Rückforderung von bayerischen Corona-Soforthilfen ist rechtswidrig

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Bis 29.02.2024 sollten bayerische Personen- und Kapitalgesellschaften, die 2020 Corona-Soforthilfe empfangen haben, angeben, ob und ggf. in welcher Höhe ihr "erwerbsmäßiger Sach- und Finanzaufwand" in den 3 Monaten nach der Antragstellung ihre erzielten Einnahmen überstieg - ob sich also ein Liquiditätsengpass oder eine Überkompensation errechnet Einzelunternehmer und Soloselbständige mussten diese Angaben bereits bis 31.12.2023 tätigen. 

Die bayerischen Bezirksregierungen sowie die Landeshauptstadt haben im März 2024 begonnen, Anhörungsschreiben zu versenden, um die Rückforderungen konkrete vorzubereiten. In einzelnen Fällen wurden bereits erste Bescheide erlassen, mit denen die Bewilligungsbescheide aus 2020 widerrufen und die Soforthilfe ganz oder teilweise zurückgefordert wird. Auf unserer Homepage haben wir unter https://www.kanzlei-hersbruck.de/corona-rückforderungsbescheid/ einen beispielhaften Bescheid veröffentlicht.

Die Kanzlei Stenz & Rogoz vertritt mehrere Hundert bayerische Unternehmen, um die Rückzahlung von Corona-Soforthilfen zu verhindern. 

An dieser Stelle sollen bayerischen Unternehmerinnen und Unternehmern die wichtigsten Fragen beantworten, wie sie sich richtig mit den Anhörungsschreiben und Rückforderungsbescheiden umgehen können.

> Überraschendes Rückmeldeverfahren 

Den bayerischen Unternehmern wurde anfangs mitgeteilt, dass kein allgemeines Rückmeldeverfahren durchgeführt werde, "da die Bewilligungsstellen bereits im Rahmen der Gewährung der Soforthilfen den Liquiditätsengpass zum Teil umfassend geprüft" hätten. Die Verfahren seien daher für die Verwaltung grundsätzlich abgeschlossen.

Am 28.11.2022. also 2 1/2 Jahre nach Ende des ersten sog. Lockdowns, klang das plötzlich ganz anders:  An diesem Tag bekamen Unternehmen in ganz Bayern ein Schreiben ihrer zuständigen Bezirksregierung mit dem Betreff 

"Erinnerung an Ihre Verpflichtung zur Überprüfung der erhaltenen Corona-Soforthilfe" 

Darin wurde darauf hingewiesen, dass die Corona-Soforthilfen auf der Grundlage einer bei der Antragstellung getroffenen Prognose gewährt worden seien. Aufgrund des Bewilligungsbescheides seien die bayerischen Unternehmer verpflichtet zu überprüfen, ob diese Prognose zu dem bei Antragstellung erwarteten Liquiditätsengpass auch tatsächlich eingetreten sei, oder ob sie die Soforthilfe - gegebenenfalls auch anteilig - zurückzahlen müssten.

Update vom 22.01.2024:

Die Regierung von Mittelfranken schreibt derzeit Soforthilfeempfänger an und setzt diesen Fristen zur Ausfüllung einer neuen Excel-Tabelle. Unsere Einschätzung hierzu finden Sie in unserem Blogbeitrag vom 22.01.2024.

Update vom 12.02.2024:

Das Verwaltungsgericht Ansbach hat - im Gegensatz zum Verwaltungsgericht Regensburg - eine Klage gegen einen Rückforderungsbescheid abgewiesen. Das Urteil ist aber noch nicht rechtskräftig. Näheres finden Sie in unserem Blogbeitrag vom 12.02.2024.

> Unsere juristische Einschätzung

Die Rückforderung der Soforthilfen stellt einen Verstoß gegen den übergesetzlichen Grundsatz von Treu und Glauben in der Ausprägung des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung dar:


Die Förderrichtlinien haben in der Zusammenschau mit den öffentlichen Äußerungen bayerischer Regierungsmitglieder ein schützenswertes Vertrauen der bayerischen Unternehmerinnen und Unternehmer hervorgerufen, dass die Soforthilfen nicht mehr zurückgeführt werden müssen.


Das Rückforderungsverlangen des Freistaates dürfte verwirkt sein. Der Bundesgerichtshof hat die Voraussetzungen der Verwirkung mit Urteil vom 23.01.2018 (Az.: XI ZR 298/17) wie folgt zusammengefasst:


Ein Recht ist verwirkt, wenn sich der Schuldner wegen der Untätigkeit seines Gläubigers über einen gewissen Zeitraum hin bei objektiver Beurteilung darauf einrichten darf und eingerichtet hat, dieser werde sein Recht nicht mehr geltend machen, so dass die verspätete Geltendmachung gegen Treu und Glauben verstößt. Zeit- und Umstandsmoment können nicht voneinander unabhängig betrachtet werden, sondern stehen in einer Wechselwirkung. Je länger der Inhaber des Rechts untätig bleibt, desto mehr wird der Gegner in seinem Vertrauen schutzwürdig, das Recht werde nicht mehr ausgeübt werden."


Das „Erinnerung“-Schreiben vom 28.11.2022 erfolgte ca. 30 (!) Monate nach Ende des Lockdowns im Mai/Juni 2020. Damit ist bereits aufgrund des Zeitablaufs ein Vertrauen bei den Unternehmern entstanden, die Hilfen nicht mehr zurückzahlen zu müssen.


Hinzu kommt, dass das Ziel der Soforthilfe im Nachgang umformulierte wurde. Im „Erinnerung“-Schreiben vom 28.11.2022 war zu lesen:


„Ziel der Soforthilfen war, den Unternehmen zu helfen, ihre gewerblich verursachten Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen und damit Insolvenzen zu verhindern, nicht dagegen der weitergehende komplette Ersatz aller Einnahmeverluste.“


Dies wurde bei der Verabschiedung der Soforthilfen den bayerischen Gewerbetreibenden aber gerade nicht vermittelt. Im Gegenteil: Auf der Homepage des Bayerischen Wirtschaftsministeriums war am 27.02.2023 nachzulesen:


„Es handelt sich dabei um kein Förderprogramm, in dem entsprechend den Vorgaben im Bewilligungsbescheid im Nachgang ein Nachweis über die Verwendung der gewährten Mittel vorzulegen ist (Verwendungsnachweis). In Bayern wird auch kein allgemeines Rückmeldeverfahren durchgeführt, da die Bewilligungsstellen bereits im Rahmen der Gewährung der Soforthilfen den Liquiditätsengpass zum Teil umfassend geprüft haben. Die Verfahren sind daher für die Verwaltung – mit Ausnahme noch weniger laufender Nachprüfungen – grundsätzlich abgeschlossen.


Quelle: https://www.vgsd.de/wp-content/uploads/2021/02/210227-Hinweis-zu-einer-moeglichen-Rueckmeldeverpflichtung-fuer-Soforthilfeempfaenger-Wirtschaftsministerium-Bayern.pdf


Hierzu erklärte Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger bei der Pressekonferenz am 30.03.2020 in München:


„Bayern hat als erstes [Bundesland] damit begonnen, Soforthilfe an die Bevölkerung auszuzahlen. Wir haben hier mittlerweile 200.000 Anträge mit einem Umfang von 1,5 Milliarden auf dem Tisch liegen und über 200 Millionen davon ist schon angewiesen zur Auszahlung. Also über 200 Millionen kommen oder sind schon angekommen auf den Konten der Bürger. Ab morgen wird das System nochmal deutlich beschleunigt und verbessert. Ab morgen werden alle Sätze nochmals angehoben. […] Dann gibt es für bis zu 5 Mitarbeiter 9.000,00 €, für bis zu 10 Mitarbeiter 15.000,00 € […] an Soforthilfe, die nicht zurückbezahlt werden muss.


Quelle: https://www.facebook.com/watch/?v=746374002561353 [ca. ab Minute 1:00]


Dies wurde begleitet von einer Pressemitteilung des Bayerischen Wirtschaftsministeriums vom 31.03.2020, wo es hieß:


„Zudem wurden auch die Antragsvoraussetzungen für die Soforthilfe noch einmal gelockert. Ab sofort gilt: Der Antragsteller muss glaubhaft versichern, dass er durch die Corona-Pandemie in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten ist, die seine Existenz bedrohen, weil die fortlaufenden Einnahmen aus dem Geschäftsbetrieb voraussichtlich nicht ausreichen, um die Verbindlichkeiten in den auf die Antragstellung folgenden drei Monaten aus dem fortlaufenden erwerbsmäßigen Sach- und Finanzaufwand (z.B.gewerbliche Mieten, Pachten, Leasingraten) zu zahlen.“


Quelle: https://www.bayern.de/bayern-beschliesst-weitere-verbesserungen-bei-der-corona-soforthilfe/

und http://web.archive.org/web/20200805195821/https://www.stmwi.bayern.de/presse/pressemeldungen/pressemeldung/pm/43338/


Auch Ministerpräsident Markus Söder sagte bei seiner Regierungserklärung am 19.03.2020 im Bayerischen Landtag:


„Und ein Instrument, dass wir im Moment einzig machen und das wir auch allen empfehlen es zu tun in Deutschland: Wir zahlen direkte Soforthilfe an Betriebe

– die durch Maßnahmen, die wir auch selbst getroffen haben mit dem Schließen der Geschäfte und des Wirtschaftsbebens – in Not gekommen sind. Diese Hilfe richtet sich ja vor allem an die Kleinen, wenn ich das so sagen darf.  Am Gastronomie, Wirte, Tourismus, Taxler, Messebauer, Handel, Freiberufler, auch für Kulturschaffende, die häufig mit ihren entsprechenden Veranstaltungen von der Hand in den Mund leben. […] Kurz: Es geht um die Kleinen. Es geht um die kleineren Betriebe bis zu Ein-Mann-Unternehmen, die wirklich, in unserem Land einen tollen Beitrag leisten. Wir lassen sie nicht allein. Sie erhalten eine schnelle unbürokratische Soforthilfe von bis zu 30.000 €, die nicht zurückgezahlt werden muss. Es ist kein Kredit. Denn das ist ja der zweite Schritt: Darlehen, die beantragt werden, Kredite, die beantragt werden. Dazu braucht es einer ausführlicheren Regulation. Wir gehen einen ähnlichen Weg, wie wir ihn bei der Fluthilfe erlebt haben, der damals vielen geholfen hat, gerade am Anfang die Liquidität zu sichern. Übrigens auch eine psychologische Motivation zu setzen, dabei zu bleiben und nicht aufzugeben. Die Formulare sind seit gestern online. Und die Auszahlung erfolgt bereits morgen.“


Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=gUyd3GMei5o (ca. ab Minute 37:45)


Von einer nachträglichen Überprüfung des Liquiditätsengpasses fand sich damals also kein Wort.


So zeigte sich etwa der Verband der Gründer und Selbständigen Deutschland e.V. nach Versendung der „Erinnerung“-Schreiben in einer Pressemitteilung vom 02.12.2022 geradezu überrascht von der nachträglichen Überprüfung der Corona-Soforthilfen durch den Freistaat. Er spricht gar von einer „Kehrtwende“ im Bayerischen Wirtschaftsministerium.


Quelle: „Bayern überrascht mit Überprüfung der Corona-Soforthilfen“, abrufbar unter:

https://www.vgsd.de/unangenehme-post-fuer-soforthilfe-empfaenger-bayern-ueberrascht-mit-ueberpruefung-der-corona-soforthilfen/


> Erfolg vor dem Verwaltungsgericht Regensburg:

Hinzu kommt, dass bei vielen Rückforderungsbescheide, die unserer Kanzlei vorliegen, die Regierungen das gemäß Art. 49 Abs. 2a Satz 1 Nr. 1 BayVwVfG erforderliche Ermessen nicht ausgeübt haben. Wörtlich führte etwas das Verwaltungsgericht Regensburg in einem von unserer Kanzlei geführten Rechtsstreit aus:


"Eine Ermessensausübung lässt sich [...] weder dem angefochtenen Bescheid noch den vorgelegten Behördenakten entnehmen. Auch wenn vorliegend für die Ermessensentscheidung die Grundsätze der sog. intendierten Ermessensausübung zugrunde zu legen sein dürften, so hätte es aber zumindest einer Prüfung bedurft, ob ein Ausnahmefall vorliegt, der zu einer Abweichung von der für den Regelfall intendierten Rechtsfolge des Widerrufs Anlass gibt."

Die Regierung der Oberpfalz hob daraufhin den Aufhebungsbescheid auf. Die Klage konnte für erledigt erklärt werden.


> Fazit

>> Zusammenfassend ist daher die Rückforderung von Corona-Soforthilfen im Jahr 4 nach dem ersten Lockdown rechtsmissbräuchlich und damit als Verstoß gegen die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung anzusehen. In Nordrhein-Westfalen wurde die Rückforderung von Corona-Hilfen gerichtlich in zweiter Instanz übrigens für unwirksam erklärt (Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 17.03.2023, Aktenzeichen: 4 A 1988/22). Auch vor dem Verwaltungsgericht Hamburg, Aktenzeichen: 16 K 5209/21, hat sich jüngst eine GmbH erfolgreich gegen einen Rückforderungsbescheid zur Wehr gesetzt. 

>> Unsere Kanzlei vertritt zahlreiche Unternehmer, die sich gegen die Rückzahlung wenden, u.a. viele Friseurinnen und Friseure, Gastronome, Physiotherapeuten, Filmschaffende und Künstler...

Unsere Mandanten vertreten wir im Anhörungsverfahren und versuchen bereits im Vorfeld, die Rückforderung von Corona-Soforthilfe anwaltlich zu verhindern. Gegen einen Rückforderungsbescheid gehen wir in Absprache mit unseren Mandanten anwaltlich vor. 

>> Sehr gerne werden wir auch kurzfristig für Ihr Unternehmen tätig. Schreiben Sie uns einfach eine Nachricht über Anwalt.de. Wir übersenden Ihnen innerhalb von nur 24 Stunden einen Vorschlag zum weiteren Vorgehen. 

>> Weitere Informationen erhalten Sie auf unserer Homepage unter https://www.kanzlei-hersbruck.de/rechtsgebiete/corona/.

Foto(s): Carolin Rogoz

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