Vorverlegen eines Fluges, ist das als Annullierung zu bewerten? Was sagt der EuGH?

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Mit Urteil vom 21. Dezember 2021 (C-188/20) hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft (EuGH) unter anderem entschieden, dass die Vorverlegung eines Fluges um mehr als eine Stunde wie eine Annullierung zu bewerten ist.

Was war geschehen?

Vor dem Amtsgericht Düsseldorf stritten die Kläger gegen die Fluggesellschaft Azur Air wegen Ausgleichszahlungen einerseits für den Hinflug, der sich um mehrere Stunden verspätete und andererseits wegen des Rückfluges, der um einige Stunden vorverlegt wurde.

Ohne dass das Amtsgericht über die vorgenannten Rechtsfragen entschieden hat, wurde die Klage abgewiesen mit der Begründung, die Kläger verfügten nicht über eine (für Ausgleichsansprüche notwendige) bestätigte Buchung im Sinne Art. 3 Abs. 2a der Fluggastrechte-Verordnung, denn der Flug sei Bestandteil einer Pauschalreise gewesen, wobei der Reiseveranstalter keine Reisebestätigung, sondern lediglich eine „Reiseanmeldung“ herausgegeben hat, die nicht als bestätigte Buchung zu werten sei.

Die gegen das Urteil eingelegte Berufung führte zum Beschluss des Landgerichts Düsseldorf, mit dem das Verfahren ausgesetzt und dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegt wurde. Neben den Fragen, ob eine Reiseanmeldung als „bestätigte Buchung“ bzw. ob die Vorverlegung eines Fluges als Annullierung zu werten ist, hat das Landgericht eine weitere Frage im Zusammenhang mit Art. 14 Fluggastrechte-Verordnung dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt. Das Landgericht Düsseldorf hat folgende Fragen an den Europäischen Gerichtshof formuliert:

1.      Verfügt ein Fluggast über eine „bestätigte Buchung“ im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 261/2004, wenn er von einem Reiseunternehmen, mit dem er in einer Vertragsbeziehung steht, einen „anderen Beleg“ im Sinne von Art. 2 Buchst. g der Verordnung Nr. 261/2004 erhalten hat, durch den ihm die Beförderung auf einem bestimmten, durch Abflug- und Ankunftsort, Abflug- und Ankunftszeit und Flugnummer individualisierten Flug versprochen wird, ohne dass das Reiseunternehmen eine Platzreservierung für diesen Flug bei dem betreffenden Luftfahrtunternehmen vorgenommen und von diesem bestätigt erhalten hat?

2.      Ist ein Luftfahrtunternehmen im Verhältnis zu einem Fluggast bereits dann als ausführendes Luftfahrtunternehmen im Sinne von Art. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 261/2004 anzusehen, wenn dieser Fluggast zwar in einer Vertragsbeziehung zu einem Reiseunternehmen steht, das ihm die Beförderung auf einem bestimmten, durch Abflug- und Ankunftsort, Abflug- und Ankunftszeit und Flugnummer individualisierten Flug versprochen hat, das Reiseunternehmen jedoch für den Fluggast keinen Sitzplatz reserviert und damit keine Vertragsbeziehung zu dem Luftfahrtunternehmen im Hinblick auf diesen Flug begründet hat?

3.      Kann sich die „planmäßige Ankunftszeit“ eines Fluges im Sinne von Art. 2 Buchst. h, Art. 5 Abs. 1 Buchst. c, Art. 7 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 der Verordnung Nr. 261/2004 für die Zwecke der Ausgleichsleistung wegen Annullierung oder großer Ankunftsverspätung aus einem „anderen Beleg“ ergeben, den ein Reiseunternehmen einem Fluggast ausgestellt hat, oder ist dafür auf den Flugschein gemäß Art. 2 Buchst. f der Verordnung Nr. 261/2004 abzustellen?

4.      Liegt eine Annullierung eines Fluges im Sinne von Art. 2 Buchst. l und Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004 vor, wenn das ausführende Luftfahrtunternehmen den im Rahmen einer Pauschalreise gebuchten Flug innerhalb desselben Tages um mindestens zwei Stunden und zehn Minuten vorverlegt?

5.      Kann das ausführende Luftfahrtunternehmen die Ausgleichszahlungen nach Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004 gemäß Art. 7 Abs. 2 der Verordnung kürzen, wenn sich der Zeitraum der Vorverlegung eines Fluges innerhalb der dort genannten Zeiträume bewegt?

6.      Handelt es sich bei einer Mitteilung vor Reisebeginn über die zeitliche Vorverlegung eines Fluges um das Angebot einer anderweitigen Beförderung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Buchst. a und Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 261/2004?

7.      Verpflichtet Art. 14 Abs. 2 der Verordnung Nr. 261/2004 das ausführende Luftfahrtunternehmen dazu, den Fluggast darüber zu unterrichten, unter welcher genauen Unternehmensbezeichnung und Anschrift er welchen nach der Entfernung gestaffelten Betrag verlangen kann und gegebenenfalls welche Unterlagen er seinem Verlangen beifügen soll?

Das Urteil des EuGH

Der EuGH hat wieder einmal die Rechte der Fluggäste gestärkt.

Als bestätigte Buchung hat der EuGH auch dann das Reisedokument (Reiseanmeldung) angenommen, wenn es von der Fluggesellschaft im Hinblick auf die darin genannten Flugzeiten nicht bestätigt wurde.

Die für den Reisenden maßgeblichen Flugzeiten können sich aus dem Reisedokument ergeben, das der Reiseveranstalter ausgehändigt hat, auch wenn sich dieser die Flugzeiten von dem Luftfahrtunternehmen hat nicht bestätigen lassen.

Ein Flug gilt dann als annulliert, wenn dieser einseitig von dem Luftfahrtunternehmen um mehr als eine Stunde gegenüber der in der Reisebestätigung enthaltenen Flugzeit vorverlegt wird.

Das Luftfahrtunternehmen hat im Falle einer Flugunregelmäßigkeit den Fluggast über seine Rechte und über die Stelle, an der die Ansprüche anzumelden sind, zu informieren. Er ist ferner darüber zu unterrichten, welche Unterlagen er beifügen muss. Nicht notwendig ist eine Information über die exakte Höhe der dem Fluggast zustehenden Ausgleichszahlung.

Das Verfahren ist nunmehr vom Landgericht Düsseldorf unter Beachtung der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs fortzusetzen und ein Urteil ist zu verkünden.

In wesentlichen Gesichtspunkten ist der Europäische Gerichtshof der Rechtsauffassung der von Advocatur Wiesbaden vertretenen Klägern gefolgt.

Im Volltext kann das Urteil hier  nachgelesen werden.

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