Prozessuale Fallen für die Verfassungsbeschwerde

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Die Verfassungsbeschwerde gegen Gerichtsurteile ist als außerordentliches und außergewöhnliches Rechtsmittel konzipiert. Sie soll nur dort eine gerichtliche Entscheidung korrigieren, wo diese ein Grundrecht in grober Weise verletzt hat. Aus diese Grund wird die Verfassungsbeschwerde vom Bundesverfassungsgericht als streng subsidiär bezeichnet. Die Übersetzung mit „nachrangig“ trifft dieses Konzept aber nur ansatzweise.

Kernpunkt der Subsidiarität ist die Rechtswegerschöpfung. Erst, wenn alle Rechtsmittel des Instanzenzugs, die die jeweiligen Prozessordnung anbietet, erschöpft sind, kommt eine Verfassungsbeschwerde in Betracht. Dies bedeutet, dass alle Rechtsmittel auch tatsächlich genutzt werden müssen, man muss also (je nach Bezeichnung im speziellen Fall) Beschwerde, Berufung, Revision oder Nichtzulassungsbeschwerde einlegen. Ein Rechtsmittel gibt es fast immer, ein zweites manchmal, ein drittes (von der recht speziellen Anhörungsrüge abgesehen) sehr selten.

Entscheidend ist aber, dass die prozessualen Möglichkeiten nicht nur „irgendwie“ genutzt werden, sondern bereits das Fundament aufgebaut wird, auf dem die Verfassungsbeschwerde dann fußen wird. Das bedeutet vor allem, dass im Fachverfahren alle Tatsachen vorgebracht und alle Beweise angeboten werden, die das Gericht in die Lage versetzen, eine „richtige“ Entscheidung zu treffen. Weil sich das Bundesverfassungsgericht nur die Akten des Vorverfahrens anschaut, müssen sich alle Fehler aus diesen ergeben, wenn die Verfassungsbeschwerde eine Chance haben soll.

Daher ergeben sich im Instanzverfahren viele prozessuale Fallen für die spätere Verfassungsbeschwerde. Die wichtigsten möchte ich heute vorstellen:


Der Sachverhalt wurde nicht korrekt wiedergegeben

Eine der häufigsten Fallen ist dabei, dass das Gericht den Sachverhalt in seiner Entscheidung nicht korrekt wiedergegeben hat, man dann aber daran gebunden ist. Denn die Verfassungsbeschwerde muss man auf den Sachverhalt aufbauen, den das Gericht festgestellt hat.

Dabei handelt es sich formell gesehen nicht um einen Fall der Subsidiarität. Aber das Verfassungsgericht – so brutal muss man das sagen – interessiert sich schlicht nicht für Kritik an den Tatsachen. Es nimmt keine eigene Beweisaufnahme vor, sondern vertraut auf die Erkenntnisse des Instanzgerichts.

Darum ist es notwendig, hier bereits im Verfahren Zweifel am Sachverhalt ins Verfahren einzubringen. Auf diese Weise kann man das Gericht zu prozessualen Fehlern bringen, die sich dann möglicherweise auch per Verfassungsbeschwerde anfechten lassen.


Ein Zeuge hat gelogen

Weil der vom Gericht festgestellte Sachverhalt auch für das Verfassungsgericht bindend ist, wird man auch mit dem Vorwurf an einen Zeugen, dieser hätte gelogen, nicht gehört.

Falls man einen solchen Verdacht hat, muss man innerhalb des Verfahrens alle Beweise vorbringen, die dies nahelegen. Für die Verfassungsbeschwerde muss sich förmlich aufdrängen, dass das Gericht dem Zeugen nicht hätte glauben dürfen. Ihr Anwalt muss im Instanzverfahren dann alle Möglichkeiten ergreifen, die (falsche) Aussage des Zeugen anzugreifen und bspw. auch ein Glaubwürdigkeitsgutachten erwägen.


Aussage nicht niedergeschrieben

Häufig kritisieren Mandanten nach dem Verfahren, dass sie selbst oder die eigenen Zeugen etwas gesagt hätten, was nicht im Protokoll oder nicht im Urteil steht.

Auch hier bringt es nichts, sich in der Verfassungsbeschwerde darüber zu beschweren, dass Protokoll bzw. Urteil unvollständig sind. Man muss sich im Klaren darüber sein, dass das Bundesverfassungsgericht schlicht nicht nachprüfen kann, was nun richtig ist. Und ob etwas gesagt wurde oder nicht, lässt sich im Nachhinein einfach nicht mehr beweisen.

Darum ist es besonders wichtig, für ein umfassendes Protokoll zu sorgen. Auf diese Weise zwingt man das Gericht dazu, sich mit der Aussage zumindest auseinanderzusetzen.


Das habe ich aber meinem Anwalt mitgeteilt

Sollten Sie Ihrem Anwalt etwas Wichtiges gesagt haben, das dieser dann aber nicht in das Verfahren eingebracht hat, ist das ein prozessuales Versäumnis, das auf Sie zurückfällt.

Darum sollte man im Zweifel immer alles darlegen, was in irgendeiner Form wichtig sein könnte.


Der Richter hat sich parteiisch verhalten

Häufig wird vorgebracht, dass das Gericht sich in irgendeiner Form abfällig über den späteren Verfassungsbeschwerdeführer geäußert hat, Wortmeldungen beschränkt oder sich sonst parteiisch verhalten hat.

Dabei handelt es sich grundsätzlich um Sachverhalte, die für die Verfassungsbeschwerde relevant sein können. Denn das Recht auf ein faires Verfahren gehört zu den zentralen Prozessgrundrechten. Und darunter fasst man auch die Anforderung, dass der Richter neutral zu sein hat.

Hier gilt aber auch, wie schon oft genug erwähnt, dass sich dieser Fairnessverstoß aus den Akten ergeben muss. Hier muss der Anwalt den Mut haben, die Aufnahme solcher Vorkommnisse in das Verhandlungsprotokoll zu beantragen. In geeigneten Fällen kann auch ein Befangenheitsantrag in Betracht kommen. Sogar, wenn dem Antrag nicht stattgegeben wird, muss dieser Antrag dann zu den Akten genommen werden und kann dann ggf. für eine Verfassungsbeschwerde verwendet werden.


Richter hat in Sicherheit gewogen

Nicht selten gehen die Beteiligten mit einem „guten Gefühl“ aus der Verhandlung, weil das Gericht angedeutet hat, ihre Meinung zu teilen. Wenn das Urteil dann anders ausfällt, ist die Enttäuschung umso größer.

Nun ist es so, dass eine Überraschungsentscheidung durchaus verfassungswidrig sein kann. Konnte ein Beteiligter nicht damit rechnen, dass das Gericht einen Gesichtspunkt gegen ihn verwenden und ein für ihn negatives Urteil darauf stützen würde, kann es sich um eine Verletzung des rechtlichen Gehörs handeln.

Aber auch hier gilt: Eine entsprechende Äußerung des Gerichts muss sich aus dem Protokoll ergeben.


Die Fürsorgepflicht des Gerichts

Das Gericht hat grundsätzlich eine Fürsorgepflicht gegenüber den Beteiligten. Das bedeutet auch, dass das Gericht keine Partei sehenden Auges in eine vermeidbare prozessuale Niederlage laufen lassen darf, sondern ggf. Hinweise geben muss. Verstöße gegen diese Fürsorgepflicht können einen Grundrechtsverstoß darstellen.

Aber: Das prozessuale Verhalten der Partei ist deren Sache. Diese muss selbst wissen, was sie tun muss. Das gilt für Beweisangebote, für das Einhalten von Fristen und für alle prozessual notwendigen Anträge. Für eigene Versäumnisse ist grundsätzlich nicht das Gericht verantwortlich.


Rechtsanwalt Thomas Hummel kann Sie im Instanzverfahren beraten und gemeinsam mit Ihrem Anwalt dafür sorgen, dass die Weichen für eine eventuelle spätere Verfassungsbeschwerde rechtzeitig gestellt werden.


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