Sexueller Mißbrauch von Kindern § 176 StGB - Strafverteidiger beauftragen

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Der sexuelle Missbrauch von Kindern betrifft ein polarisierendes Gebiet des Strafrecht, welches in letzter Zeit von vielen Reformen und Strafverschärfungen betroffen war. Politisch wird dieses Feld zudem immer weiter in den Fokus gerückt, da der Schutz von Kindern und ihrer Entwicjklung natürlich ein hohes Gut ist. 

Daher kann schon ein Ermittlungsverfahren wegen eines solchen Tatvorwurfs eine enorme stigmatisierende Wirkung erzeugen. Erfolgt später eine Verfahrenseinstellung oder gar ein Freispruch bleibt die Stigmatisierung nicht selten sogar bei erwiesener Falschbeschuldigung oder Irrtümer. Sogar zahlreiche Strafrechtsspezialisten lehnen die Übernahme derartiger Mandate ab, weil sie kein gutes Gefühl bei ordnungsgemäßer Verteidigung haben oder einen schlechten Ruf bei anderen Mandanten befürchten. Dabei versteht sich von selbst, daß der engagierte Strafverteidiger auch in diesem Deliktsbereich bloß den Beschuldigten verteidigt - nicht die vorgeworfene oder tatsächliche Tat.      

Im Fall eines Vorwurfes eines sexuellen Missbrauches an einem Kind ist es daher unerlässlich sich frühzeitig zu informieren. Man muss sich erstmal klar zu machen, was einem vorgeworfen wird und was einen erwarten kann. Sind Sie Beschuldigter eines sexuellen Missbrauches von Kindern gem. § 176 StGB, dann kann Ihnen der folgende Beitrag von Rechtsanwalt H. Urbanzyk einen ersten Überblick über die vorgeworfene Tat verschaffen sowie Sie über ihr weiteres Vorgehen beraten.

Nicht selten stecken hinter diesen Strafvorwürfen gar keine pädophilen Täter. Schon die Beziehung unter Schülern oder das Verschweigen des wahren Alters einer Person können - insbesondere bei späterem Streit oder Eingreifen Dritter - zum Vorwurf des sexuellen Mißbrauchs von Kindern führen. "Zufällig" wird der Vorwurf auch oft erstmals erhoben, wenn nach dem Ende einer Ehe / Lebensgemeinschaft um Unterhalt oder das Umgangsrecht für die gemeinsamen Kinder gestritten wird.    

Der sexuellen Missbrauch von Kinder gem. § 176 StGB wird mit einer Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft. Das Höchstmaß beträgt 15 Jahre Freiheitsstrafe. Die Tat verjährt nach 20 Jahren gem. § 78 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Zu erwähnen ist, dass die Verjährung gem. § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB bis zur Vollendung des 30. Lebensjahr des Opfer ruht. Daher werden Strafverfahren oft auch erst nach vielen Jahren eingeleitet; das erschwert nicht zuletzt die Alibi-Beweisführung.    

Der Tatbestand des sexuellen Missbrauchs unterteilt sich in mehrere verschiedene strafbare Handlungen, die im Folgenden jeweils erläutert werden.


Wer ist ein Kind und wer tauglicher Täter im Sinne des Gesetzes?

Der sexuelle Missbrauch muss an einem Kind vorgenommen werden. Ein Kind ist eine Person unter 14 Jahren. Dies gilt unabhängig vom Geschlecht. Selbst wenn die Tat genau am Tag des 14ten Geburtstags selber stattfand, dann findet § 176 StGB schon keine Anwendung mehr. Auf vorhandene oder nicht vorhandene sexuelle Erfahrenheit des Kindes kommt es nicht an. 


Täter dieser Tat kann jede natürliche Person sein. Die Strafmündigkeit ist gem. § 19 StGB ab 14 Jahren vorhanden. Demnach kann jede Person ab 14 Jahren dem Vorwurf des sexuellen Mißbrauchs von Kindern sein. Hier drohen also bereits Gefahren der Strafverfolgung innerhalb einvernehmlicher Beziehungen unter Schülern und Schülerinnen.  


Vornahme sexueller Handlungen an dem Kind § 176 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 StGB 

Die Vornahme einer sexuellen Handlung an einem Kind muss durch unmittelbaren Körperkontakt an dem Kind durch den Täter erfolgen. Dieser unmittelbare Körperkontakt erfordert keinen unmittelbaren Kontakt mit der Haut des Kindes, sondern auch der Griff über der Kleidung stellt einen Körperkontakt dar. Die Berührung des Körpers durch Gegenstände ist ebenfalls davon erfasst, wenn dadurch der Körper des Kindes in Mitleidenschaft gezogen wird. 

Des Weiteren muss die sexuelle Handlung erheblich sein. Bemessen wird dies anhand der Gefährdung der kindlichen Entwicklung durch die sexuelle Handlung. Entfallen kann die Erheblichkeit bei lediglich kurzen Berührungen. Abzugrenzen sind in diesen Konstellationen die sexuellen Handlungen von den sozialadäquaten Körperkontakten. Im Hinblick auf die mögliche Situation kann auch der Griff zwischen die Beine eines Kindes, um beispielsweise beim Erklimmen eines Klettergerüstes behilflich zu sein, eben eine sozialadäquate Handlung ohne sexuellen Bezug darstellen. Auch kurze Griffe über der Kleidung an Brust oder Gesäß und ein Kuss auf die Wange genügen nicht um als sexuelle Handlung qualifiziert zu werden. 

Das Kind muss die Sexualbezogenheit der Handlung nicht erkennen oder erkennen können, sondern es kommt auf die abstrakte Gefährdung der Entwicklung des Kindes an. Demnach ist auch die Vornahme sexueller Handlungen an einem schlafenden Kind strafbar, denn es besteht immer die Möglichkeit, dass das Kind aufwacht und den Vorgang wahrnimmt.

Folgerichtig sind neutrale Handlungen eben nicht strafbar auch wenn der Täter ihnen eine sexuelle Bedeutung beimisst. 


Vornehmen-Lassen sexueller Handlungen § 176 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 StGB

Auch strafbar macht sich, wer sexuelle Handlungen durch ein Kind an sich vornehmen lässt. Dazu muss das Kind durch den Täter zu dieser sexuellen Handlung gelenkt werden. Geschehen kann dies durch spielerisches Lenken. Von wem die Initiative ausgeht, ist nicht relevant. Es genügt, wenn der Täter die vom Kind ausgehende Initiative bestärkt. Auch bei dieser Handlung muss ein unmittelbarer Körperkontakt erfolgen, der objektiv sexualbezogen ist. Vom Kind muss die Sexualbezogenheit der Handlung nicht erkannt werden. Beispiel: Wenn ein Kind z.B. beim gemeinsamen Baden in unbeeinflusst-spielerischer Weise Genitalien berührt und dann vom Täter in diesem Vorgehen bestärkt wird, ist der Tatbestand erfüllt. Anders ist dies, wenn eine nicht mehr stillende Frau zulässt, dass ein Kind im Grundschulalter spielerisch an ihrer Brust saugt; in dem Fall ist der Tatbestand wiederum nicht erfüllt.


Bestimmung zu sexuellen Handlungen mit Dritten § 176 Abs. 1 Nr. 2 StGB

Diese Variante des Tatbestandes erfordert die Bestimmung des Kindes zu sexuellen Handlungen mit Dritten. Diese Handlungen können an einem Dritten durch das Kind vorgenommen werden oder von einem Dritten an dem Kind geschehen. Unmittelbarer Körperkontakt zwischen dem Kind und dem Dritten ist erforderlich. Der Täter muss das Kind in diesem Fall zu den sexuellen Handlungen mit dem Dritten bestimmen. Bestimmen ist jede unmittelbare Einwirkung auf das Kind, die zumindest mitursächlich für die sexuelle Handlung ist. Die tatsächliche Verursachung, egal mit welchen Mitteln, genügt. Dies kann durch Zwang, Drohung, Täuschung oder Versprechen einer Belohnung erfolgen. Demnach wird auf das Kind selbst durch den Täter eingewirkt. Bei dem Vornehmen-Lassen von sexuellen Handlungen an dem Dritten durch das Kind muss der Täter hierzu einen ursächlichen Beitrag leisten. Der Täter kann beispielsweise die kindliche Neugier wecken, sodass das Kind sexuelle Handlungen beim Dritten vornimmt. Hierbei kann ein schlafendes Kind kein taugliches Opfer sein, denn ein Bestimmen durch den Täter erfordert eine Willenseinwirkung auf das Kind. 

Wichtig ist, dass die Einwirkung auf das Kind und nicht auf den Dritten erfolgen muss. Wird eine Einwirkung auf den Dritten vorgenommen und nicht auf das Kind, läge ein Fall der Anstiftung vor, der rechtlich anders zu bewerten ist.


Anbieten oder Versprechen eines Kindes zum Missbrauch § 176 Abs. 1 Nr. 3 StGB

Der Täter muss um diese Variante des Straftatbestand zu erfüllen ein Kind anbieten oder versprechen. Anbieten umfasst eine Erklärung des Täters, dass er willens und in der Lage ist ein konkret bestimmtes Kind für einen sexuellen Missbrauch zur Verfügung zu stellen. Zur Erfüllung des Straftatbestandes bedarf es nur, dass der Täter es für möglich hält, dass der Erklärungsempfänger sein Angebot ernst nimmt. Es ist nicht entscheidend, ob der Täter auch wirklich in der Lage ist das Angebot zu erfüllen. Das Anbieten muss sich auf eine Tat nach § 176 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 StGB beziehen. 

Ist beiden Parteien bewusst, dass es sich um ein fiktives Angebot handelt, dann entsteht keine Strafbarkeit. Klassischer Fall sind Äußerungen in Chats, die als solche natürlich gleichwohl zu schwerwiegenden Ermittlungsmaßnahmen (Telekommunikationsüberwachung, Hausdurchsuchung, Untersuhungshaft) führen können. 

Bei der Tathandlung des Versprechens muss der Täter noch kein bestimmtes Kind im Auge haben. Täter ist wer einer anderen Person mit deren Einverständnis oder auf deren Verlangen hin zusagt, willens und in der Lage zu sein, ein Kind für Missbrauchstaten zur Verfügung zu stellen. Es genügt das Versprechen eines Nachweises ein Kind zu beziehen. Der Täter sagt einen Erfolg oder ein Tätigwerden zu.

Das zur Verfügung stellen kann auch über Dritte geschehen. Entscheiden für die Strafbarkeit ist, dass der Empfänger das Versprechen ernst nimmt und daran tatsächlich interessiert ist. Zu einem Übergriff muss es nicht kommen. Der bloße Hinweis auf eine Gelegenheit erfüllt den Tatbestand nicht.


Vorsatzerfordernis  

Um eine Straftat gem. § 176 StGB zu erfüllen muss betont werden, dass der Vorsatz des Täters sich auch auf das Alter des Kindes erstrecken muss. Demnach muss dem Täter das Alter des Kindes bewusst sein oder er muss zumindest mit der Möglichkeit rechnen, dass das Opfer unter 14 Jahre alt ist. Dies kann anhand äußerlicher Indizien bestimmt werden, wenn sonstige Indizien fehlen. Dafür kann die Statur, das äußere Erscheinungsbild und das Verhalten des Kindes zur Tatzeit herangezogen werden. Ein Beispiel stellt ein junges Mädchen dar, welches aber zum Zeitpunkt der Tat stark geschminkt war und aufreizende Kleidung trug. Im Fall einer solchen Konstellation kann darüber gestritten werden, ob das Alter offensichtlich erkennbar war. 

Sollte der Vorsatz bezüglich des Alters fehlen, kommt der Straftatbestand des sexuellen Missbrauchs von Kindern nicht mehr in Frage, aber der des sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen gem. § 182 StGB wird dann vermutlich erfüllt sein (Ausnahmen bei Einvernehmlichkeit natürlich möglich). Hierdurch verschiebt sich der Strafrahmen, sodass ein solcher Verteidigungsansatz durchaus in Betracht zu ziehen ist. 

Jedoch sollten solche Argumentationsperspektiven zuvor mit einem erfahrenen Strafverteidiger besprochen werden und nicht auf eigene Faust Aussagen gegenüber den Strafverfolgungsbehörden getätigt werden, denn diese können einem später auch negativ angelastet werden.


Absehen von Strafe § 176 Abs. 2 StGB - vor allem unter Jugendlichen

In Fällen der Tatbegehung gem. § 176 Abs. 1 Nr. 1 StGB kann auch von der Strafe abgesehen werden. Dafür muss es sich bei der sexuellen Handlung um eine einverständliche sexuelle Handlung handeln. Des Weiteren müssen Täter und Kind annähernd gleichaltrig sein und einen ähnlichen Entwicklungsstand oder Reifegrad aufweisen. Die Gesetzesbegründung nennt das Beispiel eines einvernehmlichen Zungenkusses zwischen einer 14-jährigen und einer 13-jährigen Person. Der Täter muss demnach noch Jugendlicher sein andernfalls ist der Altersunterschied zu groß. Wichtig ist, dass kein Ausnutzen durch den Täter erfolgt. Dies läge vor, wenn ein Einvernehmen in die Handlung durch Täuschung oder Druck erzwungen wird. Liegen die Voraussetzungen des Absatz 2 vor, entfällt die Strafbarkeit.  


Verteidigung ab der ersten Sekunde!

Der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs an Kindern verursacht oft schwerwiegende Folgen. Eine Verurteilung wegen einer solchen Straftat und eine daraus folgende Eintragung im Führungszeugnis kann unter Umständen das ganze Leben erschüttern. Dementsprechend ist es bei einem solchen Vorwurf unerlässlich frühzeitig einen erfahren Strafverteidiger zu engagieren, der Sie verlässlich berät und das beste mögliche Ergebnis erzielt. Auch der Unschuldige der Opfer einer Falschbeschuldigung oder falscher Altersangaben ist, sollte professioneller Hilfe im Strafrecht bedienen. 

Rechtsanwalt Heiko Urbanzyk ist Fachanwalt für Strafrecht in Coesfeld (bei Bocholt, Dülmen, Münster). Er blickt auf bundesweite Erfahrung im Sexualstrafrecht und sichert Ihre rechtsstaatlichen Verfahrensrechte auch in den Fällen, in denen viele Menschen und Behörden sie am liebsten aushebeln würden.    

Wichtig: Der Straftatbestand wurde am 01.07.2021 reformiert. Für Fälle die sich auf einen vorherigen Zeitraum beziehen, können abweichende Regelungen gelten.

Foto(s): Heiko Urbanzyk

Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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