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Streik oder nicht? Das sagt das Arbeitsgericht

  • 3 Minuten Lesezeit
Esther Wellhöfer anwalt.de-Redaktion

Das Arbeitsgericht Nürnberg hat in einem am 16. November veröffentlichten Beschluss der Deutschen Bahn AG „rechtsmissbräuchliches und willkürliches Verhalten" attestiert, weil sie wahllos bei einer Vielzahl von Gerichten Klagen eingereicht hat. Doch nicht nur die Gerichte beschäftigte der Arbeitskampf der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) mit der Deutschen Bahn AG in den letzten Monaten. Tausende Pendler waren von dem Streik betroffen und die Tarifauseinandersetzung macht weiterhin Schlagzeilen. Die anwalt.de Redaktion schildert die Hintergründe des richterlichen Rüffels.

[image] Koalitionsfreiheit, Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz

Das Streikrecht der Gewerkschaften ergibt sich aus der verfassungsrechtlichen Koalitionsfreiheit in Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz (GG). Hier unterscheidet man zwischen der individuellen Koalitionsfreiheit (z.B. das Recht des Arbeitnehmers einer Gewerkschaft beizutreten) und der kollektiven Koalitionsfreiheit (z.B. die Bildung einer Gewerkschaft frei von staatlicher Genehmigung oder die sog. innergewerkschaftliche Autonomie). Auch die Befugnis der Gewerkschaft zum Abschluss eines Tarifvertrages basiert auf der grundgesetzlichen Koalitionsfreiheit.  

 
Problem: Streikrecht ist Richterrecht 

Rechtsfragen rund um den Tarifvertrag sind im Tarifvertragsgesetz (TVG) geregelt. Und weil der Tarifvertrag ein schuldrechtlicher Vertrag zwischen Gewerkschaft und Arbeitgeber bzw. Arbeitgeberorganisation ist, gelten für sein Zustandekommen die Paragraphen des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB).

Doch für das Arbeitskampfrecht fehlt eine gesetzliche Regelung. Das Bundesarbeitsgericht hält das Streikrecht an sich (ebenso wie das Aussperrungsrecht des Arbeitgebers) für einen stillschweigenden Bestandteil des Tarifvertrages. Aber über die Zulässigkeit von Arbeitskampfmaßnahmen, also ihre konkreten Grenzen und Möglichkeiten, entscheiden die Arbeitsgerichte. Denn der Staat unterliegt in diesem Bereich einer Neutralitätspflicht. Dennoch: Das Arbeitskampfrecht dem Richterrecht vorzubehalten, ist juristisch höchst umstritten. Denn die Koalitionsfreiheit hat Verfassungsrang und als Grundrecht darf sie eigentlich nur aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden, nicht allein durch die Entscheidung des Gerichts.

 
Rechtswidrig oder rechtmäßig? 

Unabhängig von diesem Verfassungsstreit herrscht Einigkeit, dass die Rechtsordnung nur rechtmäßige Arbeitskampfmaßnahmen toleriert. Hierzu haben die Gerichte bestimmte Grundsätze entwickelt. So darf während eines laufenden Tarifvertrages aufgrund der tarifvertraglichen Friedenspflicht nicht wegen Forderungen gestreikt werden, die Gegenstand des Tarifvertrages sind. Weiter darf ein Streik nur als letztes Mittel („ultima ratio“) in Betracht kommen, wenn die Verhandlungen gescheitert sind. Doch wann der Streik verhältnismäßig ist, muss jede Partei für sich selbst entscheiden. Damit sind rechtliche Unsicherheiten hier vorprogrammiert.

Ein rechtswidriger Streik kann nicht nur für die Gewerkschaft sondern auch für den einzelnen Arbeitnehmer erhebliche Folgen haben. Die Teilnahme an einem rechtswidrigen Streik ist ein ausreichender Grund für eine fristlose Kündigung. Außerdem kann der Arbeitgeber unter Umständen Schadensersatz nicht nur von der Gewerkschaft, sondern auch von den rechtswidrig streikenden Arbeitnehmern verlangen, wenn sie als Gesamtschuldner haftbar sind (§§ 830, 840 BGB).
 

Willkürliche Wahl des Gerichts

Der aktuelle Beschluss des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 16. November 2007 (Az.: 13 Ca 5293/07) bezieht sich lediglich auf das konkrete Vorgehen der Deutschen Bahn AG im August, ein bundesweites Streikverbot gegen die GDL zu erwirken. Die Arbeitsrichter erachten es von der Deutschen Bahn AG insbesondere als rechtsmissbräuchlich, dass sie bei einer Vielzahl von Gerichten Klagen eingereicht hat und wenn das jeweilige Gericht zu erkennen gab, dass es den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht Frankfurt verweisen will, zog die Bahn daraufhin die Klage wieder zurück. Hinweis: In Frankfurt am Main hat die GDL ihren Hauptsitz. Dieses Verhalten beurteilten die Richter als willkürlich, weil keine konkreten Gründe für die vorgenommene Wahl des Gerichtes ersichtlich sind. Ziel der Gerichtswahl dürfte nicht eine prozessuale Nützlichkeitserwägung zugunsten einer Partei sein, sondern sie müsse von Sachgründen getragen werden.  

Die Nürnberger Richter haben mit ihrem Beschluss den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht Frankfurt verwiesen. Dieses muss nun im Hauptsacheverfahren entscheiden, ob der Streik der GDL verhältnismäßig und damit rechtmäßig war.

(WEL)


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