Staatsanwaltschaft pfändet Konten von Unschuldigen aufgrund eines Corona-Betrugs-Verdachtes

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„880 Ermittlungsfälle und 40 neue Verfahren pro Tag“, so titelte der Tagesspiegel am 10.06.2020 im Zusammenhang mit den massiven Verdachtsfällen von Betrug bei den sogenannten Corona-Hilfen. Täglich gäbe es etliche neue Verfahren und nicht näher genannte „Experten“ würden angeblich von „einer hohen Dunkelziffer“ ausgehen, so der in Berlin erscheinende Tagesspiegel. Doch was bedeutet es eigentlich juristisch, wenn ein Ermittlungsverfahren eröffnet wurde? Genau genommen gar nichts, denn auch in Deutschland gilt das Prinzip der Unschuldsvermutung, dessen Grundsätze der französischen Kardinal Jean Lemoine bereits im Mittelalter erstmals publiziert hat und die 1631 der Jesuit Friedrich Graf von Spee im Zuge seiner Auseinandersetzung mit den „Hexenprozessen“ in seiner Cautio Criminalis aufgriff: „in dubio pro reo“ („im Zweifel für den Angeklagten“). In der Zeit der Aufklärung wurde dieses Prinzip dann von Mailänder Rechtsphilosophen als Rechtsprinzip („geltendes Recht“) postuliert. Die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens bedeutet deshalb nur, dass die Staatsanwaltschaft der Ansicht ist, es läge ein Anfangsverdacht für ein möglicherweise strafbares Verhalten vor. Die Zeitungsberichte, von denen es etliche weitere gibt, beziehen sich regelmäßig ausschließlich auf Angaben der Ermittlungsbehörden bzw. der jeweiligen Investitionsbanken. Dabei bleibt leider außer Betracht, dass sich viele Ermittlungsverfahren und Ermittlungsmaßnahmen schlichtweg gegen Unschuldige richtet. Der Staatsanwaltschaft Berlin ist der Vorwurf von ungenügenden Ermittlungen zu machen. Im Einzelfall geht dies zu Lasten der betroffenen Unternehmen, denen die Corona-Sofortmaßnahmen eigentlich helfen sollten. Bereits im Ermittlungsverfahren werden nämlich Konten gepfändet und Gelder arrestiert, ohne dass der Betroffene hierzu angehört wird. Erweisen sich diese Ermittlungsmaßnahmen im Nachhinein als unzutreffend, weil der Verdacht zu Unrecht bestanden hat, kann dies für einen Unternehmer das definitive Aus bedeuten, wenn er über Monate hinweg nicht mehr auf sein Konto zugreifen kann und in dieser Zeit seine Verbindlichkeiten nicht mehr bedienen konnte. Und genau das sollten die Corona-Sofortmaßnahmen eigentlich verhindern.

 

Worin steckt die Crux?

 

Das Sofortprogramm der jeweiligen Länder sollte Selbstständigen, Angehörigen der freien Berufe und Kleinunternehmen, die durch die Corona-Krise 2020 in eine existenzbedrohliche wirtschaftliche Schieflage und in einen Liquiditätsengpass geraten waren, eine „schnelle und angemessene finanzielle Hilfestellung“ bieten. Insofern war schon in dem Programm selbst inkludiert, dass die Prüfung der Fördervoraussetzungen zügig und in gewisser Weise eben auch unbürokratisch erfolgen sollte.

 

Dass das Programm Betrüger auf den Plan ruft, war ihm immanent

 

Ein Sofortprogramm, welches eine „schnelle Hilfestellung“ verspricht, ruft häufig Betrüger auf den Plan, die den Fördergebern mit Hilfe gefälschter Scheinidentitäten die Existenz eines Unternehmens vorgaukeln. Den Gipfel der Dreistigkeit stellte es im März 2020 dar, als aufgrund von Recherchen des NDR, des WDR und der Süddeutschen Zeitung herauskam, dass „Kriminelle die Website des NRW-Wirtschaftsministeriums kopiert“ hatten, um an „die Daten von hilfesuchenden Unternehmen zu gelangen“. Mit Hilfe dieser fremden Identitäten haben mutmaßliche Betrüger dann einen Soforthilfeantrag gestellt und dabei lediglich die Kontonummer (IBAN) ausgetauscht. Die zuständige Landesbank prüfte dann ein tatsächlich existierendes Unternehmen und schüttet Geld aus, welches von Dritten empfangen wurde.

 

Dieser Masche wird im Einzelfall die Variante hinzugefügt, indem mutmaßliche Betrüger Dritte als Finanzagenten missbrauchen. Dabei sprechen sie gezielt Menschen an, die in schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen leben. Sie sollen ihr Konto für den Betrug zur Verfügung stellen. Geht das Geld ein, sollen sie es weiterreichen, oft in bar. Dafür bekommen sie eine kleine Summe als Belohnung. Wenn die Ermittler im Nachhinein versuchen, die Konten arrestieren zu lassen, ist das Geld oft schon weg und die Täter bleiben anonym.

 

Der Kollateralschaden der Ermittlungen sind unschuldige Unternehmen

 

Nachdem diese Versuche vergleichsweise frühzeitig, schon im März 2020 publik wurden, schrillten geradezu in allen Staatsanwaltschaften in Deutschland die Alarmglocken. Dabei gerieten allerdings, was gerne übersehen wird, auch unschuldige Unternehmen ins Visier der Ermittlungsbehörden, die sich im Unterschied zu betrügerisch agierenden Antragsstellern überhaupt nichts zu Schulden haben kommen lassen.

 

Wieso geraten Unschuldige ins Visier der Staatsanwaltschaft?

 

Die Problematik besteht darin, dass beim digitalen Dialog nur über Fernkommunikationsmitteln kommuniziert wird und aufgrund der großen Menge an Hilfsanträgen eine sachgerechte Prüfung der Unternehmensidentität oft nur mit Aufwand möglich ist. Dem steht es entgegen, wenn die Auszahlung schnell und unbürokratisch erfolgen soll. Dazu kommt das weitere Problem, dass Deutschland mit der der behördlichen Umsetzung der Digitalisierung den deutlich innovativeren Ländern hinterher läuft und Behörden bis heute nur rückständig vernetzt sind. Auch gibt es in Deutschland keine einheitliche Unternehmensdatenbank, bei der man die Identität eines Unternehmens abrufen könnte. Sicherlich wird eine größere Kapitalgesellschaft unproblematisch ihren Handelsregisterauszug vorlegen können, um zumindest ihren Eintrag im Handelsregister nachzuweisen. Viele Einzelunternehmen, Solo-Selbstständige und Freiberufler aber, die jedenfalls nicht in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft tätig sind, sind gar nicht im Handelsregister eingetragen und es besteht hierzu auch keine Pflicht.

 

Welche klassischen Fehler haben Staatsanwaltschaften gemacht?

 

ilex Rechtsanwälte liegen Fälle vor, bei denen Unschuldige in das Visier von Staatsanwaltschaften geraten sind, die nun mit haltlosen Ermittlungsbemühungen überzogen werden. Ein erster Grundfehler besteht darin, dass man einen Corona-Hilfsantrag, wie er der jeweiligen Investitions- und Landesbank vorlag, mit einer Gewerberegisterauskunft abgeglichen hatte. Dabei wurde der Kardinalfehler begangen, dass nicht hinreichend zwischen einer freiberuflichen und einer gewerblichen Tätigkeit unterschieden wurde. Nicht jeder, der unternehmerisch tätig ist, ist zugleich auch gewerblich tätig. Die deutsche Rechtsordnung unterscheidet zwischen einer gewerblichen und einer freiberuflichen Tätigkeit. Beide stehen unter der Überschrift einer unternehmerischen Tätigkeit. Ist aber ein Unternehmer nicht gewerblich tätig, weil er nicht in diese Kategorie fällt, so wird er auch nicht in das Gewerberegister eingetragen und man wird ihn dort auch nicht finden. Dies betrifft beispielsweise die relativ große Gruppe der Ärzte, der Künstler, der Steuerberater, der Wirtschaftsprüfer und der Rechtsanwälte, aber auch weitere unternehmerisch tätige Mittelständler. Auch die Betriebe der Urproduktion wie Landwirte, Jagd, Forst und Bergbau betreiben kein Gewerbe.

 

Indem die Staatsanwaltschaft dem Unternehmer, der einen Corona-Hilfsantrag gestellt hatte, lediglich mit den von der Kommunalverwaltung in Deutschland geführten Gewerberegister abgleicht, ist bei einem fehlenden Treffer noch lange nicht bewiesen, dass das Unternehmen nicht existiert. Dies kann auch daran liegen, weil man den falschen Ort ausgewählt hat oder das Unternehmen eben kein Gewerbe im Sinne der Gewerbeordnung ausübt. Auch eine Auskunft aus dem Gewerbezentralregister hilft oft nicht weiter, denn hier werden nur Rechtsverstöße gegen die Gewerbeordnung eingetragen. Dennoch besteht die Vermutung, dass Konten allein deshalb gepfändet und Kontovermögen arrestiert wurde, weil nur durch einen solchen Gewerberegisterabgleich offene Fragen zu einem Unternehmen bestanden, die sich völlig unproblematisch aufklären lassen.

 

Warum eine Kontopfändung eine extrem einschneidende Maßnahme ist

 

Wenn eine Staatsanwaltschaft eine Kontopfändung bei einem Ermittlungsrichter beantragt, dann handelt es sich hier um eine vorläufige Maßnahme der Vermögenssicherung. Lässt der Ermittlungsrichter diese Maßnahme zu, so wird der davon betroffene Unternehmer dies erst erfahren, wenn das Konto schon beschlagnahmt worden ist und er insofern nicht mehr verfügen kann. Solche Kontopfändungen führen dazu, dass die Soforthilfe, die auf dieses Konto ausgezahlt wurde, sofern sie dort zu diesem Zeitpunkt noch vorhanden war, vorübergehend beschlagnahmt worden ist.

 

Der davon betroffene Unternehmer kann somit oft seine Verbindlichkeiten nicht mehr begleichen, wenn sein Konto blockiert ist. Stellt sich im Nachhinein aber heraus, dass die Ermittlungen zu Unrecht erfolgt ist und das Verfahren wieder eingestellt werden muss, ist der verursachte Schaden kaum wieder gut zu machen.

 

 


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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