Sittenwidrigkeit einer Auflage in einem Testament / Testamentsvollstreckung / Grenzen der Testierfreiheit

  • 5 Minuten Lesezeit

Das Landgericht Bochum hat sich in einer rechtskräftigen Entscheidung zum Az. I-8 O 486/20 zur Frage der Sittenwidrigkeit von Auflagen geäußert. .

Das für meine Partei erstrittene Urteil befasst sich mit der Sittenwidrigkeit einer in einem Testament enthaltenen Auflage (Betretungsverbot für den Lebensgefährten der Erbin = Tochter der Erblasserin). Das Urteil wägt in den Entscheidungsgründen zwischen der Testierfreiheit des Erblassers auf der einen und den Persönlichkeit-und Freiheitsrechten der mit der Auflage belasteten Erben auf der anderen Seite ab, die dann in der vorliegenden Sachverhaltskonstellation wegen der durch die Auflage begründeten Einschränkungen, zu einer Sittenwidrigkeit der Auflage nach den §§ 1940,2192, 2171, 138 (analog) BGB führt.

Gegen das Urteil, das sich gegen den eingesetzten Testamentsvollstrecker richtet, hat der Testamentsvollstrecker  Berufung beim hiesigen 10. ZS (Erbrechtssenat) eingelegt. Das Berufungsverfahren wurde zum Az. 10 U 58/21 beim OLG Hamm geführt. Aufgrund des erteilten Hinweises des 10. ZS, dass die erteilte und gegenständliche Auflage sittenwidrig sei, hat der Berufungskläger die Berufung zurückgenommen. Das Urteil des LG Bochum ist dadurch rechtskräftig geworden.      

Da es zur Frage der Sittenwidrigkeit von Auflagen – mit Ausnahme eines jüngeren Urteils des OLG Frankfurt – kaum veröffentlichte Entscheidungen gibt, handelt es sich bei dem Urteil um eine sehr interessante Entscheidung.

Zusammengefasst enthält das Urteil folgende Feststellungen:

Das Landgericht hat die gegenständliche Feststellungsklage für zulässig und begründet erachtet, mit der begehrten Feststellung, dass die streitgegenständliche Auflage nach den §§ 1940,2192, 2171, 138 (analog) BGB nichtig sei, weil sie gegen die guten Sitten verstoße.

Dies könne dann angenommen werden, wenn der Erblasser durch seine Verfügung unter Berücksichtigung der höchstpersönlichen und auch wirtschaftlichen Umstände einen nicht zu billigenden Druck auf die Entschließungsfreiheit oder andere Rechte des Bedachten ausübe.

Hierbei hat das Landgericht im Rahmen seiner Einzelfallwürdigung sehr wohl bedacht, dass der Erblasser grundsätzlich bis zur Grenze der Sittenwidrigkeit Auflagen erteilen könne, sofern diese nicht gegen die guten Sitten verstoßen und den höchstpersönlichen Bereich des Beschwerten nicht tangieren. Dem Erblasser müsse es im Wege der nach Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG geschützten Testierfreiheit möglich sein, die Erbfolge nach seinen eigenen Vorstellungen zu gestalten, sodass eine Sittenwidrigkeit einer Bedingung oder Auflage nur in besonders schwerwiegenden Ausnahmefällen angenommen werden könne.

Diesen schwerwiegenden Ausnahmefalt hat das Landgericht nach ausführlicher Abwägung aller hier maßgeblichen im Einzelfall zu berücksichtigenden Umstände angenommen.

Dafür hat das Landgericht insbesondere den Umstand herangezogen, dass die Beziehung der Klägerin zu 1) zu ihrem Lebensgefährten für die Erblasserin nach deren Auffassung von Sitte und Anstand bereits deshalb nicht hinnehmbar gewesen sei, weil es sich um eine außereheliche Beziehung handelt. Aus diesem Grund habe die Klägerin zu 1) die überwiegende Zeit nicht in ihrer eigenen Wohnung, sondern in der ihres Lebensgefährten verbracht.

Das testamentarisch verfügte Betretungsverbot für den Lebensgefährten schränke die Klägerinnen und insbesondere die Klägerin zu 1) in einem nicht zu billigenden Maße in ihrer privaten und höchstpersönlichen Lebensführung ein. Zwar sei den Klägerinnen selbst nicht verwehrt, die geerbte Immobilie zu betreten oder zu bewohnen, das Betretungsverbot wirke aber im Ergebnis auch auf die Klägerinnen ein, wenn diese zu jeder Zeit dafür Sorge zu tragen hätten, dass eine Person, mit der sie den Kernbereich ihrer Lebensführung zu gestalten wünschen, ihr Eigentum nicht betreten dürfe.

Hierbei verfolge die Auflage auch nicht den legitimen Zweck, den Grundbesitz der Familie für eben diese erhalten zu wollen und vor dem Zugriff Dritter, insbesondere vor dem Zugriff durch den Lebensgefährten zu schützen. Es sei schon fraglich, worauf das Landgericht zutreffend hinweist, inwieweit dieses Ziel mit einem Betretungsverbot sinnvoll erreicht werden könne. Vielmehr habe die Erblasserin dieses redliche Ziel mit den weiteren testamentarischen Auflagen erreicht, wonach den Klägerinnen eine Veräußerung, Schenkung oder Übertragung auf sonstigem Wege an den Lebensgefährten sowie dessen Abkömmlingen auf Dauer untersagt sei.

Im Falle eines Verstoßes gegen diese Auflage drohe ebenfalls die Veräußerung der Grundstücke durch den Testamentsvollstrecker.

Soweit die Erblasserin dem Lebensgefährten jedoch wegen der vermeintlich getätigten Äußerung mit dem Betretungsverbot sanktionieren wollte, habe sie diesen Zweck mit der Auflage insoweit verfehlt, als dass die Auflage lediglich ihre Erbinnen in deren privater Lebensführung spürbar einschränke. Das Betretungsverbot sehe auch keine Ausnahmen für außerordentliche Umstände vor. So müssten die Klägerinnen beispielsweise in Notfallsituationen, die das Betreten der Grundstücke erfordern würden, auf die Hilfe der ihnen am nächsten stehenden Person verzichten, um nicht den Verlust der Grundstücke zu riskieren.

Die streitgegenständliche Auflage verfolge daher im Ergebnis lediglich das Ziel, die Beziehung der Klägerin zu 1) zu ihrem Lebensgefährten zu erschweren, wenn nicht gar zu unterbinden, indem den Klägerinnen verwehrt werde, diesem Zutritt auf ihre Grundstücke zu gewähren. Die Erblasserin habe daher lediglich versucht, durch die Androhung des Verlustes von zunächst gewährten Vorteilen in einer gegen das „Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden" verstoßenden Weise ein bestimmtes Verhalten der Klägerinnen zu erzwingen, namentlich die nach ihrer Auffassung nicht standesgemäße Beziehung der Klägerin zu 1) zu ihrem Lebensgefährten.  

Eine derartige Einflussnahme der Erblasserin auf die Entschließungsfreiheit ihrer Erbinnen sei von der Rechtsordnung auch unter Berücksichtigung der Testierfreiheit der Erblasserin nicht hinzunehmen und damit als sittenwidrig und somit nichtig einzuordnen.

Die Auflage sei auch nicht deshalb wirksam, weil deren Einhaltung faktisch nur für einen Zeitraum von 6 Jahren durch den Beklagten kontrolliert werde. Das Gesetz nenne in § 2194 S. 1 BGB Personen, die die Auflagenerfüllung verlangen können. Dazu gehören neben dem Testamentsvollstrecker auch Miterben und die Auflagenbegünstigten, welche im Rahmen der Eröffnung von Verfügungen von Todes wegen durch das Nachlassgericht gemäß § 348 FamFG informiert würden. Eine zeitliche Begrenzung auf die Dauer der Testamentsvollstreckung sehe das Gesetz dabei nicht vor.

Die Auflage sei deshalb nichtig.

Die darauf gerichtete Feststellungsklage sei deshalb zulässig und begründet.

Sollten Sie eine Beratung im Erbrecht wünschen, stehe ich Ihnen gerne in einem unserer Büros in Dortmund oder Hamm zur Verfügung. 


André Döttelbeck

Rechtsanwalt

Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht

Fachanwalt für Erbrecht


Döttelbeck Dr.Wemhöner & Partner

Rechtsanwälte • Steuerberater • Fachanwälte

Hamm • Dortmund • Münster • Prenzlau • Everswinkel • Solingen • Lüdinghausen •  Budapest

Büro Hamm:

Otto-Krafft-Platz 21,  59065 Hamm

📞+49-2381-973030

📠+49-23819730399

Büro Dortmund:

An den Emscherauen 45

44263 Dortmund

📞+49-231-70018871

📠+49-231-70018166

doettelbeck@doettelbeck.de

🌎   www.doettelbeck.de



Foto(s): doettelbeck@doettelbeck.de

Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt und Notar André Döttelbeck

Beiträge zum Thema