Sachwalterschaft in Italien: kurzer Überblick

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1. Was ist die Sachwalterschaft? 

Mit dem Gesetz Nr. 6 vom 9. Jänner 2004 hat der Gesetzgeber eine neue Schutzmöglichkeit für vollständig oder teilweise handlungsunfähige Menschen eingeführt, die ihr tägliches Leben nicht mehr ohne Hilfe bewältigen können und für sie befristete oder unbefristete Sachwalterschaft vorgesehen. Der wesentliche Unterschied im Vergleich zu den früheren Rechtsinstituten der Entmündigung ist der Umstand, dass dem Betroffenen seine Handlungsberechtigung nicht entzogen, sondern diese so geringfügig wie möglich eingeschränkt wird

2. Welche Voraussetzungen sind für eine Sachwalterschaft erforderlich? 

Sachwalterschaft kann für Menschen angeordnet werden, denen es wegen körperlicher oder geistiger Behinderung oder Beeinträchtigung nicht möglich ist, ihre Interessen auch nur teilweise oder zeitweilig wahrzunehmen (ZGB, Art. 404). Dem Gesetz zufolge muss eine Krankheit vorliegen, auf Grund deren es den Betroffenen unmöglich ist, ihre Interessen wahrzunehmen.

3. Wer ist antragsberechtigt? 

Antragsberechtigt sind: 

  • potentielle Betroffene, auch vollständig oder teilweise entmündigte Kinder und Jugendliche, 
  • Ehepartner, 
  • Lebensgefährten, selbst Jugendliche können diese Möglichkeit in Anspruch nehmen, bevor sie volljährig sind, also im 17. und 18. Lebensjahr,
  • Verwandte bis zum vierten Grad, 
  • Verschwägerte bis zum zweiten Grad, 
  • Vormund oder Beistand 
  • die Staatsanwaltschaft, 
  • die Verantwortlichen der Gesundheits- und Sozialdienste, welche in die Pflege der Personen eingebunden sind.

Auch Stiefsöhne fallen theoretisch unter die Definition von Verschwägerten und können einen Antrag stellen.

4. Wo ist der Antrag zu stellen? 

Der Antrag ist an das Vormundschaftsgericht zu stellen, das dort zuständig ist, wo der Betroffene wohnt oder ansässig ist. Angesichts der Tatsache, dass eine Anhörung der betreffenden Person vorgesehen ist, ist jeweils das Vormundschaftsgericht, wo der Betroffene seinen tatsächlichen Aufenthalt hat vorzuziehen, und nicht jenes seines Wohnsitzes.

5. Wer unterzeichnet den Antrag? 

Der Antrag auf Sachwalterschaft sollte von möglichst vielen der engsten Angehörigen jener Person unterzeichnet werden, für die eine Sachwalterschaft beantragt wird. Eine der unterzeichnenden Personen ist als Bezugsperson für die Kanzlei zu benennen. Falls nicht alle Angehörigen den Antrag unterschreiben können (was sehr oft vorkommt, da Angehörige im Ausland leben oder untereinander keinen Kontakt mehr pflegen), sind, falls die Bezugsperson vom Vormundschaftsrichter damit beauftragt wird, die übrigen Angehörigen durch einen eingeschriebenen Brief oder durch Zustellung mittels des Gerichtsvollziehers vom Dekret und von der richterlich angeordneten Anhörung in Kenntnis zu setzen. Der Antrag kann auch mittels Spezialvollmacht einer der Berechtigten von einem Rechtsanwalt unterzeichnet werden.

6. Welche Angaben muss der Antrag enthalten? 

Der Antrag sollte möglichst viele Angaben und Unterlagen zum Betroffenen, seiner Gesundheit, sozialen Situation und Vermögenslage enthalten. Der Art. 408 des BGB sieht vor: „… Der Betreuer kann vom Betreuten selbst in Voraussicht der eigenen eventuellen zukünftigen beschränkten Geschäftsfähigkeit mittels öffentlicher Urkunden oder Privatschrift ernannt werden.“ 

Das Vormundschaftsgericht legt im Ernennungsbeschluss die Aufgaben und den finanziellen Handlungsspielraum für den Sachwalter fest. Aus diesem Grund sind Rente, Begleitgeld, Mieteinnahmen, Gebühren für das Alters-oder Pflegeheim, Ausgaben für Pflegepersonal, Wohnnebenkosten usw. ausreichend zu belegen.

7. Welche Unterlagen sind dem Antrag auf Sachwalterschaft beizulegen? 

Folgende Unterlagen des Bezugsberechtigten sind dem Antrag beizulegen: 

  • Auszug aus dem Geburtenregister, 
  • Sammelbescheinigung des Wohnsitzes und des Familienbogens mit Stempelmarke zu 16,00 €, 
  • historischer Familienbogen des/der Bezugsberechtigten mit Stempelmarke zu 16,00 €, 
  • ärztliches Zeugnis (mit Angabe, falls es zutrifft, dass die Person nicht mehr imstande ist, den Vormundschaftsrichter aufzusuchen), 
  • Steuererklärung, Kontoauszüge, Wertpapierauszüge, Kopie Post- oder Banksparbuch (eine vollständige Vermögenserklärung) 
  • Grundbuchauszüge, falls vorhanden,
  • eine Stempelmarke von 27,00 €

8. Kann der Vormundschaftsrichter dringende Verfügungen anordnen? 

Bei Bedarf kann das Vormundschaftsgericht auf ausdrücklichen Antrag des Antragstellers oder auch von Amts wegen dringende Maßnahmen anordnen, um die betroffene Person zu betreuen und um ihr Vermögen zu bewahren bzw. zu verwalten. In einem solchen Fall wird ein Sachwalter für die jeweilig festgelegten Aufgaben befristet eingesetzt.

9. Wie erfolgt die Ernennung? 

Der Antrag auf Sachwalterschaft ist beim Vormundschaftsgericht in ... (Ort angeben) einzureichen. Erforderlich sind die Angaben zur Person des Betroffenen, seinen gewöhnlichen Wohnsitz, die Gründe, weshalb eine Sachwalterschaft beantragt wird, Ehepartner oder Lebensgefährte und sein Wohnsitz, Nachkommen, Vorfahren und Geschwister

Das Verfahren selbst wird in kurzer Zeit abgewickelt: Der Vormundschaftsrichter hört persönlich den Betroffenen an, überprüft seine Bedürfnisse sowie den Gesundheitszustand und ernennt mit Beschluss den Sachwalter im Allgemeinen binnen 60 Tagen nach Hinterlegung des Antrags zur Bestellung der Sachwalterschaft. Falls der Betroffene nicht zur Anhörung erscheinen kann (z. B. weil bettlägerig), begibt sich der Richter zu ihm. 

Auch die Staatsanwaltschaft schaltet sich in das Verfahren ein. Im Ernennungsbeschluss ist angeben: Wie lange die Ernennung dauert (befristet oder unbefristet); Inhalt der Beauftragung und mit Angabe der Zuständigkeiten für den Sachwalter; Rechtshandlungen, die der Betroffene persönlich, aber nur mit Unterstützung des Sachwalters ausführen darf; Obergrenze für die Ausgaben, die der Sachwalter bestreiten kann. Zeitabstände, in denen der Sachwalter dem Vormundschaftsgericht Bericht erstatten muss. 

Der Beschluss, mit dem die Sachwalterschaft beginnt und endet, ist vom Kanzleibeamten unverzüglich in ein entsprechendes Register einzutragen und binnen 10 Tagen dem Standesamt zu übermitteln, das die Anmerkung auf der Geburtsurkunde vornimmt. Gegen den Ernennungsbeschluss kann in erster Instanz beim Oberlandesgericht Beschwerde eingereicht und in zweiter Instanz beim Kassationsgerichtshof Rekurs eingereicht werden.

10. Wer kann zum Sachwalter ernannt werden? 

Das Vormundschaftsgericht wählt aus, wen es gemäß Zivilgesetzbuch dem Betroffenen zur Seite stellt und trägt dabei den vom Betroffenen zum Ausdruck gebrachten Wünschen Rechnung. Zwar sind diese Wünsche nicht verbindlich und können aus triftigen Gründen auch unberücksichtigt bleiben, aber das Gericht muss bei der Auswahl trotzdem eine Einschätzung vornehmen. 

Falls der Betroffene selbst niemanden benennt, werden die nächsten Angehörigen in die Pflicht gerufen. Verschwägerte gehören nicht zum Kreis, der in Frage kommt. Sollten die Angehörigen aus irgendwelchen Gründen den Auftrag nicht übernehmen können, ist es vorgesehen, dass auch unabhängige Sachwalter bestellt werden können. Wie die Bestimmungen besagen, ist der Sachwalter „ausschließlich zur Pflege und im Interesse des Betroffenen“ zu ernennen. [Die Autonome Provinz Bozen ist im Begriff, ein Verzeichnis jener Personen anzulegen, welche interessiert und entsprechend vorbereitet sind, um die Funktion einer Sachwalterschaft zu übernehmen].

11. Wer kann nicht zum Sachwalter ernannt werden?

Die Fachkräfte der öffentlichen oder privaten Dienste, die die betroffene Person in Pflege haben oder mit ihrer Betreuung betraut sind, dürfen nicht die Aufgaben eines Sachwalters innehaben.

12. Kann ein deutscher Staatsbürger zum Sachwalter ernannt werden?

Theoretisch ist auch die Ernennung eines deutschen Staatsbürgers möglich und kann demnach im Antrag auch vorgeschlagen werden. Allerdings liegt eine solche Ernennung im alleinigen Ermessen des Vormundschaftsrichters und muss im alleinigen Interesse des Begünstigten vollzogen werden. Gegen das Interesse der Begünstigten spricht für die Richterin, im konkreten Fall, die Distanz zwischen der Begünstigten in z. B. [Südtirol] und dem designierten Sachwalter z. B. in [Deutschland]. 

13. Kann ein Sachwalter schon im Antrag vorgeschlagen werden?

Wer den Antrag einreicht, kann gleichzeitig auch schon eine bestimmte Person für die Beauftragung mit der Sachwalterschaft vorschlagen – es muss aber nicht zwangsläufig eine Empfehlung gemacht werden. Sollten nicht schwerwiegende Gründe (Beispiel: Konflikte oder die Person scheint ungeeignet) dagegensprechen, wird diese Person mit großer Wahrscheinlichkeit auch als Sachwalter ernannt werden.

14. Was sind die Aufgaben des Sachwalters?

Der vom Vormundschaftsgericht erlassene Ernennungsbeschluss setzt die Befugnisse für den Sachwalter fest und bestimmt, in welchem Umfang der Betroffene handlungsunfähig ist. Der Sachwalter muss Wünsche und Ansprüche des Betroffenen berücksichtigen und den vom Vormundschaftsgericht erhaltenen Anweisungen Folge leisten. Er muss den Betroffenen von den jeweiligen Rechtshandlungen und bei Meinungsverschiedenheiten auch das Vormundschaftsgericht davon in Kenntnis setzen. 

Der Auftrag richtet sich danach, wie schwer die Beeinträchtigung und wie umfangreiche Angelegenheiten zu erledigen sind. Es kann sich lediglich um Vermögensverwaltung wie auch um gesundheitliche und soziale Betreuung handeln. Zum Beispiel für einen älteren Menschen, der nicht auf seine Gesundheit achtet, nicht mehr ausreichend einkauft und isst, vergisst, Miete und Rechnungen zu bezahlen, die Wohnung nicht mehr putzen und heizen kann usw., kann ein Sachwalter durchaus eine wirksame Lösung darstellen. Der Sachwalter muss jährlich einen Rechenschaftsbericht vorlegen.

15. Wozu ist ein Sachwalter ermächtigt?

Der Sachwalter kann zu einfacher und außerordentlicher Verwaltung ermächtigt werden. Bei außerordentlichen Verwaltungsangelegenheiten erteilt das Vormundschaftsgericht die Genehmigung von Fall zu Fall. Dabei muss der Sachwalter eine spezifische Anfrage (Antrag) beim Vormundschaftsrichter einreichen, damit dieser die Genehmigung erteilt. Der Vormundschaftsrichter stellt, falls die Anfrage als richtig befunden wird, ein Dekret ad hoc aus. 

Einfache Verwaltung schließt zum Beispiel ein:

a) die Invalidenrente, das Pflegegeld oder das Begleitgeld einlösen; 

b) für den Haushalt und die Vermögensverwaltung erforderliche bewegliche Güter einkaufen; 

c) für die Vermögensverwaltung oder den Unterhalt erforderliche Verpflichtungen eingehen; 

d) Mietverträge mit bis zu 9 Jahren Laufzeit für Liegenschaften abschließen. 

Zur außerordentlichen Verwaltung gehören: 

a) Kaufverträge für bewegliche oder unbewegliche Güter abschließen, die nicht mehr zur einfachen Verwaltung gehören; 

b) Kapital einheben, Hypotheken löschen, verpfändete Güter einlösen, Verpflichtungen eingehen, die nicht mehr zur einfachen Verwaltung gehören; 

c) Erbschaften annehmen oder ablehnen, belastete und an Bedingungen geknüpfte Schenkungen oder Vermächtnisse annehmen; 

d) Mietverträge mit mehr als 9 Jahren Laufzeit;

16. Welche Rechtshandlung können als nichtig erklärt werden? 

Falls der Sachwalter bei den Rechtshandlungen seine Befugnisse überschreiten sollte, aber auch wenn der Betroffene Handlungen durchführt, für die eine Unterstützung durch den Sachwalter vorgesehen ist, können der Sachwalter, die Staatsanwaltschaft, der Betroffene, seine Erben oder Rechtsnachfolger die Nichtigkeit beantragen. Die gesetzliche Frist verfällt nach 5 Jahren und beginnt zum Zeitpunkt, an dem die Sachwalterschaft beendet wurde.

17. Bietet die Sachwalterschaft oder die Entmündigung den besseren rechtlichen Schutz?

Der Kassationsgerichtshof bestimmte im Urteil Nr. 13584 vom 12. Juni 2006 ausdrücklich: „Der Anwendungsbereich für die Sachwalterschaft ergibt sich nicht so sehr aus mehr oder weniger schwerer Krankheit oder dem Umstand, dass eine Person mit Pflegebedarf ihre Interessen nicht mehr 20 wahrnehmen kann, sondern weil dieses Mittel den jeweiligen Bedürfnissen besser angepasst werden kann. Das zuständige Gericht beurteilt, in welchem Umfang die oben genannte Maßnahme dem Bedarf entspricht, wobei es im Wesentlichen berücksichtigt, welche Handlungen für den/die Betroffene/n auszuführen sind, wie schwer und langwierig die Krankheit oder aber wie stark und lange die Handlungsfreiheit eingeschränkt ist, und wägt alle sachdienlichen Umstände ab.“ 

Zur Unterstreichung des oben angeführten Prinzips hat das Kassationsgericht 2009 eine weitere Feststellung gemacht. Darin wird ausgedrückt, dass auch bei Vorhandensein eines umfangreicheren Vermögens nicht automatisch eine Berufung eines Vormundes vorzusehen ist. Die Sachwalterschaft, so heißt es in der Begründung Nr. 9628/09, ist nicht dazu geschaffen worden, um in weniger schwerwiegenden Situationen als bei der Vormundschaft angewandt zu werden: Was zählt ist nicht der Grad der Erkrankung oder der Unfähigkeit der Wahrnehmung der eigenen Interessen, sondern die bessere Eignung des Instruments der Sachwalterschaft, wie es mit Art. 404 des BZG eingerichtet worden ist, um den Bedürfnissen der betreffenden Person ohne Autonomie gerecht zu werden. 

Ist ein Antrag auf Sachwalterschaft auch für beschränkt oder vollständig entmündigte Menschen möglich?

Durchaus, aber nur in Verbindung mit dem Antrag, die beschränkte oder vollständige Entmündigung zu widerrufen. Dieser Antrag ist vom Rechtsbeistand beim zuständigen Gericht einzureichen. Die rechtlichen Schutzmaßnahmen der Sachwalterschaft, vollständige und beschränkte Entmündigung sind Alternativen und können folglich nicht gleichzeitig zur Anwendung kommen (ZGB, Artikel 406). 

Was geschieht, wenn die betreute Person stirbt? 

In diesem Fall verfällt die Sachwalterschaft automatisch. Der Sachwalter muss der Kanzlei des Vormundschaftsgerichts mit Hinterlegung einer entsprechenden Urkunde mitteilen, dass die betreute Person verstorben ist und einen Abschlussbericht über die erfolgten Handlungen für den Betreuten bis zu diesem Zeitpunkt beilegen.

RA Dr. Massimo Fontana Ros


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