Überblick über die Rechtsprechung zum SGB II im Jahr 2009

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Mehr denn je sind auch im Jahr 2009 zahlreiche bedeutsame Entscheidungen der Sozialgerichte im Bereich des Rechts der Grundsicherung für Arbeitsuchende ergangen. Im folgenden werden einige besonders hervorzuhebende Entscheidungen kurz vorgestellt:

  • Abfindung

Die in einem arbeitsgerichtlichen Vergleich vereinbarte Abfindung und während des Bezugs von Leistungen nach dem SGB II („Hartz IV") ausbezahlte Abfindung stellt Einkommen i.S.d. SGB II dar und ist leistungsmindernd zu berücksichtigen (Urteil des BSG vom 03.03.2009, Az. B 4 AS 47/08 R)

  • Abwrackprämie

Bei der Berechnung des Bedarfs eines Beziehers von Leistungen nach dem SGB II ist die staatliche Abwrackprämie (Umweltprämie, Verschrottungsprämie) nicht als Einkommen oder Vermögen zu berücksichtigen. Bei der Abwrackprämie handelt es sich - ähnlich wie bei der Eigenheimzulage - um zweckgebundenes Einkommen (SG Magdeburg, Beschluss vom 15.04.2009, Az. S 16 AS 907/09 ER).

  • Aufrechnung

Rechnet die ARGE Ansprüche mit Ansprüchen der Grundsicherung für Arbeitsuchende auf, handelt es sich um einen Verwaltungsakt, der nicht gem. § 39 SGB II sofort vollziehbar ist. Vielmehr muss - möchte die Behörde die Aufrechnung sofort vollziehen und nicht erst den Eintritt der Bestandskraft abwarten - die sofortige Vollziehung angeordnet werden, was wiederum eine eigenständigen, tragfähige schriftlichen Begründung erfordert. Fehlt es daran ist die erklärte Aufrechnung rechtswidrig (SG Düsseldorf, S 35 AS 163/08 ER, Beschluss vom 08.12.2008).

  • BAföG

Personen in Ausbildung, deren Ausbildung grundsätzlich nach dem BAföG förderungsfähig ist, erhalten regelmäßig keine Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (§ 7 V SGB II). Eine Ausnahme gilt jedoch für Personen, die "Schüler-BAföG" beziehen, also die eine Berufsfachschule oder Fachschulklasse besuchen, wobei eine abgeschlossene Berufsausbildung vorausgesetzt wird (§ 12 I Nr. BAföG, § 7 VI Nr. 2 SGB II). Bei der Bedarfsberechnung ist dann jedoch das BAföG als Einkommen zu berücksichtigen, wobei wiederum 20 % der Förderungssumme als zweckbestimmte Einnahme zu bewerten sind und daher nicht als bedarfsminderndes Einkommen zählen (Urteile des BSG vom 17.03.2009, Az. B 14 AS 61/07 - 63/07 R).

  • Beratungshilfe

Empfänger von Hartz IV haben in der Regel einen Anspruch auf die Bewilligung von Beratungshilfe schon im Widerspruchsverfahren. Die Nichtgewährung von Beratungshilfe für ein Widerspruchsverfahren kann nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts den Anspruch auf „Rechtswahrnehmungsgleichheit" (Art. 3 I, 20 I, III GG) verletzen. Vergleichsmaßstab ist das Handeln eines Bemittelten, der bei der Inanspruchnahme von Rechtsrat die insoweit entstehenden Kosten vernünftig abwägt. Ergibt diese Abwägung, dass die Inanspruchnahme rechtlicher Beratung angezeigt ist, muss dies auch für einen Nichtbemittelten gelten, so dass auch für das sozialrechtliche Widerspruchsverfahren Beratungshilfe erforderlich sein kann. Der praktisch häufigen Argumentation der Rechtspfleger, dass es dem Antragsteller zumutbar sei, „bei der Widerspruchsbehörde vorzusprechen und deren kostenlose Beratung in Anspruch zu nehmen, auch wenn diese mit der Ausgangsbehörde identisch sei", um Beratungshilfe zu versagen, ist damit der Boden entzogen. Entscheidend ist vielmehr, ob anwaltliche Hilfe zur Wahrnehmung der Rechte notwendig ist. In der Regel ist die Beauftragung eines Rechtsanwalts jedenfalls zur „Effektivitätssteigerung des Verfahrens" geeignet, was wiederum vor allem im Bereich des existenzsichernden Charakters des Arbeitslosengeldes II bedeutsam ist. (Beschluss des BVerfG vom 11.05.2009, Az. 1 BvR 1517/08).

  • Betriebliche Altersvorsorge

Leistet ein Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft, das in einem Arbeitsverhältnis steht, Beiträge zur betrieblichen Altersvorsorge, sind diese bei der Berechnung des Einkommens i.S.d. SGB II nicht zu berücksichtigen, mindern den Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende also nicht. Die Beiträge zur betrieblichen Altersversorgung dienen einem staatlichen geförderten Zweck und sind als zweckgebundene Einkünfte nicht bei der Einkommensberechnung zu berücksichtigen. Dies gilt auch, wenn es sich nicht um eine Riester-Rente handelt (Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 25.11.2008, Az. L 3 AS 118/07).

  • Darlehen

Ein Darlehen stelle kein anzurechnendes Einkommen dar, weil es anders als bei einem Geschenk die wirtschaftliche Situation des Darlehensempfängers nicht verbessere. Werde die Rückzahlung geschuldet, beinhalte das Darlehn keinen vermögenswerten Vorteil. Dabei sei es sogar unschädlich, dass mit Vereinbarung des Darlehns der konkrete Rückzahlungszeitpunkt noch offen gelassen worden sei (SG Dortmund, Az. S 22 AS 66/08).

  • Erstausstattung

Bezieher von Hartz IV haben im Rahmen der Erstausstattung einer Wohnung Anspruch auf Leistungen zur Anschaffung eines Fernsehers. Allerdings beschränkt sich der Anspruch auf die Anschaffung eines gebrauchten Geräts (SG Frankfurt, Az. S 17 AS 388/06 und S 17 AS 87/08).

  • Kosten der Unterkunft

Bei den Gebühren für Kabelfernsehen handelt es sich jedenfalls dann nicht um angemessene Kosten der Unterkunft (§ 22 I SGB II), wenn die Nutzung des Kabelfernsehens dem Leistungsbezieher mietvertraglich frei steht und anderweitig ein Zugang zu Fernseh- und Rundfunkempfang besteht. Steht es dem Leistungsempfänger mietvertraglich jedoch nicht frei, über den Kabelempfang und die damit verbundenen Gebühren zu entscheiden, können die anfallenden Gebühren angemessen und von der ARGE zu trage sein (Urteil des Bundessozialgerichts vom 19.02.2009, Az. B 4 AS 48/08 R).

Nach einer Entscheidung des Sozialgerichts Karlsruhe handelt es sich auch bei dem Mietanteil um Kosten der Unterkunft gem. § 22 I SGB II, der sich bei einer möblierten Wohnung auf die Möblierung bezieht und nicht auf den Wohnraum selbst. Solange die Kosten der (möblierten) Unterkunft die Angemessenheitsgrenze nicht überschreiten, sind sie von der ARGE zu tragen. Ein Pauschalabzug „Vollmöblierung" ist unzulässig (Beschluss vom 26.03.2009, S 8 AS 1073/09 ER).

Die ARGE muss Leistungsempfängern nach dem SGB II die Finanzierungskosten für ein Eigenheim (nur) in Höhe der angemessenen Kosten der Unterkunft erstatten (§ 22 Abs. 1 S. 1 SGB II). Diese Vorgehensweise ist nicht zu beanstanden, es liegt insbesondere kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz und die grundgesetzliche Eigentumsgarantie vor. Auszugehen ist von der für Wohnberechtigte im sozialen Mietwohnungsbau jeweils maßgebende Wohnraumgröße (hier: 65 qm für die aus zwei Personen bestehende Bedarfsgemeinschaft). Finanzierungskosten für ein selbst genutztes Haus, die die nach den genannten Maßstäben zu ermittelnden Kosten überschreiten, sind unangemessen (Urteil des Bundessozialgerichts vom 02.07.2009, Az. B 14 AS 42/07 R).

Aufwendungen für eine Leibrente, die für den Erwerb der Wohnung anfallen, können zu den Kosten der Unterkunft (KdU) zählen und vom Grundsicherungsträger, in der Regel der ARGE, übernommen werden. Voraussetzung ist aber, dass die Leibrechte vom Hilfebedürftigen auch tatsächlich bezahlt wird. Die bloße Vereinbarung einer Leibrente, ohne dass diese auch gezahlt wird, reicht nicht aus, da § 22 I 1 SGB II die Übernahme fiktiver KdU nicht vorsieht (BSG vom 20.08.2009, Az. B 14 AS 34/08 R).

  • Mehrbedarf

Das Bundessozialgericht hat am 03.03.2009 entscheiden, dass erwerbsfähigen Hilfebedürftigen i.S.d. SGB II ein Anspruch auf hälftigen Mehrbedarf gem. § 21 III SGB II entsteht, wenn sich geschiedene und getrennt lebende Ehegatten bei der Betreuung und Erziehung eines gemeinsamen Kindes abwechseln, die Abwechslungsintervalle jeweils mindestens eine Woche betragen und sich die Eltern die Kosten teilen. In solchen Fällen ist es nicht sachgerecht, dem "Alles-oder-nichts-Prinzip" zu folgen, vielmehr ist eine zweckgerechte Teilung vorzunehmen (Az. B 4 AS 50/07 R).

  • Regelleistung für Kinder bis 14 Jahre

Das Bundessozialgericht hält die Regelung des § 28 I 3 Nr. 1 SGB II, nach dem die Hartz-IV-Regelleistung für die in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Kinder bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres nur 60 % der für alleinstehende Erwachsene maßgeblichen Regelleistung beträgt, für verfassungswidrig und hat daher dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob § 28 I 3 Nr. 1 SGB II mit dem Grundgesetz in Einklang steht oder nicht. Bis zur Entscheidung des BVerfG werden die betroffenen Verfahren ausgesetzt (Beschlüsse des BSG vom 27.01.2009, Az. B 14/11b AS 9/07 R und Az. B 14 AS 5/08 R).

  • Sanktion gem. § 31 SGB II

Weigert sich ein Langzeitarbeitsloser, gegen einen Dumpinglohn zu arbeiten, darf die ARGE die Leistungen der Grundsicherung nicht kürzen. Im Verfahren sollte der Betroffenen gegen einen Brutto-Stundenlohn von € 4,50 bei einem Textildiscounter arbeiten, wobei der unterste Tariflohn € 9,82 betrug. Diese Art der Beschäftigung sei unzumutbar und die Verweigerung rechtfertigt daher nicht, die Leistungen der Grundsicherung um 30 % monatlich gem. § 31 I SGB II zu kürzen (Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 02.02.2009, Az. S 31 AS 317/07).

  • Vorlage von Kontoauszügen

Bei der Stellung eines Hartz-IV-Folgeantrags ist die ARGE berechtigt, die Vorlage der Kontoauszüge der letzten drei Monate zu verlangen. Die Verpflichtung des Antragstellers ergibt sich aus § 60 I SGB I und ist nicht auf konkrete Verdachtsfälle beschränkt (LSG NRW, Beschluss vom 19.12.2008, Az. L 19 B 224/08 AS).

  • Wohnungskündigung

Der Bundesgerichtshof hat eine überaus mieter- und sozialleistungsempfängerfreundliche Entscheidung getroffen. Ein Wohnraummietverhältnis darf vom Vermieter nicht fristlos gekündigt werden, wenn der zuständige Sozialleistungsträger (ARGE, Jobcenter) die Miete unpünktlich überweist. Ob ein Grund zur fristlosen Kündigung der Wohnung vorliegt, ist anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu prüfen. Ein etwaiges Verschulden des Leistungsträgers muss sich der mietende Leistungsempfänger nicht zurechnen lassen, da der Träger nicht Erfüllungsgehilfe des Mieters ist, sondern die ihm obliegenden staatlichen Aufgaben der Daseinsvorsorge wahrnimmt. Es macht keinen Unterschied, ob die Miete an den Hilfebedürftigen oder direkt an den Vermieter bezahlt wird (BGH, Urt. vom 21.10.2009, Az. VIII ZR 64/09).

  • Zufluss von Einkommen

Das Bundessozialgericht hat unter dem Az. B 14 AS 26/07 R ausdrücklich klargestellt, dass bei der Berechnung von Leistungen nach dem SGB II etwaige Lohneingänge in dem Monate zu berücksichtigen ist, in dem er tatsächlich dem Konto des Leistungsempfängers gutgeschrieben wird - man spricht insoweit vom Zuflussprinzip. Das bedeutet, dass es für Empfänger von Leistungen der Grundsicherung keine Rolle spielt, ob etwa der Lohn für Januar erst im März ausbezahlt wird. Entscheidend ist einzig der Zahlungseingang. In der Praxis kann dies zu Vorteilen führen (Leistungsanspruch trotz Erwerbstätigkeit, wenn der Lohn erst später bezahlt wird), aber auch zu Nachteilen (Anspruchswegfall bei späterer bzw. gehäufter Lohnzahlung mit der Folge eines Änderungs- bzw. Aufhebungsbescheids wegen nachträglicher Änderung der Verhältnisse gem. § 48 SGB X und einer Erstattungsforderung gem. § 50 SGB X).

Rechtsanwalt Mathias Klose, Regensburg


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