Sind Plattformverbote und sonstige Einschränkungen der Nutzung von Online-Marktplätzen kartellrechtskonform?

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Die in den letzten Jahren sehr intensive Diskussion, ob Hersteller gegenüber Händlern den Onlinevertrieb in einer Weise reglementieren dürfen, dass Händlern ein Plattformverbot oder eine Einschränkung für die Nutzung von Online-Marktplätzen wie Amazon oder Ebay auferlegt wird, wird durch die Positionierung der Europäischen Kommission in den neuen Vertikalleitlinien (die seit diesem Sommer in Kraft sind) neu justiert.

Das Bundeskartellamt hat in der Vergangenheit gegenüber Plattformverboten eine tendenziell kritische Haltung eingenommen und Plattformverbote wie teilweise auch deutsche Gerichte als Kernbeschränkung im Rahmen des Kartellverbots – also als schwerwiegenden und somit mit hohen Bußgeldrisiken behafteten Kartellrechtsverstoß - eingestuft. Dagegen hatte der Europäische Gerichtshof im Coty-Urteil und auch die Europäische Kommission Marktplatzverbote nicht prinzipiell als Kernbeschränkungen bewertet.

Mit großer Spannung war erwartet worden, wie die Kommission sich für die Zukunft in den neuen, erläuternden sog. Vertikalleitlinien und der unmittelbar in den Mitgliedstaaten geltenden Vertikalgruppenfreistellungsverordnung (sog. Vertikal-GVO), welche insbesondere bei Einhaltung der Marktanteilsgrenzen und dem Nichtvorliegen von Kernbeschränkungen eine praktische automatische Freistellung vom Kartellverbot im Sinne eines sicheren Hafens statuiert, positionieren wird.

Denn sowohl für Hersteller im Rahmen der Vertriebsgestaltung als auch für Händler zur Optimierung ihrer Absatzmöglichkeiten ist die Frage von wirtschaftlich sehr hoher Bedeutung.

Plattformverbote können  grundsätzlich gruppenfreistellungsfähig sein

Zusammengefasst gilt: Einschränkungen betreffend der Nutzung von Online-Marktplätzen einschließlich Plattformverboten können unter den sicheren Hafen der sog. Vertikal-GVO fallen.  Voraussetzung ist, dass die Einschränkungen weder mittel- noch unmittelbar den Zweck haben, die wirksame Nutzung des Internets durch den Abnehmer für den Verkauf der Vertragswaren oder -dienstleistungen an Kunden in bestimmten Gebiete oder an bestimmte Kunden zu verhindern, und dass die Marktanteile sowohl des Anbieters als auch des Abnehmers 30% nicht übersteigen.

Einzelfallanalyse immer erforderlich

Im Einzelnen gilt aber, dass eine kartellrechtliche Einzelfallanalyse im Lichte der hohen Bußgeld- und Schadensersatzrisiken stets erforderlich ist. Denn die Grenze zwischen einer erlaubten Vorgabe hinsichtlich der Art und Weise des Onlineverkaufs und einer verbotenen Verhinderung der wirksamen Internetnutzung hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Eine verbotene Verhinderung der wirksamen Internetnutzung kommt etwa in Betracht, wenn ein Verkauf eines bestimmten Produkts über eine (bestimmte) Plattform von elementarer Bedeutung ist, um das betreffende Produkt überhaupt online absetzen zu können.

Völliges Plattformverbot als auch Einschränkung der Nutzung von Plattformen können kartellrechtlich problematisch sein

Anbieter möchten möglicherweise die Nutzung von Online-Marktplätzen durch ihre Abnehmer einschränken, um beispielsweise das Image und die Positionierung ihrer Marke zu schützen, den Verkauf von gefälschten Produkten zu verhindern, ausreichende Dienstleistungen vor und nach dem Verkauf zu gewährleisten oder sicherzustellen, dass der Abnehmer eine direkte Beziehung zu den Kunden unterhält.

Solche Einschränkungen können von einem völligen Verbot der Nutzung von Online-Marktplätzen bis hin zu Beschränkungen der Nutzung von Online-Marktplätzen reichen, die bestimmte qualitative Anforderungen nicht erfüllen.

Beispielsweise können Anbieter die Nutzung von Marktplätzen verbieten, auf denen Produkte versteigert werden, oder sie können von den Abnehmern verlangen, spezialisierte Marktplätze zu nutzen, um bestimmte Qualitätsstandards in Bezug auf das Umfeld, in dem ihre Waren oder Dienstleistungen verkauft werden können, zu gewährleisten. Das Vorschreiben bestimmter qualitativer Anforderungen kann de facto auf ein Verbot der Nutzung von Online-Marktplätzen hinauslaufen, weil kein Online-Marktplatz in der Lage ist, die Anforderung zu erfüllen. Dies kann beispielsweise zutreffen, wenn der Anbieter verlangt, dass das Logo des Online-Marktplatzes nicht sichtbar ist oder dass der Domainname einer vom Einzelhändler genutzten Website den Namen des Unternehmens des Einzelhändlers enthält.

Verhinderung der wirksamen Internetnutzung als Kernbeschränkung nicht freigestellt

Vereinbarungen, die unmittelbar oder mittelbar, für sich allein oder in Verbindung mit anderen Umständen unter der Kontrolle der beteiligten Unternehmen zum Zweck hat, die wirksame Nutzung des Internets durch den Abnehmer oder dessen Kunden für den Verkauf der Vertragswaren oder -dienstleistungen an Kunden in bestimmte Gebiete oder an bestimmte Kunden zu verhindern, stellt eine Kernbeschränkung dar und ist somit nicht über die Vertikal-GOV freigestellt.

Anforderungen in Bezug auf die Art und Weise des Onlineverkaufs hingegen erlaubt

Andererseits können Anforderungen, die der Anbieter dem Abnehmer bezüglich der Art und Weise auferlegt, in der die Vertragswaren oder -dienstleistungen verkauft werden sollen, unabhängig von der Art des Vertriebssystems unter die Vertikalgruppenfreistellung fallen.

Der Anbieter kann deshalb nach Auffassung der Europäischen Kommission dem Abnehmer Anforderungen in Bezug auf die Art und Weise, in der die Vertragswaren oder -dienstleistungen online verkauft werden sollen, vorschreiben.

Für Beschränkungen hinsichtlich der Nutzung bestimmter Online-Vertriebskanäle wie Online-Marktplätze kann in der Regel unabhängig von der Art des verwendeten Vertriebssystems die gruppenweise Freistellung gelten, sofern sie nicht indirekt darauf abzielen, die wirksame Nutzung des Internets durch den Abnehmer für den Verkauf der Vertragswaren oder -dienstleistungen an Kunden in bestimmten Gebiete oder an bestimmte Kunden zu verhindern. Beschränkungen von Online-Verkäufen dienen in der Regel nicht diesem Ziel, wenn es dem Abnehmer weiterhin freisteht, einen eigenen Online-Shop zu betreiben und online zu werben. In diesen Fällen wird der Abnehmer nicht daran gehindert, das Internet für den Verkauf der Vertragswaren oder -dienstleistungen wirksam zu nutzen.

Insbesondere kann der Abnehmer trotz einer Beschränkung oder eines Verbots des Verkaufs auf Online-Marktplätzen die Vertragswaren oder -dienstleistungen weiterhin über seinen eigenen Online-Shop und andere Online-Kanäle verkaufen, und er kann Techniken zur Suchmaschinenoptimierung nutzen oder online Werbung betreiben, unter anderem auch auf Plattformen Dritter, um die Sichtbarkeit seines Online-Shops oder anderer Vertriebskanäle zu erhöhen.

Im Einzelfall ist entscheidend, ob dem Abnehmer hinreichende Absatzmöglichkeiten über das Internet bei der konkreten Einschränkung effektiv verbleiben.

Positionierung des Bundeskartellamts bleibt abzuwarten

Das Bundeskartellamt und deutsche Gerichte sind zwar an die Gruppenfreistellungsverordnung, jedoch nicht an die Vertikalleitlinien gebunden. Die Vertikalleitlinien dienen aber dennoch als wichtige Orientierungshilfe. Gut denkbar ist, dass das Bundeskartellamt (und auch deutsche Gerichte) auch weiterhin eine tendenziell etwas strengere Linie verfolgen wird und somit die Schwelle zur Kernbeschränkung schon früher als die Kommission als überschritten ansehen werden.

Bei hohen Marktanteilen ist die Kartellrechtsanalyse komplexer

Sofern Anbieter- oder Abnehmer über Marktanteile von über 30% verfügen, ist der sichere Hafen der Gruppenfreistellungsverordnung nicht anwendbar und es bedarf einer sog. Einzelfreistellung, die kartellrechtlich einzelfallbezogen gelingen kann, aber einer sehr fundierten Rechtfertigungsgrundlage bedarf.

Relevante Kriterien

Zu diesem Zweck muss die Marktstellung des Anbieters und seiner Wettbewerber berücksichtigt werden. Zweitens sind die Art und der Umfang der Beschränkungen hinsichtlich der Nutzung von Online-Marktplätzen zu berücksichtigen. So ist beispielsweise ein Verbot aller Verkäufe über Online-Marktplätze restriktiver als eine Beschränkung der Nutzung bestimmter Online-Marktplätze oder die Vorgabe, nur Online-Marktplätze zu nutzen, die bestimmte qualitative Kriterien erfüllen. Drittens sollte die relative Bedeutung der eingeschränkten Online-Marktplätze als Vertriebskanal auf den sachlich und räumlich relevanten Märkten berücksichtigt werden. Schließlich sollte die kumulative Wirkung anderer vom Anbieter auferlegter Beschränkungen für Online-Verkäufe oder -Werbung berücksichtigt werden.

Effizienzgewinne müssen darlegbar sein

Effizienzgewinnen sind denkbar im Zusammenhang mit der Gewährleistung des Markenschutzes oder eines bestimmten Niveaus der Dienstleistungsqualität oder der Verringerung der Möglichkeiten für Fälschungen. Die Frage ist auch, ob solche Effizienzgewinne durch weniger restriktive Mittel erzielt werden können. Dies kann beispielsweise zutreffen, wenn der Online-Marktplatz zulässt, dass Einzelhändler innerhalb des Marktplatzes eigene Marken-Shops einrichten und dadurch die Art und Weise, in der ihre Waren oder Dienstleistungen verkauft werden, besser steuern können. Qualitätsbezogene Begründungen, auf die sich der Anbieter beruft, werden üblicherweise in folgenden Situationen keine Freistellung begründen können:

  • der Anbieter nutzt selbst den Online-Marktplatz, an dessen Nutzung der Abnehmer gehindert ist,
  • der Anbieter erlegt einigen Händlern Beschränkungen auf, anderen aber nicht,
  • der Betreiber des Online-Marktplatzes ist selbst ein zugelassenes Mitglied des selektiven Vertriebssystems

Fazit

Plattformverbote und sonstige Einschränkungen der Nutzung von Online-Marktplätzen können tendenziell regelmäßig zulässig sein. Jedoch bedarf es aufgrund der hohen Bußgeld- und Schadensersatzrisiken stets einer sorgfältigen Kartellrechtsanalyse, ob dies auch im konkreten Einzelfall gilt. Auch für Händler gilt somit, dass man die Auferlegung eines Plattformverbots oder einer sonstigen Einschränkung der Nutzung von Online-Marktplätze erst nach einer kartellrechtlichen Prüfung akzeptieren sollte.

Foto(s): https://www.istockphoto.com/de/foto/leere-b%C3%BChnenbeleuchtung-futuristische-neon-plattform-gm1204179955-346389124?utm_source=pixabay&utm_medium=affiliate&utm_campaign=SRP_image_sponsored&utm_content=https%3A%2F%2Fpixabay.com%2Fde%2Fimages%2Fsearch%2Fplattform%2520futuristic%2F%3Fmanual_search%3D1&utm_term=plattform+futuristic

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