Telefonische Anhörung der Betroffenen durch das Gericht im Betreuungsverfahren ist auch in Coronazeiten ungenügend

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Corona hat auch in der Justiz ein Umdenken bewirkt. Plötzlich gibt es Videoverhandlungen und sogar Scheidungen im schriftlichen Verfahren, wenn es nicht zu kompliziert ist. 

Aber nicht in allen Fällen kann man auf persönliches Erscheinen verzichten, denn der persönliche Eindruck kann entscheidend für den Ausgang eines Verfahrens sein, wie auch der vorliegende Fall zeigt: 

Die Betroffene richtete sich gegen die Beschlüsse des Amts- und Landgerichts in einem Betreuungsfall. 

Beide Instanzen stimmten auf Anregung des Ehemannes der Betroffenen zu, für diese eine rechtliche Betreuung aufgrund einer organischen Persönlichkeitsstörung, sowie einer bipolaren affektiven Störung und damit einhergehender Defizite der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit zu bestellen. 

Bestätigt wurde dies durch ein ärztliches Gutachten, die Betreuungsbehörde und eine zunächst persönliche Anhörung durch das Amtsgericht. Der Ehemann wurde als Betreuer für die Aufgabenkreise Behörden- und Sozialversicherungsangelegenheiten, Postangelegenheiten und Vermögensangelegenheiten eingesetzt. Einer Berufsbetreuerin wurden die Aufgabenbereiche Aufenthaltsbestimmung und Gesundheitssorge zugeteilt.

Das Landgericht wies die Beschwerde der Betroffenen nach einer ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme und einer telefonischen Anhörung der betroffenen Ehefrau über die Frage, ob eine Betreuung in Teilbereichen weiterhin notwendig sei, ohne persönliches Erscheinen der 55-Jährigen Betroffenen zurück.

Der Bundesgerichtshof entschied auf die weitere Rechtsbeschwerde der Betroffenen hin, dass sich die Gerichte bei dieser Entscheidung nicht allein auf eine telefonische Befragung ohne persönlichen Eindruck stützen duften. 

Auch zu Coronazeiten sei diesbezüglich nur in den engen Fällen des § 278 Abs. 1 FamFG eine Ausnahme zu machen. Eine Ausnahme sei aber nicht schon gegeben, sollte trotz Ausschöpfung aller Möglichkeiten, ein ärztliches Gutachten erhebliche Nachteile für die Gesundheit der Betroffenen feststellen. Gerade bei Erkrankungen psychischer Art verwies der BGH auf die Wichtigkeit, einen persönlichen Eindruck vom Betroffenen zu erlangen. Hiermit nimmt der BGH auch auf seinen Beschluss vom 14.10.2020 - XII ZB 235/20 Bezug.

Die Möglichkeit, von einer erneuten persönlichen Anhörung abzusehen, sei nur gegeben, wenn die vorausgegangene Anhörung bereits ohne Verstöße gegen die Verfahrensvorschriften erfolgt und keine neuen Erkenntnisse erwartbar seien. Da im Falle der 55-Jährigen zwischenzeitlich ein Ergänzungsgutachten eingeholt wurde, hätte von einer erneuten persönlichen Anhörung nicht abgesehen werden dürfen. Daher stellte das Gericht folgerichtig einen Verfahrensverstoß fest. die Sache wurde zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.

Beschluss des BGH vom 04.11.2020 - XII ZB 220/20

zuvor LG Bielefeld , Beschluss vom 14.04.2020 - 23 T 31/20 und AG Bünde, Beschluss vom 05.12.2019 - 12 XVII 149/19

Nicole Rinau

Rechtsanwältin

Fachanwältin für Sozialrecht und Familienrecht

Dozentin für Recht in der Pflege

Foto(s): @buemlein

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