Überstundenzuschläge müssen auch bei Urlaub erhalten bleiben

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Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 13.01.2022 (Az. C-514/20)

Mehrarbeit, landläufig Überstunden, ist Arbeitsleistung über die im Arbeitsvertrag vereinbarte Arbeitszeit hinaus. Sofern nachgewiesen werden kann, dass Überstunden geleistet wurden, sind diese zu vergüten. Hierfür ist zunächst einmal der Stundensatz anzusetzen, der auch für eine „normale“ Arbeitsstunde anfällt. Eine automatische Erhöhung dieses Stundenlohns als Entschädigung für die Mehrarbeit sieht das Gesetz nicht vor, wohl aber mancher Tarifvertrag. Hiernach ist mitunter für Arbeitsstunden, die über eine Vollzeitbeschäftigung hinausgehen, ein Zuschlag zu zahlen, beispielsweise 25 % Zuschlag ab der 41. Wochenstunde.

Aktuell war fraglich, wie sich Urlaubszeiten auf diese Berechnung auswirken. Einerseits ist die Ableistung von Überstunden während des Urlaubs natürlich nicht möglich. Andererseits sind die Tarifverträge in der Regel so formuliert, dass Überstunden erst ab einer gewissen „geleisteten“ Stundenzahl anfallen. Die Inanspruchnahme von Urlaub führt dann dazu, dass in dieser Zeit keine Stunden geleistet werden, die Urlaubszeit also vollständig außer Betracht bleibt und die Erlangung von Überstundenzuschlägen im jeweiligen Monat so gut wie nicht mehr möglich ist. Hiergegen hat sich nun der europäische Gerichtshof gewandt.

Klage auf Überstundenzuschläge nach Urlaub

Der Manteltarifvertrag für Zeitarbeit sieht vor:

„Mehrarbeitszuschläge werden für Zeiten gezahlt, die in Monaten mit 23 Arbeitstagen über 184 geleistete [Stunden] hinausgehen.

Der Mehrarbeitszuschlag beträgt 25 Prozent.“

Nach einem zehntägigen Urlaub hatte der Arbeitgeber die Urlaubszeit bei der Berechnung außer Betracht gelassen. Der Arbeitnehmer begehrte vor den Arbeitsgerichten, dass diese Zeiten mit der Soll-Arbeitszeit eingerechnet würden. Der Arbeitgeber argumentierte hiergegen, dass nach dem Wortlaut nun die tatsächlich geleisteten Stunden einzubeziehen seien.

Das Bundesarbeitsgericht: Vorlage an den europäischen Gerichtshof

Das Bundesarbeitsgerichts hatte Zweifel, ob die Regelung sich in Übereinstimmung mit europäischem Recht befand. Einerseits sei der Wortlaut deutlich, andererseits sie die Richtlinie 2003/88 vor, dass keine nationalen Regelungen die Inanspruchnahme des Urlaubs hindern dürfen. Durch die tarifvertragliche Regelung könnten sich allerdings Arbeitnehmer gehindert fühlen, ihren Urlaub geltend zu machen. Diese Frage legte das Bundesarbeitsgericht dem europäischen Gerichtshof zur Entscheidung vor (BAG, Beschluss vom 17.06.2020 – 10 AZR 210/19 (A)).

Der europäische Gerichtshof: Urlaubszeiten wie Sollarbeitszeit

Entsprechend seiner seit jeher arbeitnehmerfreundlicher Rechtsprechung im Bereich Urlaub entschied der europäische Gerichtshof, dass die Regelung geeignet ist, Arbeitnehmer davon abzuhalten, in Monaten, in denen Überstunden erbracht wurden, bezahlten Urlaub zu nehmen. Der Urlaubsanspruch diene aber gerade in der Vermittlung von Erholung Gesundheitsschutz, so dass eine die Inanspruchnahme hindernde Regelung nicht mit europäischem Recht vereinbar sei (Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 13.01.2022, Az. C-514/20)

Das Bundesarbeitsgericht ist nun aufgerufen, unter Berücksichtigung dieses Urteils den Fall abschließend zu entscheiden und wird sehr wahrscheinlich die tarifvertragliche Regelung für unwirksam erklären. Dies würde präjudiziell für gleich oder ähnlich lautende tarifvertragliche oder einzelvertragliche Regelung wirken, so dass künftig sehr wahrscheinlich Urlaubszeiten mit der Soll-Arbeitszeit in die Ermittlung von Überstundenzuschlägen einzubeziehen sein werden.

Weitere Hinweise zum Thema und die Beantwortung der häufigsten Fragen zur neuen Regelung können Sie in der Langversion unseres Blogbeitrags unter https://kanzlei-kerner.de/blog/kein-verlust-von-ueberstundenzuschlaegen-wegen-urlaub/ nachlesen.

Foto(s): adobe stock

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