Verkehrsunfall in Bulgarien – was ist zu beachten?

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Rechte der Verletzten bei Verkehrsunfällen in Bulgarien: Anspruch auf Schadensersatz, praktische Hinweise und Tipps.

Laut neuerer Pro-Kopf-Angaben gehört Bulgarien zu den Ländern in Europa mit übermäßiger Konzentration von Verkehrsunfällen. Mit diesem Artikel möchten wir nicht nur die Grundrechte der Verletzten bei Verkehrsunfällen in Bulgarien erläutern, sondern Ihnen auch praktische Hinweise und Tipps geben, um einen gerechten Ausgleich wegen der erlittenen Schäden einschließlich Schmerzen und Leiden zu erhalten.

Alle verletzten Personen bei einem Verkehrsunfall, der Unfallverursacher ausgenommen, haben Anspruch auf Schadensersatz: andere Kraftfahrer, Fahrzeuginsassen, Radfahrer oder auch Fußgänger.

Schadensersatz für erlittene Schäden

Alle entstandenen Schäden infolge des Verkehrsunfalls müssen ersetzt werden. Hier wird unterschieden zwischen materiellen und immateriellen Schäden. Die Gruppe der immateriellen Schäden umfasst alle negativen Folgen, die aus Verletzungen, Schmerzen und Leid resultieren. Zu den materiellen Schäden gehören alle Kosten, die die verletzte Person aufgrund des Verkehrsfalls getragen hat – Kosten für OP-Eingriffe, Krankenhausaufenthalt, Medikamente, Rehabilitation, Autoreparatur u. a.

Um ein Schadensersatzverfahren einzuleiten, muss die Kausalität der entstandenen Schäden unbedingt bewiesen werden. Die Verletzungen sollen in Verbindung ausgerechnet mit diesem Verkehrsunfall stehen, die negativen gesundheitlichen Auswirkungen sollten nämlich aus den beim diesem Unfall erlittenen Verletzungen folgen und nicht aus früheren Erkrankungen, die Medikamentenkosten sollen auch mit der Behandlung von diesen Verletzungen verbunden sein usw.

Schuldner des Schadensersatzes

Auf der Rechtsgrundlage, dass jede verletzte Person Recht auf einen Schadensersatz für die erlittenen Schäden hat, die durch das rechtswidrige Verhalten anderer Rechtssubjekte verursacht wurden, sog. Delikte (Art. 45 Gesetz über Schuldverhältnisse und Verträge), können die Geschädigten verlangen, dass sie für zugefügte Schäden entschädigt werden – und zwar vom Schädiger selbst. Dies ist aber unwirksam, nicht zweckmäßig und ist kein gebräuchliches Verfahren, da es keine Gewähr für die Solvenz des schuldigen Fahrers gibt. Deshalb sind die Ansprüche in mehr als 95 % der Fälle gegen den Versicherer der obligatorischen Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung des schuldigen Unfallverursachers gerichtet. Die Zahlungsfähigkeit der Versicherungsgesellschaften ist fast zu hundert Prozent garantiert. Gemäß Art. 493 Abs. 1 des bulg. Versicherungsgesetzbuches: „Der Versicherer der obligatorischen Haftpflichtversicherung von Kfz-Fahrern deckt die Verantwortung des Versicherten für die Schäden, die Dritten – darunter auch Fußgängern, Radfahrern und anderen Verkehrsbeteiligten – infolge des Besitzes oder der Nutzung eines Kraftfahrzeuges beim Verkehr oder beim Aufenthalt zugefügt wurden.“

Nicht selten sind die Fälle, bei denen ein Schadensersatz auch vom bulgarischen Garantiefonds geschuldet wird, weil der Unfallverursacher keine gültige Haftpflichtversicherung abgeschlossen hat und/oder bei Unfallflucht, wenn der Schuldige nicht zu identifizieren war.

Feststellung und Untersuchung des Verkehrsunfalls

In der Regel versucht die Polizei dann, so schnell wie möglich an den Ort des Geschehens zu gelangen, um die Schäden zu dokumentieren und ggf. Zeugenaussagen aufzunehmen und einen Unfallbericht anzufertigen. Darin sollten alle wichtigen Informationen rund um den Vorfall gebündelt zu finden sein. Dazu kommen eine Unfallskizze und Unfallfotos wie eine detaillierte Beschreibung der allgemeinen Verkehrssituation. Es werden der Unfallverursacher, die geschädigten Personen u. Ä. identifiziert.

Wichtiger Tipp: Verlangen Sie sofort von der bulgarischen Straßenpolizei, Ihnen die zustehende Ausfertigung vom Unfallbericht auszuhändigen. Eigentlich ist dieses Dokument ein amtliches Beweisstück mit Informationen über den Unfall, die Betroffenen, das Vorhandensein oder Fehlen der Haftpflichtversicherung des schuldigen Fahrers. Sie als verletzte Person sollten unverzüglich von der Straßenpolizei anfordern, Ihren Namen im Protokoll zu ergänzen, falls dieser darin nicht eingetragen ist.

Als nächstes erfolgt die Erstellung eines gerichtlichen Kfz-technischen Gutachtens, damit der Ablauf des Unfalls und der Unfallverursacher geklärt sind. Es wird ebenfalls ein gerichtlich-medizinisches Gutachten erstellt, um die erlittenen Verletzungen und den erwarteten späteren Genesungsprozess festzustellen. Es ist zu beweisen, dass die Verletzungen in Verbindung ausgerechnet mit diesem Verkehrsunfall stehen (Vorhandsein eines Kausalzusammenhangs).

Unser Tipp: Sie als verletzte Person sollten bereits in der vorgerichtlichen Phase des Prozesses eine juristische Beratung erhalten und mit Ihren Fragen an die das Gutachten vorbereitenden Experten aktiv an der Untersuchungsphase teilnehmen. Gerade von in dieser Phase gesammelten Beweismitteln hängt das Ergebnis des ganzen Verfahrens ab, einschl. das des zivilen Verfahrens zur Erlangung einer Entschädigung.

Im Falle, dass das gerichtlich-medizinische Gutachten einem der Betroffenen wenigstens eine mittlere, infolge des Unfalls zugefügte körperliche Verletzung feststellt, wird eine Anklage gegen den schuldigen Fahrer eingereicht und dieser wird beschuldigt. Prinzipiell kann der Verletzte jederzeit die Beendigung des Strafverfahrens verlangen, sodass der schuldige Fahrer unbestraft bleibt. Wenn aber dies nicht der Fall ist, erfolgt die gerichtliche Phase. Meistens endet sie mit einer Vereinbarung zwischen der Staatsanwaltschaft und dem Angeklagten oder mit der Befreiung des Angeklagten von der strafrechtlichen Verantwortung. Dann wird die strafrechtliche Verantwortung durch eine Ordnungsstrafe ersetzt (nach Maßgabe von Art. 78а Strafgesetzbuch) – eine Geldbuße einschließlich Führerscheinentzug für einen bestimmten Zeitraum.

Das in Kraft getretene Urteil des Strafgerichts (oder der äquivalenten Strukturen des Strafgerichts, mit den zwischen der Staatsanwaltschaft und dem Angeklagten geschlossenen Vereinbarungen und/oder dem Gerichtsbeschluss, durch den der Angeklagte laut Maßgabe von Art. 78a Strafgesetzbuches mit der Auferlegung einer Ordnungsstrafe von der strafrechtlichen Verantwortung befreit wird) ist verbindlich für das Zivilgericht bei Verhandlung des Verfahrens für einen Schadensersatz hinsichtlich des Eintretens des verfahrensgegenständlichen Verkehrsunfalls und der Schuld des Angeklagten, laut Maßgabe des Art. 300 der bulgarischen Zivilprozessordnung. Anders gesagt, der Verletzte braucht den Unfallverlauf und die Schuld des Kfz-Fahrers nicht zu beweisen, sondern soll nur Beweismittel für die von ihm erlittenen Schäden vorlegen.

Anspruch gegen den Versicherer

Seit dem 01.01.2016, als das neue Versicherungsgesetzbuch in Kraft trat, können die Verletzten ihre Klage nicht mehr direkt gegen den Versicherer beim Zivilgericht einleiten. Nun soll ihr Anspruch zuerst auf freiwillige Zahlung beim Versicherer erhoben werden, mit Vorlegen aller vorhandenen Dokumente (einschl. gesamte medizinische Dokumentation in Bezug auf Hospitalisierung, Krankenhausaufenthalt, Behandlung, Heilung usw.). Ein entsprechendes Konto soll angegeben werden, worauf die festgelegte Versicherungsleistung zu überweisen ist. Der Versicherer soll in einer 3-monatigen Frist entscheiden, ob er die festgelegte Versicherungsleistung auszahlen oder verweigern wird. Nach dieser Frist können sich die Verletzten, denen keine Versicherungsleistung ausgezahlt wurde und/oder deren Anspruch nicht zur Gänze stattgegeben wurde, an das Zivilgericht wenden und ihre Auszahlung verlangen, indem die entsprechenden Verzugszinsen berechnet werden.

Vorbereitung des Klageantrags und Zivilverfahren für einen Schadensersatz

Beim Einleiten eines Klageantrags vor dem Gericht sollten alle Unterlagen vorliegen, die das Recht des Verletzten auf eine Versicherungsleistung beweisen. Gleichermaßen wird die Höhe der Versicherungsleistung festgelegt.

Diese Dokumente können in drei Gruppen eingeteilt werden.

Zu den ereignisbezogenen Dokumenten gehören der Unfallbericht mit Angabe der geschädigten Personen, das Protokoll über die Besichtigung der Unfallstelle, die Unfallskizze und die Unfallfotos, die Protokolle der Vernehmung der Zeugen in der Strafphase, das Kfz-technische Gutachten, der Erlass auf Beendigung des Vorverfahrens, Urteil/Beschluss/Verfügung des Gerichts.

Die medizinischen Dokumente umfassen Epikrisen von Krankenhausaufenthalten, operative Behandlung, Vorsorgeuntersuchung, Rezepte, Überweisungen für Rehabilitation, Berichte von durchgeführten Rehabilitationen, postoperative Protokolle, Gutachten von Sachverständigenkommissionen für allgemeine Erkrankungen, gerichtlich-medizinische Gutachten aus der Phase des Strafprozesses u. a.

Unser Tipp: Die Sachverständigen arbeiten während des gesamten Verfahrens an den vorgelegten medizinischen Dokumenten – je mehr medizinische Dokumente Sie als verletzte Person vorlegen, desto größer ist die Chance, dass alle eingetretenen negativen Folgen bewiesen werden. Sammeln Sie deswegen alle medizinischen Dokumente – wenn Sie einen Facharzt im Zusammenhang mit den Beschwerden infolge des Verkehrsunfalls besuchen, lassen Sie sich ein Dokument ausstellen. Im Dokument soll ausdrücklich festgehalten sein, dass Sie einen Verkehrsunfall erlitten haben und Ihre Beschwerden im Zusammenhang damit stehen.

Zu den Dokumenten für anfallende Ausgaben gehören Rechnungen und Quittungen für entstandene Kosten beim Krankenhausaufenthalt, für den spezialisierten Krankentransport ins/vom Krankenhaus, für den Kauf von in der OP zwingend notwendigen Befestigungselementen (Nägeln, Nadeln u. a.), für die Zahlung von Rehabilitationsprozeduren, für den Kauf von Medikamenten, Hilfsmitteln usw.

Folgende Tatsachen und Umstände sollen im Laufe des Verfahrens bewiesen werden:

  • Die Schuld des Unfallverursachers/der von Ihnen angegebenen Person – das erfolgt entweder nach Maßgabe von Art. 300 ZPO durch Nutzung eines in Kraft getretenen Urteils vom Strafgericht bzw. einer gleichgestellten Gerichtsakte oder mittels eines gerichtlichen Kfz-technischen Gutachtens, wobei der Sachverständige die Fragen beantworten soll, wie der verfahrensgegenständliche Verkehrsunfall eingetreten ist und bei wem die Schuld für dessen Eintritt liegt.
  • Die beim Verkehrsunfall entstandenen Verletzungen sowie ihre kausale Verbindung mit dem Verkehrsunfall. Das wird durch ein gerichtlich-medizinische Gutachten erreicht, wobei der Sachverständige Fragen in Bezug auf die Verletzungen beantworten soll, die infolge des besagten Verkehrsunfalls entstanden sind. Dazu kommen Antworten auf die Fragen nach Heilungsdauer und eingetretener bzw. eventueller Verschlimmerung des Krankheitszustandes. Durch Verhören von Zeugen – einschließlich Ihren Freunden, Bekannten und sogar auch Ihren Angehörigen) sollen die Fragen beantwortet werden, die die von Ihnen erlittenen Schmerzen und Leid infolge der zugefügten Verletzungen vom Verkehrsunfall behandeln.
  • Die Tatsache, dass der Unfallverursacher über eine gültige Haftpflichtversicherung bei der Versicherungsgesellschaft zum Zeitpunkt des Geschehens verfügt wird mittels Protokoll vom Verkehrsunfall und/oder Auskunft aus der Datenbank vom Garantiefonds bewiesen, die Information über konkrete Versicherungspolicen der einzelnen Kfz enthält.

„Gerechter Schadensersatz“

Das bulgarische Gericht spricht gerechten Schadensersatz für immaterielle Schäden zu (Art. 52 Gesetz über Verbindlichkeiten und Verträge). Anders gesagt, es fehlen konkrete Höhen des Schadensersatzes für die einzelnen Arten von Verletzungen. Gemäß der anwendbaren Rechtsprechung (Erlass des Obersten Gerichtshofes Nr. 4/23.12.1968): „die Beurteilung des Gerichts basiert auf allen Umständen, die von Bedeutung für die Höhe der Schäden sind und zwar Beurteilung aus zahlreichen konkreten objektiv vorliegenden Umständen wie z. B. Charakter der Verletzung, Art und Weise des Eintritts, Umstände, unter denen sie eingetreten ist, zusätzliche Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes, zugefügte moralische Schmerzen, Verkrüppelungen, Verunstaltungen u. a.“.

Unser Tipp: Erheben Sie Ihre Klagen bei den Gerichten in der Stadt Sofia, wo der Sitz der Versicherungsgesellschaften liegt. Rein statistisch ist es wahrscheinlicher, dass Sie von den Gerichten in der Stadt Sofia einen höheren Schadensersatz für eine ähnliche Verletzung bekommen als von den Gerichten, wo der Schaden eingetreten ist und/oder wo Sie angemeldet sind.

Einspruch wegen Mitverursachung

Bestrebend, den Schadensersatz herunterzusetzen, legen die meisten Versicherer den sog. „Einspruch wegen Mitverursachung des schadensverursachenden Ergebnisses“ ein. Wenn eine Mitverursachung vorliegt, hat der Verletzte durch sein unrechtmäßiges Handeln in höherem Maße zum Auftreten des schädlichen Ereignisses beigetragen. Den Einspruch wegen Mitverursachung ergänzt eine Aussage des Versicherers, dass sich der Verletzte den Sicherheitsgurt nicht angeschnallt hat. Eine andere Behauptung des Versicherers: Dem Verletzten war die Inkompetenz des Fahrers oder dessen Alkoholkonsum vor dem Autofahren bewusst, trotzdem sei der Verletzte ins Auto eingestiegen.

Das Gericht betrachtet nicht jedes gesetzwidrige Verhalten als Mitverursachung. Damit diese vorliegt, muss vom Versicherer bewiesen werden, dass die erlittenen Schäden nicht eingetreten oder begrenzt wären, wenn sich der Verletzte angeschnallt hätte. Es soll vor dem Gericht bewiesen werden, dass der Verletzte über das Fehlen einer Fahrerlaubnis oder den Alkoholkonsum des Fahrers informiert war. Auf alle Fälle liegt die Beweislast für diese Tatsachen zur Gänze beim Versicherer.

Unser Tipp: Da die Ärzte sich vor allem mit den schwereren Verletzungen (Knochenbrüchen, Blutungen u. Ä.) beschäftigen, werden die Prellungen an der Brust und am Bauch der Verletzten, die durch Anschnallen des Sicherheitsgurtes verursacht sind, in den medizinischen Epikrisen oft nicht erwähnt. Dieses Versäumnis kann leider zu einer unrichtigen Einschätzung des Unfalls seitens des Sachverständigen führen, sodass die Versicherungsleistung letztendlich um bis zu 50 % reduziert werden könnte, wenn im Laufe des Zivilverfahrens das Anschnallen des Sicherheitsgurtes nicht bewiesen worden ist. Deswegen ist es empfehlenswert, von den Ärzten zu verlangen, alle Ihre körperlichen Verletzungen in der Epikrise zu beschreiben, einschl. Verletzungen infolge des angeschnallten Sicherheitsgurtes.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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