Testpflicht an Schulen - Wunsch und Wirklichkeit

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Am 01.04.2021 verkündet die Landesregierung NRW, dass nach den Osterferien zwei verbindlich durchzuführende Schnelltests pro Kind pro Woche durchgeführt werden sollen. Klar ist, dass diejenigen Kinder, die kein Negativtest vorweisen können, vom Präsenzunterricht ausgeschlossen werden. Aber was passiert, wenn Eltern den Test verweigern, ist noch gänzlich unklar. Am 01.04.2021 hieß es hierzu nur, dass man die gesetzliche Grundlage noch schaffen will bis zum Ende der Osterferien. Der Zeitpunkt ist erreicht. Ein Gesetzestext oder eine Verordnung liegen, nicht einmal im Entwurf, vor.

Damit ist im Moment nur eines klar: Die Testpflicht kommt. Nicht getestete Kinder sind vom Präsenzunterricht ausgeschlossen. Die erste Woche nach den Ferien findet im Distanzunterricht statt, weil die Schulen nicht rechtzeitig mit ausreichend Tests ausgestattet werden konnten.

Man reibt sich doch verwundert die Augen und möchte allein wegen des Datum an einen Aprilscherz denken. Ist es aber nicht.

Zunächst einmal ist gegen die rechtliche Manifestation eines verbindlichen Selbsttests in Schulen aufgrund einer gesetzlichen Regelung juristisch nichts einzuwenden (ob der insoweit von der Kanzlei Bögelein & Dr. Axmann am 07.04.2021 vor dem BayVGH gestellte Eilantrag Erfolg hat, muss man abwarten). Das IfSG eröffnet ausdrücklich die Möglichkeit, zum Schutz der Bevölkerung Maßnahmen zu ergreifen, die das Leben sicherer machen. Auch die mit einer Testpflicht einhergehende grundrechtliche Einschränkung dürfte im Ergebnis als verhältnismäßig und zulässig anzusehen sein. An diesem Punkt wird man nicht erfolgreich einen Hebel ansetzen können, wenn man lieber freiwillige Testungen hätte.

Über den Sinn und Unsinn von Schnelltests kann man in jedem Fall trefflich streiten. Da ist zum einen die recht späte Positivtestung, die erst einmal eine größere Menge an Erregern benötigt. Positiv getestete Schüler*innen waren also bereits gut zwei Tage lang ansteckend, bevor ein Schnelltest dieses anzeigt. Ein Umstand, der immer gerne übersehen wird. Zum anderen kommt es immer wieder zu falsch positiven Testungen. Die Quote ist so hoch, dass sie nicht vernachlässigt werden kann. Eltern befürchten, dass Kinder mit falsch positiven Tests stigmatisiert werden und gerade in den unteren Klassen mobbingähnliche Situationen entstehen könnten.

Schließlich, und das ist meines Erachtens das stärkste Argument, sind die Tests in der Schule unter Aufsicht der Lehrer extrem fehleranfällig. Machen die im Wechselunterricht anwesenden Schüler*innen den Test gleichzeitig ist es unmöglich, Fehler bei der Handhabung des Tests zu erkennen und zu korrigieren oder den Test bei diesem Schüler zu wiederholen. Hinzu kommt, dass für die Dauer des Tests die Schüler*innen die Schutzmasken abnehmen müssen und sich damit für die Dauer des Tests praktisch ungeschützt einer möglichen Infektion aussetzen müssen.

Verständlich also, dass besorgte Eltern sich fragen, was passiert, wenn sie den verbindlichen Test aus absolut nachvollziehbaren Gründen verweigern.

Dass die Landesregierung hier ein nur halb durchdachtes Konzept zum Schulbesuch vorlegt und dann „hinten raus“ die Rahmenbedingungen ausarbeiten will, ist schon symptomatisch für diese Landesregierung. Die organisatorisch desaströse Belieferung der Schulen mit den für das Vorhaben benötigten Selbsttest zeigt die Handlungsunfähigkeit dieser Landesregierung par excellence.

In anderen Bundesländern hat man die Testpflicht schon vor Ostern eingeführt. Für die Eltern, die den Test verweigert haben, wurde schlicht die Präsenzpflicht ausgesetzt, so z.B. Niedersachsen, Baden Württemberg, Bayern oder Schleswig-Holstein. Eine absolut praktikable Lösung. Ich persönlich rechne aber damit, dass NRW hier wieder eine „Vorreiterrolle“ einnehmen will damit sich der angeschlagene Kanzlerkandidat Armin Laschet als „Macher“ profilieren kann. Es ist also durchaus zu erwarten, dass Testverweigerer nicht mit einem Aussetzen der Präsenzpflicht „belohnt“ sondern sogar mit Sanktionen „bestraft“ werden sollen. Kann das zulässig sein?

Ich habe hier ganz erhebliche Bedenken. Ist es noch zulässig, eine Testpflicht einzuführen, erlaubt das IfSG keine Sanktionierung, wenn der Pflicht nicht entsprochen wird. Das ist meines Erachtens mit dem Normzweck des IfSG zu begründen. Das Gesetz will die Ausbreitung einer Pandemie verhindern. Das bedeutet, dass damit Maßnahmen zulässig sind, die hierauf zielen und verhältnismäßig sind. Wir kennen das schon in Bezug auf die Testpflicht bei Reiserückkehrern aus Risikogebieten. Einzige „Sanktion“ ist, dass Nichtgetestete nicht einreisen dürfen. Es ist natürlich nicht vorgesehen, dazu noch eine darüber hinaus gehende Sanktion auszusprechen, da mit dem Einreiseverbot ohne Negativtest der Zweck „Schutz anderer vor Ansteckung“ bereits erfüllt wurde. Einzig bei Einreise ohne Vorlage eines Negativtestes liegt dann eine Ordnungswidrigkeit vor. Bestraft wird also eine Handlung, die den Infektionsschutz unterlaufen würde und genau deswegen Bußgeldbewehrt ist. Dieses Vorgehen ist inzwischen auch durch verschiedene Urteile handfest untermauert.

Und was bedeutet das für Schulen? Im Grunde aus Sicht des IfSG dasselbe: Wer den Test verweigert, der zum Schutz der anderen Schüler erforderlich ist, kann die damit einhergehende Möglichkeit des Schulbesuchs nicht wahrnehmen. Allerdings begehen die Eltern keine Ordnungswidrigkeit. Zumindest nicht aus Sicht des IfSG, denn wenn das ungetestete Kind dann nicht am Präsenzunterricht teilnimmt, ist dem Infektionsschutz Genüge getan.

Doch das ist nur die halbe Wahrheit: Denn es gibt da ja noch die allseits vielbeschworene Schulpflicht. Und ich persönlich befürchte, dass man die Testverweigerer mit Eltern gleichzustellen versuchen wird, die den Schulbesuch ihrer Kinder zu verhindern suchen, § 41 Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 SchulG NRW. Das wäre dann eine Ordnungswidrigkeit nach § 126 Abs. 1 Nr. 4 SchulG NRW. Dass das nicht so einfach ist und wohl im Ergebnis auch unzulässig sein dürfte, zeigt die in solchen Fällen aufgehobene Präsenzpflicht in den jeweiligen Bundesländern. Niedersachsen hat das Aufheben der Präsenzpflicht bei Testverweigerern genau mit diesen rechtlichen Problemen ausdrücklich begründet.

In der Zwischenzeit hat der bayVGH mit Beschluss vom 12.04.2021, Az.: 20 NE 21.926, entschieden, dass die Testpflicht an Schulen rechtmäßig wäre. Allerdings hat der bayVGH dabei auch die Frage beleuchtet, wie mit Testverweigerern umzugehen wäre. Der bayVGH führt dazu aus:

"Der Senat versteht die Begründung der Verordnung nicht in der Weise, dass Schülerinnen und Schüler, die keinen negativen Test vorweisen, nur dort am Distanzunterricht teilnehmen können, wo dieser gegebenenfalls angeboten wird, sondern in der Weise, dass ähnlich dem Wechselunterricht, soweit erforderlich grundsätzlich Präsenz- und Distanzunterricht flächendeckend stattfindet. Nur so sind die Freiwilligkeit der datenschutzrechtlichen Einwilligung und damit das Recht auf informationelle
Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) gewährleistet. Denn entfiele eine Beschulung insgesamt, könnte nicht mehr von einer freien Wahl der Schülerinnen und Schüler bzw. ihrer Erziehungsberechtigten ausgegangen werden. Es bestünde die Gefahr, dass die Einwilligung gerade nicht aufgrund eines freien Entschlusses erfolgt, sondern nur unter dem „Druck“, ansonsten vom Schulunterricht gänzlich ausgeschlossen zu werden und damit womöglich Bildungsnachteile zu erfahren."

Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die Testverweigerung nicht zu Nachteilen führen darf. Damit kann auch keine Ordnungswidrigkeit vorliegen und folgerichtig ist den Schülern, die den Test verweigern, eine Teilnahme am Distanzunterricht zu gewähren. Leider hat sich das nicht herumgesprochen. Viele Schulen drohen sowohl an, ein Ordnungswidrigkeitenverfahren einzuleiuten als auch den jeweiligen Kindern den Zugang zum Distanzunterricht zu verwehren. Es soll also die testpflicht an den Schulen und der Präsenzunterricht mit Zwang durchgesetzt werden. Vor dem Hintergrund der grundrechtlich geschützten informellen Selbstbestimmung indes in unzulässiger Weise.

Martin Becker
Rechtsanwalt und Mediator, Winfried Becker & Partner, Lemgo


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