Schadensersatz Wirecard: Welche Klagen Aussicht auf Erfolg haben – Startschuss für Sammelklage gegen EY

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Durch einen der größten Finanzskandale haben Anleger und Anlegerinnen im Fall Wirecard Verluste in Milliardenhöhe erlitten. Neben einer Anmeldung der Forderungen im Insolvenzverfahren bestehen nach wir vor Möglichkeiten, Schadensersatzansprüche geltend zu machen. Zwischenzeitlich hat sich herauskristallisiert, dass insbesondere Klagen gegen die Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft aussichtsreich sind. Jetzt ist der Startschuss für Aktionärsklagen im Rahmen eines KapMuG-Verfahrens, einer „Sammelklage“, gegen EY im Wirecard-Skandal gefallen: Das Landgericht München I hat seinen bindenden Beschluss verkündet, das Verfahren der nächsten Instanz vorzulegen (Vorlageschluss vom 14.03.2022, Az. 3 OH 2767/22 KapMuG). 

Am 20. Juni 2020 musste die Wirecard einräumen, dass ein bilanzierter Betrag in Höhe von 1,9 Milliarden Euro mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nie existiert hat. Binnen weniger Tage stürzte der Kurs der Wirecard Aktie fast vollständig ab. Wirecard-Aktionäre und Aktionärinnen fragen sich seitdem, ob sie einen Anspruch auf Entschädigung haben, der nicht nur juristisch, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll durchgesetzt werden kann. Wir geben einen aktuellen Überblich, gegenüber welchen wem Schadensersatzansprüche unseres Erachtens mit Aussicht auf Erfolg geltend gemacht werden können. 

Gegenüber der Wirecard AG und deren Vorständen 

Die insolvente Wirecard AG und auch die verantwortlichen Vorstände werden, wenn überhaupt, nur einen kleinen Teil der Kursverluste der geschädigten Anleger und Anlegerinnen ausgleichen können.

Das Privatvermögen der Manager wird nicht annähernd ausreichen, um alle Forderungen auszugleichen. Die D&O-Versicherung der Vorstände (Directors-and-Officers-Versicherung, eine Manager-Haftpflichtversicherung) greift bei Vorsatz nicht. Selbst wenn sie greifen würde, wäre die Deckelung der Versicherung beim vorliegenden Schaden im Wirecard-Finanzskandal zu gering. Hinzu kommt, dass im Falle einer Haftbarkeit der Vorstände auch der Insolvenzverwalter diese in Anspruch nehmen wird. Im Ergebnis wäre eine Privatinsolvenz zu befürchten. Wir halten uns für unsere Mandanten jedoch stets zu möglichen Ansprüchen gegenüber Vorständen der Wirecard AG informiert und prüfen, ob im Rahmen des Strafprozesses ein „Anhängen“ im Rahmen eines sogenannten Adhäsionsverfahrens sinnvoll ist.

Die Wirecard AG stellte am 25. Juni 2020 einen Insolvenzantrag. Im Insolvenzverfahren steht eine volle Befriedigung der Gläubiger und Gläubigerinnen hinsichtlich der hohen offenen Bankverbindlichkeiten der Gesellschaft und mangels Sachwerte mit großer Wahrscheinlichkeit nicht in Aussicht. Die Insolvenzforderungen belaufen sich auf über 12 Milliarden Euro.
 Hinweis: Auch wenn es unzweckmäßig ist, gegen die Wirecard AG vorzugehen, empfehlen wir neben der Prüfung und Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen die Sicherung der Ansprüche im Insolvenzverfahren. Es ist möglich und auch notwendig, die Ansprüche in alle Richtungen gleichzeitig zu verfolgen. Beide Vorgehen – Schadensersatz und Insolvenzverfahren – schließen sich nicht gegenseitig aus und können parallel durchgeführt werden

Gegenüber der BaFin

Die Chancen, erfolgreich Ansprüche gegen die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) geltend machen zu können, stufen wir als gering ein. Diese Einschätzung hat sich auch dadurch bestätigt, dass das Landgericht Frankfurt am Main im Januar dieses Jahres vier Verfahren gegen die BaFin verneint hat (Urteile vom 19.01.2022, Az. 2-04 O 563/20, 2-04 O 561/20, 2-04 O 531/20, 2-04 O 65/21). Die Richter entschieden, dass eine Amtshaftung ausgeschlossen sei; die BaFin nehme ihre Aufgaben nach den gesetzlichen Vorschriften ausschließlich im öffentlichen Interesse wahr und nicht im Interesse einzelner Anleger. Die Amtshaftungskammer folgte damit einer Entscheidung der 8. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt, die bereits Im November 2021 die Klage eines Wirecard-Anlegers abgewiesen hatte (Urteil vom 05.11.2021, Az.: 2-08 O 98/21). Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig.

Das Landgericht Frankfurt weist in den aktuellen Urteilen jedoch explizit auf die Möglichkeit der Schadenskompensierung über die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gegenüber den EY-Wirtschaftsprüfern hin.

Gegenüber EY Wirtschaftsprüfern

Im Wirecard-Komplex können geschädigte Anleger nach ihren teils immensen Kursverlusten auf erfolgreiche Schadensersatzklagen gegen die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY hoffen. Unsere Kanzlei hat von Anfang an die Ernst & Young Wirtschaftsprüfungsgesellschaft als den erfolgversprechendsten Anspruchsgegner für geschädigte Anleger angesehen. Wir sind der festen Überzeugung, dass sich die EY-Wirtschaftsprüfer gegenüber den Wirecard-Anlegern und Anlegerinnen wegen falscher öffentlicher Kapitalmarktinformation i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 KapMuG schadensersatzpflichtig gemacht haben. Denn die Geschädigten hatten Aktienkäufe im Vertrauen darauf getätigt, dass die Jahres- und Konzernabschlüsse und andere Angaben zutreffend sind und gewissenhaft geprüft wurden. Das Unternehmen setzte weltweit im Geschäftsjahr 2020/2021 ca. 37 Milliarden Euro um und ist ein potentiell liquider Gegner mit ausreichender Bonität, um Schadensersatzansprüche bedienen zu können.

Zuletzt haben sich die Chancen für die Betroffenen mit einer Verfügung des Oberlandesgerichts München vom 09.12.2021 (Az. 8 U 6063/21) nochmals verbessert. Im Hinweisbeschluss macht der zuständige 8. Zivilsenat seine Zweifel an der Entscheidung der Vorinstanz, des Landgerichts München I, sehr deutlich. In erster Instanz hatte das Landgericht München I mehrere Schadensersatzklagen gegen EY abgewiesen. In seinem Hinweis rügte das OLG insbesondere die oberflächliche Prüfung der ersten Instanz. Die gerügten Fehler, die in der Vorinstanz verneint wurden, müssen durch ein Sachverständigengutachten überprüft werden. Nach Ansicht des zuständigen Senats hätte eine frühere Verweigerung des Testats durch die Wirtschaftsprüfer wahrscheinlich auch einen früheren Insolvenzantrag der Wirecard AG zur Folge gehabt.

Das OLG München äußerte sich zudem positiv zum sogenannten Kapitalanlagemusterverfahren, indem es dem Landgericht empfiehlt, ein Musterverfahren zu eröffnen.

Startschuss für Sammelklage gegen EY: Vorlagebeschluss erlassen

Das Musterverfahren nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) gegen EY im Wirecard-Finanzskandal steht unmittelbar bevor und wird vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht (BayObLG) in München stattfinden. Das Landgericht München I hat seinen bindenden Beschluss verkündet, das Verfahren der nächsten Instanz vorzulegen (Beschluss vom 14.03.2022, Az. 3 OH 2767/22 KapMuG). Auf diese Nachricht zur Eröffnung einer Sammelklage gegen EY im Wirecard-Finanzskandal haben viele Geschädigte sehnlich gewartet.

In einem KapMuG-Verfahren können Rechtsfragen, die sich in mindestens zehn individuellen Schadensersatzprozessen gleichlautend stellen, einheitlich und mit Bindungswirkung für alle Kläger und Klägerinnen entschieden werden. Es bündelt insbesondere komplexe Verfahren von ein und demselben Sachverhalt, damit Betroffene nicht jeweils einzeln klagen müssen. Vor allem Geschädigte ohne Rechtsschutzversicherung und Kleinanleger und Kleinanlegerinnen mit einer geringeren Aktienzahl profitieren aus Kostengründen von einer Anmeldung im Musterverfahren – aber auch jene, die generell die Risiken eines Verfahrens scheuen. Über eine Anmeldung im Musterverfahren sind Geschädigte nicht direkt am Verfahren beteiligt, werden aber über alle Schritte informiert und können einem möglichen Vergleich mit EY beitreten. 

Der Vorlageschluss ist der Startschuss für Aktionärsklagen im Rahmen eines KapMuG-Verfahrens gegen EY im Wirecard-Skandal. Der Beschluss wirkt sich auch auf alle bereits anhängigen Verfahren gegen EY aus, denn diese werden nun ausgesetzt.

Die Frist zur Anmeldung wird sechs Monate ab Eröffnung betragen. Wir rechnen ab Mitte 2022 mit der Möglichkeit, Ansprüche von Wirecard-Geschädigten anmelden zu können. Anders als bei der Musterfeststellungsklage sieht das Gesetz eine Anmeldung der Ansprüche ohne Rechtsanwalt oder Rechtsanwältin nicht vor, es herrscht Anwaltszwang. Um die Frist zur Anmeldung keinesfalls zu versäumen, sollten Betroffene sich jetzt online registrieren.

Foto(s): Adobe Stock @Olivier Le Moal

Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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