Sind Notärzte abhängig beschäftigt?

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Notärzte, die über eine Notarztbörse Dienste übernehmen, sind in der Regel als selbstständig einzustufen und nicht weisungsabhängig beschäftigt, so entschied das Landessozialgericht NRW am 8.2.2017 (Az. L 8 R 162/15). Diese Einstufung basiert darauf, dass Notärzte zwar gesetzlichen Vorgaben folgen, jedoch keinen direkten Weisungen eines Dienstherrn unterliegen. Ein entscheidender Faktor für die Selbstständigkeit ist, dass der Rahmenvertrag mit dem Auftraggeber vor allem Rechtsmacht im Rahmen gesetzlicher Vorgaben vorsieht und keine spezifische Weisungsbefugnis beinhaltet. Die tatsächliche Durchführung der Tätigkeit unterstreicht die Selbstständigkeit durch Elemente wie Rechnungsstellung und eigenständige Versicherung und Versteuerung der Einnahmen. Die Notärzte sind nicht in den Betrieb des Auftraggebers eingegliedert und tragen kein unternehmerisches Risiko. Die eigenständige Gestaltung ihres Dienstes und die vertragliche Freiheit betonen ihre Selbstständigkeit trotz fehlender Betriebsstätte und geringem Unternehmerrisiko. Für individuelle Beratung zu diesem Thema steht Rechtsanwalt Markus Karpinski, Fachanwalt für Medizinrecht und Sozialrecht, zur Verfügung.

Nein! Notärzte, die sich für einzelne Dienste über eine Notarztbörse bewerben, sind in der Regel nicht abhängig beschäftigt. Denn sie sind nicht weisungsabhängig von einem Dienstherrn, sondern befolgen lediglich gesetzliche Vorgaben. Voraussetzung für die Selbständigkeit der Notärzte ist, dass der Rahmenvertrag dem Auftraggeber im Wesentlichen lediglich eine Rechtsmacht gibt, die mit den gesetzlichen Vorgaben für den Notarztdienst übereinstimmt. Dies entschied das Landessozialgericht NRW, Urteil vom 8.2.2017, Az. L 8 R 162/15.

Ob ein Notarzt abhängig beschäftigt ist oder nicht, muss für jeden Einzelfall gesondert geprüft und beurteilt werden.

Was ist passiert? Wie bekamen die Notärzte ihre Dienste?

Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen musste über die Frage der abhängigen Beschäftigung in folgender Situation entscheiden:

Nach dem Rettungsgesetz NRW sind die Kreise Träger des Rettungsdienstes. Das heißt, sie sind dazu verpflichtet, die bedarfsgerechte und flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Leistungen der Notfallrettung sicherzustellen, einschließlich der notärztlichen Versorgung im Rettungsdienst und des Krankentransports.

Zunächst erfolgte die notärztliche Versorgung in einer zum Kreis gehörenden Stadt über die Krankenhäuser und das dort beschäftigte Personal. Als ein Krankenhaus geschlossen wurde, war dies nicht mehr möglich. Um die notärztliche Versorgung sicherzustellen, wurde ein Verein gegründet.

Aufgabe des Vereins ist es, den Kreis bei der Sicherstellung der notärztlichen Versorgung zu unterstützen. Der Verein organisiert die notärztliche Versorgung der Bevölkerung im Kreis, führt Dienstpläne über die zu vergebenden Notarztdienste, wirbt qualifizierte Ärzte für den Notarztdienst an, schult diese Ärzte und beauftragt sie auf Honorarbasis.

Kurz nach seiner Gründung schlossen der Verein und der Kreis eine „Vereinbarung über die Maßnahmen zur Sicherstellung der notärztlichen Versorgung im Kreis“ (Versorgungsvereinbarung). Mit dieser Vereinbarung übertrug der Kreis dem Verein den Betrieb des Notarztdienstes in einem bestimmten Versorgungsgebiet entsprechend den Vorgaben des Rettungsdienstbedarfsplanes. Diesen Plan muss der Verein beachten.

Der Verein ist verpflichtet, die notärztliche Versorgung zu organisieren und sicherzustellen. Dabei muss er auch die Vorgaben des Rettungsgesetzes NRW beachten. Das heißt beispielsweise, dass er Ärzte einsetzen muss, die gesundheitlich und körperlich geeignet sind und eine entsprechende Qualifikation haben.

Zur Organisation gehören nach der Vereinbarung auch die Aufstellung der Dienstpläne und die Diensteinteilung im Notarztdienst.

Der Kreis stellt an der für den Dienst vorgesehenen Rettungswache einen Aufenthaltsraum für die Notärzte zur Verfügung. Außerdem stellt der Kreis dem Verein unentgeltlich ein Notarzt-Einsatzfahrzeug (NEF) einschließlich eines fachlich geeigneten Fahrers sowie die für die Alarmierung notwendigen Mittel und einen Büroraum zur Verfügung.

Die Notarzteinsätze werden nach der Vereinbarung ausschließlich durch die Leitstelle des Kreises disponiert, alarmiert und gelenkt.

Um die genannten Aufgaben erfüllen zu können, ist der Verein auf die freiwillige Unterstützung entsprechend qualifizierter Ärzte angewiesen, die gegen ein entsprechendes Honorar bereit sind, Notarztdienste zu übernehmen.

Deshalb schloss der Verein mit jedem Notarzt, der Notarztdienste übernehmen wollte, eine sog. „Honorarrahmenvereinbarung über den freiberuflichen Dienst als Notarzt“ (HRV). Danach ist der Notarzt freiberuflich tätig und unterliegt bei der Durchführung seiner medizinischen Tätigkeit keinen Weisungen des Vereins, die nicht in der HRV vorgesehen sind. Es steht ihm frei, dem Verein seine Dienste anzubieten. Wenn der Verein einen vom Notarzt angebotenen Dienst annimmt, dann muss der Notarzt die während dieses Dienstes von der Kreisleitstelle angeordneten Rettungseinsätze leisten. Nach der HRV ist der Notarzt verpflichtet, während seiner Tätigkeit Schutzkleidung und den ihm zur Verfügung gestellten Funkmeldeempfänger bei sich zu tragen, bei Antritt des Dienstes voll einsatzfähig zu sein, seinen Ausfall wegen Krankheit unverzüglich der Kreisleitstelle und dem Verein zu melden. Der Notarzt muss seinen Dienst am für ihn vorgesehenen Standort beginnen und beenden.

In der HRV wurde auch geregelt, dass eine Schicht 12 Stunden beträgt und dass eine Verpflichtung zur Ableistung einer bestimmten Anzahl von Notarztdiensten nicht besteht. Die Dienstpläne werden von dem Verein aufgestellt und koordiniert. Ein Plan wird jeweils für einen Kalendermonat im Voraus aufgestellt und in der letzten Woche des laufenden Monats dem Notarzt zugeschickt. Der Notarzt muss die ihm zugeteilten Dienste bestätigen. Dienste dürfen nur mit Zustimmung des Vereins getauscht werden.

Der Verein vergütet die geleisteten Dienste pro geleistete Dienststunde. Der Notarzt versichert sich und versteuert seine Einkünfte selbst.

Unter welchen Voraussetzungen ist eine abhängige Beschäftigung eines Notarztes anzunehmen?

Anhaltspunkte hierfür sind eine Tätigkeit nach Weisungen, eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers sowie die persönliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber.

Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vorwiegend durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet.

Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich nach dem Gesamtbild der Arbeitsleistung. Ausgangspunkt für die Beurteilung ist der Inhalt der zwischen den Beteiligten getroffenen Vereinbarung.

Was spricht aus Sicht der Rentenversicherung für eine abhängige Beschäftigung der Notärzte?

Für eine abhängige Beschäftigung spreche, dass die Notärzte auf der Grundlage einer Rahmenvereinbarung tätig werden, die die Arbeitszeit (12 Stunden pro Schicht), den Arbeitsort, das Entgelt pro geleisteter Dienststunde und Kündigungsfristen regelt. Die Aufstellung der Dienstpläne und die Diensteinteilung im Notarztdienst oblägen allein dem Verein. Es bestehe die Verpflichtung, während der Dienstzeit die erforderliche Schutzkleidung sowie den zur Verfügung gestellten Funkmeldeempfänger zu tragen. Dokumentationsunterlagen seien sorgfältig und vollständig auszufüllen. Laut Vertrag seien die Schichtzeiten vorgegeben. Eine Verhinderung durch Krankheit sei unverzüglich zu melden. Es erfolge eine erfolgsunabhängige Vergütung i.H.v. 30,00 Euro pro geleisteter Dienststunde. Es werde kein eigenes Kapital mit der Gefahr des Verlustes eingesetzt.

Warum sind die Notärzte aus der Sicht des Landessozialgerichts NRW nicht abhängig beschäftigt?

Das Landessozialgericht NRW ist anderer Ansicht, weil die zwischen dem Verein und der Notärztin getroffenen vertraglichen Vereinbarungen und deren tatsächliche Umsetzung eher für eine selbstständige Tätigkeit stehen. Hierfür sprechen die Rechnungsstellung, der Abschluss einer eigenen Berufshaftpflichtversicherung, die eigenständige Beitragszahlung gegenüber dem zuständigen Versorgungswerk und der Versteuerung der Einnahmen als solche aus selbstständiger Tätigkeit.

Weisungsgebundenheit der Notärzte durch Erfüllung des Rettungsgesetzes NRW?

Die Notärzte sind nur an die Vorschriften des Rettungsgesetzes NRW gebunden, nicht an Weisungen der Auftraggeber. Aus der Bindung an diese gesetzlichen Vorschriften ergibt sich eine Weisungsabhängigkeit aber gerade nicht. Denn an diese Vorschriften sind alle Notärzte gebunden: die abhängig Beschäftigten und die selbstständig Tätigen.

Weisungsabhängigkeit ist nur gegeben, wenn der Auftraggeber gegenüber dem Notarzt eine Weisungsbefugnis hat, die über die sich aus dem Rettungsgesetz NRW ergebende Weisungsbefugnis hinausgeht. D. h. in dem Vertrag zwischen dem Auftraggeber und dem Notarzt müsste geregelt sein, dass der Auftraggeber dem Notarzt auch Weisungen erteilen kann, die über das hinausgehen, was der Notarzt sowieso schon aufgrund des Rettungsgesetzes NRW tun muss.

Eine solche Weisungsbefugnis hatte der Auftraggeber im hier entschiedenen Fall nicht.

Die Notärzte waren weder zeitlich noch örtlich in den Betrieb des Auftraggebers eingegliedert. Zwar mussten die Notärzte die übernommenen Dienste auch ableisten, aber die Dienste selbst wurden jeweils einzelvertraglich vereinbart. Es wurde für jeden einzelnen Dienst ein gesonderter Auftrag erteilt. Auch auf die Lage, die Anzahl und Dauer der jeweiligen notärztlichen Einsatzfahrten durch die Notärzte hat der Verein dagegen keinen Einfluss. Die Einsätze werden durch die Leitstelle gelenkt.

Auch in örtlicher Hinsicht kann der Verein den Notärzten nicht mehr vorschreiben, als bereits durch das Rettungsgesetz geregelt ist. Das Rettungsgesetz bestimmt, welches Gebiet von welchem Notarztstandort aus zu betreuen ist. Der konkrete Einsatzort wird wiederum von der Leitstelle festgelegt.

Ist der Notarzt in den Betrieb des Auftraggebers eingegliedert?

Das Gericht geht davon aus, dass der Verein als Auftraggeber gar keine selbst strukturierte Arbeitsorganisation hat, in die sich die Notärztin eingliedern könnte, da die Organisation des Notarztdienstes von dem Kreis nach den Vorgaben des Rettungsgesetzes organisiert wird. Da der Verein keine Ordnung des Betriebes vorgibt, kann sich die Notärztin auch nicht in diesen eingliedern.

Auch die Mitteilungspflicht im Krankheitsfall begründet keine Eingliederung. Diese Mitteilungspflicht ist lediglich Ausdruck der Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Vertragspartners. Wenn die Notärztin absehen kann, dass sie den angebotenen Dienst nicht übernehmen kann, dann muss sie dem Verein Bescheid geben, damit der seinen Vertrag mit dem Kreis einhalten kann.

Fehlendes unternehmerisches Risiko und fehlende eigene Betriebsstätte überwiegen nicht

Für die Beurteilung, ob jemand selbstständig tätig oder abhängig beschäftigt ist, ist eine Gesamtabwägung vorzunehmen. Die fehlende Weisungsgebundenheit und die fehlende Eingliederung in den Betrieb des Auftraggebers sprechen für eine selbstständige Tätigkeit der Notärztin. Im Vergleich dazu fällt es nicht so sehr ins Gewicht, dass sie keine eigene Betriebsstätte und kein nennenswertes unternehmerisches Risiko hat.

Kontaktieren Sie mich, Rechtsanwalt Markus Karpinski, Fachanwalt für Medizinrecht und Fachanwalt für Sozialrecht von der Kanzlei für Pflegerecht in Lüdinghausen unter 0 25 91 – 20 88 58 und Dortmund unter  02 31 - 22 25 568 .


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