Unterhaltsrecht: Feststellung einer realen Beschäftigungschance für den Unterhaltsschuldner

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Der Bundesgerichtshof hat in einer Entscheidung vom 22.01.2014 (Az. XII ZB 185/12) darüber entschieden, dass für die Feststellung, dass für einen Unterhaltsschuldner keine realen Beschäftigungschance auf dem Arbeitsmarkt besteht, insbesondere im Bereich der gesteigerten Unterhaltspflicht (z. B. gegenüber minderjährigen Kindern) ein strenger Maßstab anzulegen ist. Allein der Umstand, dass der Unterhaltspflichtige aus dem Ausland stammt und über keine abgeschlossene Berufsausbildung verfügt, rechtfertige noch nicht die Schlussfolgerung, dass für ihn keine reale Beschäftigungschance bezüglich einer sozialversicherungspflichtigen Vollzeitstelle besteht.

Wenn der Unterhaltsverpflichtete eine ihm mögliche und zumutbare Erwerbstätigkeit unterlässt, obwohl er diese bei gutem Willen ausüben könnte, können aus diesem Grunde nicht nur die tatsächlichen, sondern auch fiktive (d. h. erzielbare, aber tatsächlich nicht erzielte) Einkünfte berücksichtigt werden. Die Zurechnung solcher fiktiver Einkünfte (auch mögliche Nebenverdienste) setzt neben nicht ausreichenden Erwerbsbemühungen, jedoch auch eine reale Beschäftigungschance des zum Unterhalt Verpflichteten voraus. Diesem darf auch bei Verstoß gegen seine Erwerbsobliegenheit nur ein Einkommen zugerechnet werden, welches von ihm realistischerweise zu erzielen ist.

Nach der Entscheidung des BGH kann für gesunde Arbeitnehmer im mittleren Erwerbsalter auch in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit in der Regel kein Erfahrungssatz dahin gebildet werden, dass sie nicht in eine vollschichtige Tätigkeit zu vermitteln sind. Dies gelte auch für ungelernte Kräfte oder für Ausländer mit eingeschränkten deutschen Sprachkenntnissen. Auch wenn der Unterhaltsschuldner bisher nur im Rahmen von Zeitarbeitsverträgen oder geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen tätig war, stellt dies noch kein ausreichendes Indiz dafür dar, dass es ihm nicht gelingen kann, eine besser bezahlte Stelle zu finden. Zu den Anforderungen bei einer gesteigerten Unterhaltsverpflichtung gegenüber einem minderjährigen Kind gehöre ferner auch das Bemühen des Unterhaltspflichtigen um eine Verbesserung seiner deutschen Sprachkenntnisse.

Im entschiedenen Fall weist der Bundesgerichthof weiter darauf hin, dass es für den Nachweis des ausreichenden Bemühens um eine Erwerbstätigkeit nicht ausreicht, wenn der Unterhaltsschuldner sich nur auf die ihm vom zuständigen Jobcenter unterbreiteten Stellenangebote beworben hat. Soweit dem Unterhaltsschuldner dieser Nachweis nicht gelinge, so werde bei einem für den Mindestunterhalt weiterhin unzureichenden Einkommen zu prüfen sein, ob und inwieweit dem Unterhaltsschuldner eine zusätzliche Nebentätigkeit zumutbar ist. Auch wenn der Unterhalt aufgrund eines wegen Verletzung der Erwerbsobliegenheit lediglich fiktiven Einkommen festzusetzen sei, treffe den Verpflichteten eine Obliegenheit zur Ausübung einer Nebentätigkeit im selben Umfang wie einen seine Erwerbsobliegenheit erfüllenden Unterhaltsschuldner.

Lars Possin, Rechtsanwalt


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