Rechtliche Maßnahmen der Arbeitgeber in der Türkei wegen der Coronavirus-Pandemie

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Unternehmen sind nach türkischem Arbeitsrecht verpflichtet, Löhne/Gehälter zu zahlen, solange das Arbeitsverhältnis mit den Arbeitnehmern besteht. Eine Epidemie ändert daran grundsätzlich nichts. Wenn Arbeitnehmer aufgrund öffentlicher Verbote oder aufgrund der Einstellung des Geschäftsbetriebes während der Epidemie nicht beschäftigt werden können, muss die Geschäftsleitung unverzüglich Maßnahmen zur Senkung der Arbeitskosten ergreifen. Anderenfalls kann das Ungleichgewicht in der Finanzstruktur durch Einnahmeverluste bis zur Insolvenz des Unternehmens führen. 

Neben den Handlungen in Bezug auf die Arbeitsverhältnisse ist es auch notwendig, Maßnahmen in Bezug auf Handelsverträge zu treffen, zu deren Erfüllung das Unternehmen verpflichtet ist.

1. Maßnahmen bezüglich der Arbeitnehmer 

Wir fassen kurz die wichtigsten Maßnahmen zusammen, die Unternehmen im Rahmen des türkischen Arbeitsrechts ergreifen können.

1.1. Unbezahlter Urlaub (Zwangsurlaub)

In einer Situation, in der die Arbeiten aufhören, ist der unbezahlte Urlaub (Zwangsurlaub) die vorteilhafteste Option für das Unternehmen. Im unbezahlten Urlaub wird das Arbeitsverhältnis ausgesetzt. In einem solchen Fall ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, Löhne an Arbeitnehmer zu zahlen und der Arbeitnehmer ist nicht verpflichtet, zu arbeiten. 

Es gibt keine zeitliche Begrenzung. Auf diese Weise kann unbezahlter Urlaub gewährt werden, bis die Coronavirus-Pandemie endet. Zur Durchführung des unbezahlten Urlaubs (Zwangsurlaub) muss die schriftliche Zustimmung des Arbeitnehmers eingeholt werden. Der Arbeitgeber kann dies nicht einseitig entscheiden und durchführen. Der Grundsatz der Gleichheit muss eingehalten werden.

1.2. Bezahlter Urlaub

Der Arbeitgeber ist befugt, den Zeitpunkt und die Dauer des bezahlten Urlaubs im Rahmen des Weisungsrechts einseitig festzulegen. Während der Coronavirus-Epidemie können Arbeitgeber ihren Arbeitnehmern also bezahlten Urlaub gewähren. 

Bei Arbeitnehmern mit erworbenem Anspruch auf bezahlten Urlaub, werden die Urlaubstage von diesem Anspruch abgezogen. Bei Arbeitnehmern, die noch keinen erworbenen Anspruch auf bezahlten Urlaub haben, werden die Urlaubstage nach Entstehen des Anspruchs (nachträglich) abgezogen. Es ist auch rechtlich möglich, im Zeitraum vom 01. April bis 31. Oktober einen teilweisen oder vollständigen kollektiven Urlaub (Betriebsurlaub) zu deklarieren.

1.3. Ausgleichsarbeit

Wenn keine Lösung mit dem bezahlten und unbezahlten Urlaub gefunden werden kann, ist die nächste Alternative die Ausgleichsarbeit. Nach dem türkischen Arbeitsgesetz kann Ausgleichsarbeit in den Fällen angewendet werden, in denen die Arbeit aus obligatorischen Gründen eingestellt wird, erheblich unter dem normalen Niveau liegt oder vollständig Urlaub gemacht wird. Die Zeiträume, in denen man während des Viruszeitraums nicht gearbeitet hat, werden anschließend durch Überstunden ausgeglichen. 

Die tägliche Gesamtarbeitszeit darf jedoch 11 Stunden und die Ausgleichsarbeit 3 Stunden nicht überschreiten. Die Dauer der Ausgleichsarbeit beträgt 2 Monate und wurde im Coronavirus-Prozess vorübergehend auf 4 Monate erhöht. Wenn man jedoch einige Wochen lang nicht arbeitet, kann dies auch unzureichend sein. Wenn es im Arbeitsvertrag nicht enthalten ist, ist auch eine schriftliche Zustimmung des Arbeitnehmers einzuholen.

1.4. Teilzeitarbeit

Wenn die Arbeiten reduziert aber nicht vollständig gestoppt werden, kann eine andere Option als Ausgleichsarbeit durch Unterzeichnung einer vorläufigen Vereinbarung mit dem Arbeitnehmer durchgeführt werden und somit kann Teilzeitarbeit geleistet werden. Auf diese Weise können Arbeitszeiten und Löhne gesenkt werden. Da diese Anwendung eine wesentliche Änderung des Arbeitsvertrages darstellt, ist die Zustimmung des Arbeitnehmers erforderlich.

1.5. Arbeiten von zu Hause 

Insbesondere Büroarbeiten können von zu Hause aus erledigt werden (Homeoffice). In der Regel ist dies mit einseitiger Anweisung des Arbeitgebers möglich, da sich eine Änderung zugunsten des Arbeitnehmers ergibt. 

Um Streitigkeiten zu vermeiden, empfehlen wir jedoch, die Arbeitnehmer über Arbeiten von zu Hause schriftlich zu informieren, die auf den Zeitraum der Epidemie beschränkt von zu Hause aus ausgeführt werden, und eine schriftliche Zustimmung der Arbeitnehmer zu erhalten. Bei Arbeit von zu Hause aus hat der Arbeitnehmer Anspruch auf den normalen Lohn für Arbeiten, die er außerhalb des Büros tätigt.

1.6. Kurzarbeit

Zusätzlich zu den oben genannten Maßnahmen sollte der Arbeitgeber auch die von der Regierung (dem Staat) gewährten Unterstützungen nutzen. Die wichtigste in diesem Zusammenhang zu erledigende Arbeit besteht darin, bei İSKUR (türkisches Arbeitsamt) einen Antrag auf Kurzarbeitergeld zu stellen und diese Leistung zu beantragen. 

Auch während der Kurzarbeit wird der Arbeitsvertrag wie unbezahlter Urlaub eingestellt. Dafür ist aber die Zustimmung des Arbeitnehmers nicht erforderlich. Das Kurzarbeitergeld wird aus der Arbeitslosenversicherung gezahlt.

In welchen Fällen erfolgt Kurzarbeit?

Für den Fall, dass aufgrund der allgemeinen wirtschaftlichen, sektoralen oder regionalen Krise und der zwingenden Gründe die wöchentliche Arbeitszeit am Arbeitsplatz vorübergehend erheblich verkürzt bzw. verringert wird oder die Tätigkeit ganz oder teilweise vorübergehend eingestellt wird, kann am Arbeitsplatz eine Kurzarbeit von höchstens 3 Monaten geleistet werden. Die Epidemie ist ein zwingender Grund. Da das Coronavirus von der Weltgesundheitsorganisation als Epidemie (Pandemie) angesehen wird, wird es als Grund für Kurzarbeit akzeptiert.

Wer bezieht Kurzarbeitergeld?

Die Zahlung erfolgt direkt an den Arbeitnehmer, nicht an den Arbeitgeber. Anspruchsberechtigt sind Arbeitnehmer, die in den letzten 120 Tagen vor Beginn der Kurzarbeit ununterbrochen beschäftigt waren und in den letzten 3 Jahren mindestens 600 Tage Sozialversicherungsprämien eingezahlt haben. Dieser Zustand wird jedoch insbesondere zur Benachteiligung derjenigen Arbeitnehmer führen, die erst neu in den letzten ca. 2 Jahren eingestellt wurden. Aus diesem Grund wird erwartet, dass die Regierung diese Voraussetzungen etwas erleichtert.  

Aktualisierung: Die Voraussetzungen sind mit einer neuen gesetzlichen Regelung vom 25.03.2020 erleichtert worden. Nunmehr sind auch die Arbeitnehmer anspruchsberechtigt, die in den letzten 60 Tagen vor Beginn der Kurzarbeit ununterbrochen beschäftigt waren und in den letzten 3 Jahren mindestens 450 Tage Sozialversicherungsprämien eingezahlt haben.  

Wie hoch ist das Kurzarbeitergeld?

Das tägliche Kurzarbeitergeld beträgt 60 % des durchschnittlichen täglichen Bruttoeinkommens, berechnet unter Berücksichtigung des der Prämie unterliegenden Einkommens des Versicherten in den letzten 12 Monaten. Die Höhe des monatlichen Kurzarbeitergeldes darf 150 % des Bruttomindestlohns nicht überschreiten. Das für das Jahr 2020 zu zahlende eintägige Kurzarbeitergeld beträgt mindestens 58,86 TRY und der monatliche Zahlungsbetrag höchstens 4.414,50 TRY.

Wie lange dauert eine Kurzarbeit?

Um die am Arbeitsplatz geltende wöchentliche Arbeitszeit zu vervollständigen, erhält der Arbeitnehmer bei der Kurzarbeit ein Kurzarbeitergeld für die nicht geleisteten Arbeitszeiten. Da der Antrag auf eine Kurzarbeit aufgrund des Coronavirus auf zwingenden Gründen beruht, beginnen die Zahlungen nach einer Woche ab dem Beginn des zwingenden Grundes. Das Kurzarbeitergeld ist auf die Dauer der Kurzarbeit begrenzt. Es ist für maximal 3 Monate vorgesehen. Diese 3-Monats-Frist kann durch Entscheidung des Staatspräsidenten auf bis zu 6 Monate verlängert werden.

2. Maßnahmen bezüglich der Handelsverträge

Unternehmen haben auch Verpflichtungen gegenüber Kunden und Lieferanten aus Verträgen wie Kauf-, Werk- und Dienstverträge. Wenn aufgrund der Epidemie Probleme bei der Erfüllung dieser Verträge zu erwarten sind, müssen sofort Maßnahmen ergriffen werden.

2.1. Höhere Gewalt in Verträgen

Selbst wenn nicht vertraglich vereinbart ist, wird die Epidemie nach der ständigen Rechtsprechung des türkischen Kassationsgerichtshofs als höhere Gewalt anerkannt. Aus diesem Grund muss zunächst der anderen Partei schriftlich mitgeteilt werden, dass es sich bei der Epidemie um höhere Gewalt handelt. Gegebenenfalls sollten Handelsverträge geprüft und wenn vorhanden, die für höhere Gewalt vorgesehenen Maßnahmen ergriffen werden und die diesbezüglichen Mitteilungen müssen erfolgen. 

Wie in diesem Prozess vorzugehen ist, sollte in schriftlicher Vereinbarung in enger Kommunikation mit der anderen Partei festgelegt und die Lieferzeiten verlängert werden. Es ist zu beachten, dass zur Umsetzung der Bestimmungen über höhere Gewalt ein Kausalzusammenhang zwischen der Verwirklichung höherer Gewalt und der Nichterfüllung der Verpflichtung bestehen muss.

2.2. Allgemeine Bestimmungen im türkischen Obligationenrecht

Allgemeine Bestimmungen werden in Fällen angewendet, in denen Verträge keine ausdrückliche Regelung über höhere Gewalt enthalten. Artikel 136 ff. des türkischen Obligationenrechts regeln die Unmöglichkeit der Erfüllung und die übermäßige Schwierigkeit der Erfüllung. Wenn die Erfüllung der Verpflichtung unmöglich wird, ist die Partei von der Erfüllung befreit. Ist die Erfüllung der Verpflichtung erheblich erschwert, kann die verpflichtete Partei eine Anpassung (Preissenkung, Erhöhung, Verlängerung der Laufzeit usw.) beantragen. Ist eine Anpassung nicht möglich, ist ein Rücktritt vom Vertrag möglich.

In jedem Fall muss die verpflichtete (verschuldete) Partei die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, indem sie die andere Partei unverzüglich darüber informiert, dass eine Erfüllung unmöglich ist. Falls keine Rohstoffe verfügbar sind oder die Preise zu stark steigen, sollten gegebenenfalls eine Verlängerung der Leistungszeit und eine Preiserhöhung für die Waren, deren Lieferung verpflichtet wurde, vorgeschlagen werden, andernfalls sollte der Rücktritt vom Vertrag überdacht werden.

Dr. Fatih Dogan

LL.M-Freiburg

Partner | Rechtsanwalt

Stand: 24.03.2020



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