, beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Beschwerde gegen Eingriffe eines Organs der Russischen Föderation in seine Grundrechte und -freiheiten einzulegen, und dass auch andere Kontrollmechanismen, die mit der Mitgliedschaft im Europarat verbunden sind, nicht greifen. Zugleich war es nicht möglich, von der bisherigen Praxis der Einhaltung dieser Garantien durch die Behörden der Russischen Föderation auszugehen. Bei seiner Entscheidung hatte das Gericht zweiter Instanz, das über die Auslieferung (Ausweisung) entschied, die Relevanz der diplomatischen Zusicherungen im Hinblick auf die Folgen des militärischen Einmarsches der Russischen Föderation in das ukrainische Hoheitsgebiet zu beurteilen, was eine Beweisaufnahme zur Klärung der Frage erforderte, ob diese diplomatischen Zusicherungen noch als glaubwürdig und verlässlich angesehen werden konnten und somit den Antragsteller vor der Gefahr einer Misshandlung schützen würden. Eine solche Bewertung der diplomatischen Zusicherungen könne nicht der Entscheidung des Justizministers über die Genehmigung der Auslieferung überlassen werden. Darüber hinaus werden die Grundrechte und -freiheiten der Bevölkerung in der Russischen Föderation im Rahmen einer militärischen Aggression verletzt. 

Nach Ansicht des Verfassungsgerichts folgt daraus jedoch nicht, dass eine Auslieferung an die Russische Föderation als Folge einer militärischen Invasion ohne Weiteres ausgeschlossen ist. Sowohl die Tschechische Republik als auch die Russische Föderation sind nach wie vor Vertragsparteien des Europäischen Auslieferungsübereinkommens, das beide Länder verpflichtet, Personen zum Zwecke der Strafverfolgung oder der Vollstreckung einer Strafe oder einer Schutzmaßnahme unter den in diesem Übereinkommen festgelegten Bedingungen auszuliefern. Damit wird jedoch nicht der Art und Weise vorgegriffen, in der die ordentlichen Gerichte die Bedeutung der Beendigung der Mitgliedschaft der Russischen Föderation im Europarat oder die Bedeutung der diplomatischen Zusicherungen im Zusammenhang mit der aktuellen Situation zu beurteilen haben.

Quelle: Pressemitteilung Nr. 5/2023 des Verfassungsgerichts vom 10. Januar 2023.


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