Sind Fichten – Bäume eine Hecke - und ist ein Flugzeug ein Omnibus?

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Nachbarliche Themen – vor allem solche an der gemeinsamen Nachbargrenze – werden oftmals leidenschaftlich ausgetragen. So hatte das Amtsgericht Stockach (Az.: 1 C 120/21) einen Fall zu entscheiden, bei dem die Frage zu klären war, ob Bäume in Reihe gewachsen eine Hecke
darstellen können. Der Fall war durch gewisse Absurditäten gezeichnet, so dass das Gericht einen waghalsigen Vergleich zwischen Bäumen und Fahrzeugen anstellte.

1. Der neue Nachbar kommt.....

Stellen Sie sich vor, Sie sind seit vielen Jahren Eigentümer eines Grundstückes, das nach öffentlichem Baurecht im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes liegt. Die eine Seite Ihres Grundstückes grenzt an ein bisher unbebautes Grundstück. Auf Ihrer Grundstücksseite steht nicht unmittelbar an der Nachbargrenze - aber im Bereich der Nachbargrenze eine Reihe von hochstämmigen Fichten. Die Fichten – Reihe hat ca. 10 Fichten mit jeweils
einer Höhe von ca. 20 m. Die Bäume sind ca. 60 Jahre alt. Allein aus diesem Grund käme man vermutlich nicht ohne Weiteres auf die Idee diese Bäume fällen zu wollen.

Ihr neuer Nachbar aber schon. Denn der kauft das bisher unbebaute Nachbargrundstück mit der Absicht dort ein Gebäude zu bauen. Aus diesem Grund stellt sich der neue Nachbar bei Ihnen vor, allerdings nicht persönlich, sondern mit einem Schreiben seines Rechtsanwaltes. In diesem Schreiben werden Sie aufgefordert, Ihre Fichten auf eine Höhe von 1,80 m zu verkürzen. Denn der neue Nachbar hat festgestellt, dass die geplante Fotovoltaik-Anlage
auf seinem noch zu errichtenten Gebäude nicht ausreichend mit Sonnenlicht versorgt werden kann - denn Ihre Bäume sind hierzu einfach im Weg und versperren die Belichtung.

Da man sich nicht auf eine Kürzung der Bäume verständigen konnte, landet dieser Fall vor Gericht. Der neue Nachbar verklagt Sie auf Verkürzung sämtlicher Fichten von ihrer Höhe von ca. 20 m auf 1,80 m. Als juristischer Ansatz und Anspruchsgrundlage wird § 12
Nachbarrechtsgesetz Baden-Württemberg (NRG) herangezogen.

2. Fichten - Bäume oder Hecke?

In dieser Vorschrift ist geregelt, dass eine Hecke an der Nachbargrenze einerseits eine Höhe von 1,80 m erreichen darf und gleichzeitig ein Abstand von 50 cm von der Grenze einzuhalten ist. Hintergrund der Regelung ist, dass der Nachbar einerseits nicht zu sehr verschattet werden soll und zum anderen, dass die Hecke nicht in das Nachbargrundstück hineinwächst. Nach § 12 Abs. 3 NRG hat ein Nachbar sogar einen durchsetzbaren Anspruch auf Verkürzung gegen den Grundstückseigentümer, dessen Hecke zu hoch wächst. Nach der Regelung kommt es nicht darauf an, dass der Nachbar beziehungsweise dessen Grundstück konkret beeinträchtigt sind.

Vermutlich stutzt man bereits jetzt, wieso Bäume, die eine Höhe von 20 m haben und nebeneinander stehen eine Hecke sein sollen. Dies war auch beim betroffenen Beklagten und auch durchaus beim Gericht der Fall.

Der juristische Laie wird als Hecke die landläufig bekannte Efeuhecke im Blick haben. Hier wird man als Nichtjurist und Jurist einig darin sein, dass es sich bei einer geschlossenen Efeu-Aneinanderreihung um eine Hecke handelt.

Bei der Auslegung von juristischen Gesetzesbegriffen kommt es allerdings nicht nur auf das Laienverständnis an, sondern ein Gesetzesbegriff kann aufgrund der Systematik eines Gesetzes und dem besonderen Willen des Gesetzgebers anders ausgelegt werden.
Um zu prüfen, ob die Fichten – Bäume auch eine Hecke sein können, zieht das Gericht im vorliegenden Fall die gängige Definition einer Hecke heran. Demnach gilt,

„Gemeinhin wird eine solche - Hecke -beschrieben als Gruppe gleichartig wachsender Gehölze, die in langer und schmaler Erstreckung in einer Linie aneinandergereiht sind bei Geschlossenheit
der Pflanzkörper unter sich – der sogenannte Dichteschluss.

Dem entsprechend ist nicht jeder in langer und schmaler Erstreckung in einer Linie mit Dichteschluss versehe Pflanzenreihe eine Hecke, andernfalls hätte der Gesetzgeber anstelle des Begriffes der Hecke
gleich deren Beschreibung in den Gesetzeswortlaut übernehmen können.“

Sodann hat das Gericht betont, dass es immer eine Frage des Einzelfalls ist, ob ein Gewächs so Blick dicht aneinander gereiht steht, dass es als Hecke einzustufen ist. Unter der juristischen Auslegung ist es daher durchaus möglich, dass beispielsweise sehr eng aneinandergereihte Tannenbäumchen eine Hecke darstellen können. Im vorliegenden Fall hat der Beklagte darauf hingewiesen, dass die Fichten derart weit auseinander stehen, dass man problemlos zwischen den Baumstämmen hindurch laufen kann.

Mit dieser Argumentation hat auch das Gericht angenommen, dass dann kein blickdichter Dichtschluss (mehr) gegeben ist. Denn eine Hecke könne nur dann angenommen werden, wenn der Dichteschluss letztlich schon unmittelbar oberhalb des Bodens beginnt. Wenn die Verästelung bei Bäumen erst in einer Höhe von mehr als 5 m beginnt, ist kein durchgängiger Dichtschluss (mehr) gegeben. Um zu verdeutlichen, dass Bäume die nebeneinander stehen nicht automatisch zu einer Hecke werden, hat das Gericht den
Vergleich herangezogen, dass


"Ein Passagierflugzeug auch nicht deshalb ein Omnibus ist, weil viele Menschen darin Platz finden, es ein Fahrwerk aus teils gelenkten und gebremsten Rädern, einen Antrieb undeinen Chauffeur hat."

Aus diesem Grund wurde die Klage auf Verkürzung der Fichten, die nun keine Hecke sind, abgelehnt. Da der Kläger immer noch die Befürchtung hatte, dass sein Grundstück nicht genug Licht abbekommt, ging er in Berufung zum Landgericht Konstanz. Das Landgericht Konstanz  (B 61 S 72/21) hat die Berufung abgewiesen und ergänzend noch zum Thema Hecke betont,


„Wesentlich ist dabei die Geschlossenheit der Pflanzkörper unter sich, der Verbund zu einer wandartigen Formation. Dabei genügt es, wenn der Dichteschluss erst im Laufe der Zeit aufgrund der Art gemäßen Ausdehnung der Pflanzen erreicht wird. Eine wandartige Formation mit einem entsprechenden Sichtschutz ist aufgrund der bestehenden Lücken zwischen den Bäumen im unteren Bereich nicht gegeben."

Damit kann festgehalten werden, dass von einer Hecke zwar auch bei sehr eng nebeneinander stehenden Bäumen ausgegangen werden kann, es dann allerdings darauf ankommt, dass bereits im unteren Bereich der Pflanzen eine wandartige Geschlossenheit gegeben ist. Dies ist jedenfalls dann nicht der Fall, wenn man problemlos zwischen den Baumstämmen hindurch laufen kann.

Es blieb insofern dabei, dass kein Anspruch auf Verkürzung der Bäume besteht. Auch aus der Vorschrift des § 16 NRG ergeben sich keine Ansprüche auf Verkürzung der Fichten. Denn dort ist im Wesentlichen geregelt, dass bei der Anpflanzung von Gehölzen bestimmte Abstände zur Grenze einzuhalten sind.

3. Tipp für Friede an der Nachbargrenze

Quintessenz dieses Falles ist, dass man bei der Anpflanzung von Gehölzen, Sträuchern, oder Hecken als Grundstückseigentümer unbedingt auf die Einhaltung der Abstände aus § 16 NRG und § 12 NRG achten muss. Bäume sollten so gepflanzt werden, dass sie keine Hecke darstellen werden. 

Denn sollte eine Auslegung im Einzelfall ergeben, dass ein durchgängiger wandartiger Blickschutz gegeben ist, könnte ein Anspruch des Nachbarn entstehen, dass auch Bäume zu verkürzen sind. Aus botanischer Sicht stellt sich dann nämlich die Problematik, dass eine erhebliche Verkürzung eines Baumbestandes zu dessen Schädigung bis hin zum Absterben führen kann. Sollte ein Verkürzungsanspruch eineR Hecke allerdings gegeben sein, geht die Rechtsprechung davon aus, dass der Verkürzungsanspruch auch
dann besteht, wenn eine Anpflanzung irreparabel beschädigt wird.

Aus Sicht eines Nachbarn, der beispielsweise ein neues Grundstück erwirbt, muss sich im Klaren sein, dass vorhandene Baumbestände oder andere Anpflanzungen im Bereich der gemeinsamen Nachbargrenze nicht ohne weiteres entfernt werden müssen. Bei der
baurechtlichen Planung von Gebäuden ist insofern zu bedenken, dass es zu Einschränkungen der eigenen Grundstücksnutzung und Bebaubarkeit kommen kann.

 Anzumerken ist, dass auch im vorliegenden beschriebenen Fall das Gericht den Kläger gefragt hat, warum er denn ein Grundstück erwirbt, wenn doch absehbar war, dass es zu einer Verschattungsproblematik kommen könnte und er doch den Baumbestand bei Besichtigung des Grundstückes doch bestimmt gesehen haben muss. 

Man sollte sich als Eigentümer eines Grundstücks nicht darauf verlassen, dass man am vorhandenen Bestand etwas ändern kann, sondern unter Umständen muss man mit der vorhandenen umgebenden Bebauung und sonstigen Umständen und Gegebenheitenwie Bäumen leben muss.

Foto(s): Norman Balß


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