Studienplatzvergabe Medizinstudium – Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und ihre Folgen

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Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum „Numerus clausus“ und ihre Folgen – Alles kann, nichts muss?

Teil 1 von 3: Das aktuelle Vergabesystem – Zahlen, Daten, Hintergründe: Abiturbestenquote, Auswahlverfahren der Hochschulen, Wartezeitquote

Arzt zu sein ist manchmal schwer, Arzt zu werden noch sehr viel mehr – jedenfalls in Deutschland.

Ärztin oder Arzt – für viele junge Menschen ist dies noch immer ein absoluter Traumberuf – Beruf aus Berufung. Dementsprechend ungebrochen hoch ist die Nachfrage nach den begehrten Medizin-Studienplätzen, ein hierzulande rares Gut. Rund 42.000 Bewerber kommen auf gerade einmal rund 9.000 Studienplätze.

Aktuell geltendes Vergabesystem

Die Medizin-Studienplätze werden durch die Stiftung für Hochschulzulassung (vormals ZVS) nach Abzug geringer Vorabquoten in drei großen Quoten verteilt: 20 % der Studienplätze werden über die Abiturbestenquote vergeben und 20 % über die Wartezeit, die aktuell – entgegen eines weit verbreiteten Irrtums notenunabhängig – bei 15 (!) Semestern liegt. Mit 60 % werden die meisten Studienplätze im sogenannten „Auswahlverfahren der Hochschulen“ (AdH) vergeben.

Soweit alles recht normal – mag man meinen. Ein genauerer Blick hingegen offenbart Widersprüchlichkeiten, Ungereimtheiten und Ungerechtigkeiten.

Abiturbestenquote

Bewerberinnen und Bewerber müssen in der Abiturbestenquote heutzutage und im Gegensatz zur nicht allzu fernen Vergangenheit schon ein Abitur von 1,0 oder 1,2 aufweisen, um in dieser Quote als geeignet eingestuft zu werden – die hohe Nachfrage bestimmt also – und dies bei teilweise rückläufigen Kapazitäten – die Qualifikation.

Es besteht allerdings die Besonderheit, dass für diese Quote nicht etwa ein bundesweiter Pool aus den besten Abiturienten gebildet wird. Vielmehr konkurrieren nur die besten Abiturienten der einzelnen Bundesländer miteinander um ein bestimmtes Kontingent an Studienplätzen, das dem Land anhand seiner jeweiligen Bevölkerungszahl zugeteilt wird. Hierdurch soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die Abiturzeugnisse verschiedener Bundesländer nachweislich nur begrenzt bis gar nicht miteinander zu vergleichen sind. Wer also aus NRW kommt und ein Abitur von 1,1 vorzuweisen hat, streitet innerhalb der Abiturbestenquote nur mit anderen nordrheinwestfälischen Bewerbern um den Zuschlag, nicht aber mit Abiturienten aus Bayern oder aus anderen Bundesländern. Der am Ende dieser Konkurrenz stehende „Numerus clausus“ bezeichnet dabei nicht etwa eine gesetzlich im Voraus vorgegebene Zulassungsgrenze. Vielmehr bezeichnet dieser jedes Semester und erst nach Abschluss der Vergabe ermittelte faktische Wert nur die Abiturnote des letzten Bewerbers, der in dem betreffenden Semester innerhalb der Abiturbestenquote gerade noch zugelassen wurde, sodass sie von da an erschöpft war.

Angesichts des Umstandes, dass sich die Zulassungsgrenze in der Abiturbestenquote seit Jahren in einem Extrembereich zwischen 1,0 und 1,2 bewegt, hat die weit überwiegende Mehrheit der aktuellen Abiturienten keine Aussicht, in dieser Quote einen Studienplatz zu erhalten.

Bei der Bewerbung für einen Medizinstudienplatz bei der Stiftung zur Vergabe von Studienplätzen können bis zu sechs Studienorte angegeben werden. Zudem wird eine Rangliste nach den Noten gebildet. 1.601 Plätze waren zuletzt für Personen mit den besten Noten (20 %) vorgesehen. Nun könnte man meinen, dass die Stiftung zur Vergabe von Studienplätzen bei Ranglistennummer 1 nachsieht, wo sie studieren möchte, diesen Studienplatz zuteilt und mit den folgenden Rangnummern ebenso verfährt, bis die gemeldete Kapazität der jeweiligen Hochschule erschöpft ist und dann eben nach der Zweitwahl zuteilt und so fort. Gegen Ende, so könnte man vermuten, kommt die letzte Wahl zum Zuge oder es erfolgt eine Zuteilung nach Losen, damit man auf jeden Fall einen Studienplatz kriegt, man gehört ja zu den besten 1.601.

So ist es aber nicht. Die Studienplätze werden zunächst nach den Studienortwahlen vergeben. Das hat zur Folge, dass jemand mit einem Schnitt von 1,1 möglicherweise keinen Studienplatz am Ort der ersten Wahl bekommt, weil diese Hochschule mit der vorhandenen Kapazität de facto nur die „Besten der Besten“ mit 1,0 nehmen kann. Wer jetzt denkt, dass diese Bewerbung bei der Hochschule zweiter Wahl unterkommt, die de facto mit der vorhandenen Kapazität Personen mit einem Abitur bis zu 1,2 nehmen kann, hat die Rechnung ohne das Verteilungsprogramm der Stiftung zur Vergabe von Studienplätzen gemacht: Weil zunächst die Studienplätze nach der ersten Wahl vergeben werden, kann diese Hochschule ihrerseits ebenfalls bereits voll belegt sein aufgrund von Bewerbungen, in denen diese Hochschule als Erstwunsch angegeben wurde. Mit anderen Worten: Wäre die Hochschule der zweiten Wahl als erstes genannt worden, wäre die Bewerbung erfolgreich gewesen. Dieses Verfahren führte im Ergebnis dazu, dass zuletzt von 1.601 zu vergebenden Studienplätzen in dieser ersten Gruppe nur 1.188 Studienplätze vergeben werden konnten. Folglich können bessere Bewerber das Nachsehen gegenüber schlechteren Bewerbern haben.

Die nicht vergebenen 413 (mehr als ¼) Plätze wurden dann der AdH-Quote, den eigentlich 60 % (= rund 4.800), zugeschlagen. Diese Studienplätze vergeben die Hochschulen jeweils aufgrund einer Satzung, die sie sich selber geben und die ein jeweils eigenes Auswahlverfahren regelt. Die Kriterien sind damit an den verschiedenen Hochschulen auch jeweils unterschiedlich. An einigen Hochschulen sind die Noten in bestimmten Abiturfächern, Ergebnisse aus Eignungstests, Ausbildungen als Pflegerin etc. maßgeblich, aber auch die Abiturnote.

Auswahlverfahren der Hochschulen (AdH-Quote)

Da müsste das Auswahlverfahren der Hochschulen („AdH-Quote“) doch jedenfalls einen Ausgleich herstellen können. Tut es aber nicht. Was zunächst etwas wie ein gesondertes Eignungsfeststellungsverfahren durch Anwendung spezieller Kriterien oder mehrere Auswahlebenen impliziert, entpuppt sich in der Praxis nicht selten als Verschlimmbesserung. So stellen noch immer einige Universitäten im Rahmen des Auswahlverfahrens schlicht und einfach auf die Abiturnote ab. Andere Hochschulen berücksichtigen zwar weitere Zusatzqualifikationen, weit voran das Ergebnis des Medizinertestes („TMS)“, gelegentlich auch bestimmte schulische Fächerkombinationen, ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) oder auch eine abgeschlossene Ausbildung. Allerdings werden nur sehr selten mehrere dieser Zusatzqualifikationen berücksichtigt, häufig ist es nur der TMS und an fast jeder Universität wird neben dieser einen oder – selten – mehreren Zusatzqualifikationen dann als weiteres Kriterium die – Sie ahnen es – Abiturnote berücksichtigt und zwar mit derselben Gewichtung.

Als wäre dies nicht bereits bildungspolitisches Armutszeugnis genug, dürfen im Rahmen der AdH-Quote von den Bewerbern nur ganze sechs Universitäten als sogenannte Ortspräferenzen angegeben werden. Warum dies nur sechs sein dürfen und warum es ausgerechnet sechs sind, weiß tatsächlich niemand genau, es wurde wohl seinerzeit in der Software so angelegt. Warum, bleibt ein Rätsel.

Die Krux an der Sache ist: Viele Hochschulen berücksichtigen Bewerber in dieser AdH-Quote nur dann, wenn sie mit der ersten Ortspräferenz belegt wurden, also an die erste der sechs Stellen gesetzt wurden. Wer hier falsche Prioritäten setzt, läuft also Gefahr, leer auszugehen und keinen Studienplatz zu erhalten – und zwar auch dann, wenn er (oder sie) bessere Qualifikationen (auch ein besseres Abitur) aufweist als ein anderer Bewerber, der jedoch eine andere Universität mit der ersten Ortspräferenz belegte (siehe bereits oben zur Abiturbestenquote).

Da gleich mehrere Universitäten es zur Bedingung machen, dass sie mit der ersten Ortspräferenz versehen worden sein müssen, hat dies zur Folge, dass viele Universitäten letztlich damit „verbraucht“ sind. Wer beispielsweise einen Abiturdurchschnitt von 1,8 aufweist, wird gerade noch zum sogenannten HamNat nach Hamburg eingeladen – wenn er Hamburg mit der ersten Ortspräferenz in der AdH-Quote versehen hat. Wer jedoch bonierbare Leistungen vorweisen kann, die mit beispielsweise 0,4 oder 0,5 berücksichtigt werden, muss sich gut überlegen, ob er Hamburg an die erste Stelle setzt oder nicht eine andere Universität in der Hoffnung, unter Berücksichtigung der Bonierungen doch noch einen Platz zu erhalten.

Das hat zur Folge, dass auch bei den AdH-Verfahren die geschickte Auswahl des Studienortes zu einer entscheidenden Weichenstellung für die Zulassung zum Medizinstudium werden kann. Mit anderen Worten: Eine ungeschickte Studienortwahl kann dazu führen, dass selbst diejenigen, die ein Abitur mit einem Schnitt von 1,0 oder 1,1 haben, dennoch am Ende keinen Studienplatz erhalten, und das gilt durchaus auch für die 413, die eigentlich in der ersten Gruppe hätten Berücksichtigung finden sollen.

Letztlich gilt, dass diese Bonuspunkte auch nur auf die Abiturnote angerechnet werden. Der Abiturnote selbst kommt daher auch im AdH eine überragende Bedeutung zu. De facto hat auch hier nur Chancen, wer über ein weit überdurchschnittliches Abitur verfügt. In aller Regel streiten sich somit auch innerhalb dieser Quote ausschließlich die besseren Einserabiturienten um die begehrten Medizinstudienplätze.

Wartezeitquote

Weitere 20 % der Studienplätze werden sodann innerhalb der sogenannten Wartezeitquote vergeben. Hier soll dem Grundsatz nach nur von Bedeutung sein, wieviel Zeit seit dem Erwerb der Hochschulzugangsberechtigung und der aktuellen Bewerbung verstrichen ist. Mittels dieser Quote wird seit Jahrzehnten eine ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt, wonach es im Hinblick auf die in Art. 12 GG garantierte Berufswahlfreiheit verfassungsrechtlich kaum hinnehmbar sei, wenn rein statistisch der überwiegende Teil der Bewerber keine realistischen Aussichten hat, innerhalb eines auf die Abiturnote abstellenden Vergabesystems jemals zum Zuge zu kommen. Solchen Bewerbern wird mithin über die Wartezeit eine effektive Chance auf einen Studienplatz eröffnet. Entgegen einem weit verbreiteten Irrtum verbessert sich mit fortschreitender Wartezeit jedoch nicht etwa die Abiturnote. Vielmehr handelt es sich bei der Abiturbestenquote und der Wartzeitquote um zwei streng voneinander zu unterscheidende Vergabekontingente. Derzeit bewegt sich die Wartezeitzulassungsgrenze rein faktisch in einem Bereich von 14/15 Semestern. Auch die Wartezeitzulassung stellt daher eine von den Bewerbern nur schwer zu überwindende Hürde dar.

Lesen Sie im zweiten Teil: Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Numerus clausus für Medizin teilweise verfassungswidrig


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