Psychische Erkrankung als Härtefallgrund im Rahmen eines Scheidungsverfahrens, § 1568 BGB

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Der 4. Senat des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm hatte einen Fall zu entscheiden, der viele sensible Themen wie Trennung, Alkoholabhängigkeit, psychische Erkrankungen und die rechtlichen Anforderungen für eine Scheidung, berührte. Das Gericht hebt hervor, dass eine Ehe als gescheitert angesehen werden kann, selbst wenn nur ein Ehepartner die Lebensgemeinschaft nicht mehr fortsetzen möchte. Das ist eine wichtige Erkenntnis, da es auf die Möglichkeit einer Wiederherstellung der ehelichen Gemeinschaft ankommt, und nicht unbedingt darauf, ob beide Partner die Ehe fortführen wollen. Das Gericht beschäftigte sich auch mit der Frage, ob und wann eine psychische Erkrankung ein Härtefallgrund sein kann.


2. Instanz: OLG Hamm, Beschluss vom 02.11.2023 - 4 UF 87/23

1. Instanz: Amtsgericht Siegen, Beschluss vom 05.05.2023 - 15 F 1698/20 (nicht rechtskräftig)



Die Ehegatten sind seit 1987 verheiratet. Sie haben zwei volljährige Kinder. Die Ehefrau teilte ihrem Mann 2016 mit, dass sie sich scheiden lassen will. Die Ehegatten lebten dann ab 2017 in dem gemeinsamen Haus getrennt voneinander. Eigentlich lebte der Ehemann aber schon seit dem Jahr 1993 in einer ausgebauten Bar im Haus, in welcher er auch schlief.

Seit Juni 2019 lebt der Ehemann, der schwer alkoholkrank ist und in der Folge am Korsakow-Syndrom leidet, in einer Einrichtung. Im September 2020 wurde für den Ehemann ein gesetzlicher Betreuer bestellt.  Ein Kontakt zwischen den Ehegatten fand seitdem nicht mehr statt. Im Dezember 2020 beantragte die Ehefrau die Scheidung. 


Das Scheidungsverfahren: Wann ist eine Ehe gescheitert?


1. Instanz - psychische Erkrankung und Härtefallklausel nach § 1568 BGB?

Der Ehemann war mit der Ehescheidung nicht einverstanden. Er führt an, dass eine Scheidung ihm, auch aufgrund seiner Krankheit, erhebliche psychische Belastungen verursachen könnte, die möglicherweise bis zu suizidalen Gedanken führen könnten. Derzeit finde er Trost in dem Gedanken an seine Familie und die Möglichkeit, „nach Hause zurückzukehren“ und legte ärztliche Atteste vor die besagen, dass das Risiko einer Suizidgefahr nicht sicher ausgeschlossen werden kann. Selbst- und fremdgefährdende Aktionen könnten im Falle einer Konfrontation mit der (potenziellen) Scheidung „nicht unwahrscheinlich“ sein.

Amtsgericht Siegen wies den Scheidungsantrag zurück, da es das Scheitern der Ehe nicht als gegeben sah. Die Ehefrau habe ihren Trennungswunsch nicht eindeutig mitgeteilt, da trotz ihrer Äußerung im Jahr 2016 weiterhin eine gemeinsame Lebensführung stattgefunden habe. Für den Ehemann lebten die beiden nicht getrennt, denn er ging ja davon aus, wieder "nach Hause zurückkehren" zu können. Das Gericht berücksichtigt die mögliche Wirkung einer Scheidung auf die psychische Verfassung des Antragsgegners, insbesondere im Hinblick auf seine Krankheit, und sieht darin eine unbillige Härte gemäß § 1568 Abs. 1 BGB.


2. Instanz - Trennungsjahr in einer Wohnung oder einem Haus gem. § 1567 BGB

Die Ehefrau legte gegen den Beschluss Beschwerde ein. Sie will weiterhin geschieden werden. Sie meint, es sei überhaupt nicht sicher, ob der Ehemann wirklich denkt, dass beide noch zusammenleben. Außerdem könne es nicht sein, dass sie für immer mit ihrem Mann verheiratet bleiben müsse. Das wäre aber die Konsequenz aus dem Beschluss des Amtsgericht Siegen.

Das OLG Hamm hob den erstinstanzlichen Beschluss auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Siegen zurück. 

Das Gericht führte aus, dass die Härtefallklausel (§ 1568 BGB) trotz der psychischen Erkrankung des Ehemannes keine Anwendung findet. Der Ehemann lebt in einer geschützten Einrichtung, in welcher adäquat bei Eigen- oder Fremdgefährdung reagiert werden kann. Dies muss berücksichtigt werden.

Und darüber hinaus ist die Ehe gem. § 1565 Abs. 1 BGB auch gescheitert. Das OLG Hamm führte aus, dass gemäß § 1565 Abs. 1 BGB gilt eine Ehe auch dann als gescheitert anzusehen ist, wenn nur ein Ehepartner sich endgültig von der Ehe abgewandt hat. Dies trifft im vorliegenden Fall auf die Ehefrau zu, wie der Senat nach ihrer bereits erfolgten Anhörung durch das Amtsgericht zuverlässig anhand der Akten feststellen kann. Die Ehefrau hat sich endgültig vom Ehemann abgewendet. 

Aber auch der Ehemann selbst lebte nach seinem eigenen Vortrag seit Oktober 2017 nicht mehr mit seiner Frau im Sinne von § 1567 Abs. 1 BGB zusammen. Seit dem, so der Ehemann, habe er ausschließlich die Kellerräume des gemeinsamen Hauses bewohnt, sich dort selbstständig versorgt und ein eigenes Badezimmer genutzt. Diese Aussage wurde von der Ehefrau während ihrer Anhörung vor dem Amtsgericht bestätigt, wobei sie angab, dass der Ehemann sogar seit mindestens 2015 überwiegend in der Bar im Keller geschlafen habe. 

Damit lebten die beiden Ehegatten innerhalb des Hauses gem. § 1567 Abs. 1 Satz 2 getrennt voneinander. Zudem ist anzunehmen, dass auch der Trennungswille im Sinne von § 1566 Abs. 2 BGB vorlag.

Das Amtsgericht Siegen, an das die Sache zurückverwiesen wurde, wird nun die Ehe scheiden und den Versorgungsausgleich durchführen.


Foto(s): www.istockphoto.com - Gutzemberg, JillianSuzanne

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