Was ist das Beschleunigte Familienverfahren?

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In Familienverfahren ist oft Eile geboten. Doch auch hier gilt der Grundsatz „Eile mit Weile“. Der Gesetzgeber hatte sich im Jahr 2008 veranlasst gesehen, in Kindschaftssachen ein Vorrang- und Beschleunigungsgebot einzuführen. Ziel ist, im Interesse des Kindeswohls die Verfahrensdauer zu verkürzen, die der Gesetzgeber in Sorge- und Umgangsverfahren als zu lang erachtete. Da das Kindeswohl im Mittelpunkt steht, prägt und begrenzt das Wohl des Kindes zugleich das Beschleunigungsgebot. Denn auch eine beschleunigte Verfahrensweise darf nicht dazu führen, dass das Kindeswohl auf der Strecke bleibt.

Welche Vorteile bietet das beschleunigte Familienverfahren?

Geht es um den Aufenthalt Ihres Kindes, das Umgangsrecht, die Herausgabe des Kindes oder ist das Kindeswohl gefährdet (Kindschaftssache), bestimmt § 155 FamFG (Gesetz zum Verfahren in Familiensachen), dass die Gerichte die betreffenden Verfahren vorrangig und beschleunigt durchführen müssen. Das Gesetz zeichnet hierzu im Detail vor, in welchen Schritten die Familiengerichte eine Lösung herbeiführen sollen.

Früher erster Anhörungstermin

Der wichtigste Schritt ist, dass das Familiengericht spätestens einen Monat, nachdem Sie in einer Kindschaftssache einen Antrag gestellt haben, einen frühen ersten Termin zur persönlichen Anhörung der Beteiligten durchführen muss. Ziel ist es, eine in der anfänglichen Trennungszeit der Elternteile drohende Eskalierung des elterlichen Konflikts zu verhindern und die Eltern in einem persönlichen Gespräch möglichst schnell wieder zur Aufnahme ihrer gemeinsamen elterlichen Verantwortung zu motivieren.

Erhöhte Anforderungen an eine Terminsverlegung

Aufgrund des Vorranggebots muss das Familiengericht notfalls andere anhängige Rechtsfälle zurückstellen und muss die betreffende Kindschaftssache vorrangig bearbeiten. Der anberaumte Anhörungstermin kann nur aus zwingenden Gründen abgesagt werden. Erhebliche Gründe genügen also nicht. Zwingende Gründe sind nur solche, die eine Teilnahme am Termin tatsächlich unmöglich machen (z.B. nachweisbare Erkrankung eines Beteiligten). Eine Terminkollision eines Beteiligten ist kein zwingender Grund. Können Sie also als Elternteil den Anhörungstermin nicht wahrnehmen, müssen Sie einen zwingenden Grund vortragen und diesen Grund auch glaubhaft machen. Nur dann darf das Gericht den Termin verlegen. Ansonsten müssen Sie mit Ordnungsmitteln rechnen oder der Termin findet ohne Sie statt.

Anhörung des Jugendamtes

Im Anhörungstermin ist auch ein Vertreter des Jugendamtes anzuhören. Hieraus ergeben sich in der Praxis oft Schwierigkeiten. Das Gericht muss bei der Terminierung darauf Rücksicht nehmen, ob das Jugendamt für diesen Termin einen Vertreter entsenden kann und darauf, dass das Jugendamt sich angesichts der Kürze der Zeit auch in der Sache überhaupt äußern kann.

Anordnung des persönlichen Erscheinens

Das Gericht soll das persönliche Erscheinen aller am Verfahren Beteiligten zum Anhörungstermin anordnen. Zweck ist, den Sachverhalt möglichst schnell aufzuklären. Insbesondere soll das Gericht in die Lage versetzt werden, auf ein Einvernehmen der Elternteile hinzuwirken und den Streitfall idealerweise schnellstmöglich regeln. Dieses Ziel lässt sich nur erreichen, wenn alle Beteiligten persönlich im Termin anwesend sind. Das Gericht kann im Ausnahmefall von der Anordnung des persönlichen Erscheinens absehen, wenn beispielsweise in Fällen häuslicher Gewalt eine getrennte Anhörung der beteiligten Elternteile geboten erscheint.

Ein 14 Jahre altes Kind ist persönlich zu laden (§ 159 FamFG). Ob ein jünger als 14 Jahre altes Kind persönlich zu laden ist, muss das Gericht im Einzelfall nach eigenem Ermessen entscheiden.

Erscheint ein Beteiligter nicht, kann das Gericht Ordnungsmittel ergreifen. So kann das Gericht ein Ordnungsgeld verhängen und notfalls Ordnungshaft androhen. Allerdings ist dabei zu bedenken, dass ein Ordnungsmittel nicht unbedingt zur Konfliktlösung beiträgt und den nicht erschienenen Elternteil in seiner Abwehrhaltung noch bestärken kann. Deshalb wird das Gericht eher versuchen, die Gründe zu erforschen, warum ein Elternteil nicht erschienen ist und den Elternteil notfalls getrennt oder auch telefonisch anhören. Bestenfalls gelingt es dem Gericht, den Elternteil von der Notwendigkeit einer gemeinsamen konstruktiven Lösung des bestehenden Problems zu überzeugen.

Gericht soll auf ein Einvernehmen der Elternteile hinwirken

Im Anhörungstermin und jedem darauf folgenden Termin soll das Gericht auf ein Einvernehmen der Elternteile hinwirken. Das Gericht kann im Termin auf die Möglichkeiten der Beratung durch die Beratungsstellen und Beratungsdienste der Träger der Kinder- und Jugendhilfe hinweisen. Erweist sich ein Elternteil als uneinsichtig, kann das Gericht anordnen, dass der Elternteil an einer solchen Beratung teilnehmen muss. Verweigert sich der Elternteil jeglicher Mitwirkung, wird das Gericht nach Aktenlage und dem Wohl des Kindes entscheiden. Auch kann das Gericht anordnen, dass die Elternteile einzeln oder gemeinsam an einem Informationsgespräch über Mediation teilnehmen.

Bestellung eines Verfahrensbeistandes für das Kind

Um das Kind nicht dem elterlichen Konflikt auszusetzen, kann das Gericht dem minderjährigen Kind einen geeigneten Verfahrensbeistand bestellen. Der Verfahrensbeistand stellt fest, was dem Kindeswohl am besten dient und wird das Kind vor Gericht vertreten. Das Gericht kann dem Verfahrensbeistand die Aufgabe übertragen, mit den Eltern zu sprechen und auf eine einvernehmliche Regelung einzuwirken.

Fortführung des Verfahrens nach Ablauf von drei Monaten

Hat das Familiengericht das Verfahren ausgesetzt, führt es das Verfahren in der Regel nach drei Monaten fort, wenn die Beteiligten keine einvernehmliche Regelung erzielt haben. Gerade in Umgangsrechtsverfahren kann es für eine dauerhafte Konfliktlösung besser sein, mit einer Entscheidung zuzuwarten und den Beteiligten unter dem Damoklesschwert einer richterlichen Entscheidung zumindest die Chance einzuräumen, auf eine einvernehmliche Regelung hinzuarbeiten. Ungeachtet dessen kann das Familiengericht stets versuchen, durch geeignete Maßnahmen, zu denen auch weitere Anhörungstermine gehören, eine Verständigung der Beteiligten zu fördern.

Erlass einer einzelnen Anordnung

Gelingt es den Eltern nicht, sich zu verständigen, kann das Gericht mit den Eltern und dem Jugendamt den Erlass einer einstweiligen Anordnung erörtern. Dann kann es eine vorläufige Regelung zum Umgangsrecht treffen. Diese Regelung ist vollstreckbar.

Protokollierung eines gerichtlich gebilligten Vergleichs

Erzielen Sie ein Einvernehmen über den Umgang, wird das Gericht die einvernehmliche Regelung als Vergleich feststellen und die vereinbarte Umgangsregelung billigen. Ein solcher gerichtlich gebilligter Vergleich stellt dann einen vollstreckbaren Titel dar.

Welche Rolle spielt das Cochemer Modell?

Das sogenannte Cochemer Modell wurde in den neunziger Jahren am Familiengericht Cochem von dem Familienrichter Jürgen Rudolph initiiert. Es zeichnet sich dadurch aus, dass es eine interdisziplinäre Zusammenarbeit und Einbindung aller Verfahrensbeteiligten zum Ziel hatte. Es galt das Postulat, diese Kooperation vorrangig auf die Interessen des Kindes auszurichten. Das Verfahren in Kindschaftssachen sollte möglichst beschleunigt werden.

Die mit dem Cochemer Modell verbundene Zielsetzung hat letztlich Eingang in die Neugestaltung des Verfahrens in Kindschaftssachen im Gesetz gefunden (§§ 155 ff FamFG). Vieles von dem, was heute im Gesetz festgeschrieben ist, hatte Richter Rudolph bereits vorher praktiziert.

Insoweit war das Cochemer Modell Vorreiter. Das gerichtliche Verfahren sollte nämlich nicht unbedingt damit enden, dass der Richter eine Entscheidung trifft und damit den Eltern ihre Verantwortung für das Kind abnimmt. Wäre dem so, würde letztlich das Kind Leidtragender sein. Auf den Punkt gebracht propagiert das Cochemer Modell das Ziel, ein Verfahren so kurz als möglich und so lang wie nötig zu gestalten sowie das Ziel, im Wege einer einvernehmlichen Regelung den elterlichen Konflikt im Interesse des Kindes einer Lösung zuzuführen.

Da alle Beteiligten an den Verhandlungen vor Gericht teilnehmen, erübrigen sich seitenlange Schriftsätze, vor allem solche, in denen die Elternteile oft wenig nachvollziehbare und meist emotional begründete Aspekte vortragen. Das Gericht soll die Möglichkeit haben, direkt im Anhörungstermin Konflikte zu erkennen und möglichst zu befrieden. Erkennt das Gericht, dass ein Elternteil sich grundlos verweigert, kann es auf das Risiko des Entzugs des Sorgerechts aufmerksam machen.

Ein dem Cochemer Modell vergleichbares Modell war das Münchner Modell. Auch das Münchner Modell stellt ein Verfahren dar, bei dem alle Beteiligten konstruktiv und kooperativ miteinander zusammenarbeiten, mit dem Ziel, die Konfliktsituation der Eltern im Hinblick auf das gemeinsame Kind einer Lösung zuzuführen. In der Feinabstimmung haben die Richter am Amtsgericht München einen Kriterienkatalog für Beratungsstellen, Sachverständige, Mediatoren, Umgangspfleger und Umgangsbegleiter erarbeitet. Dieser Kriterienkatalog dient Familiengerichten, Jugendämtern und Rechtsanwälten als Orientierungshilfe, wann und wie die Beteiligten in das Verfahren eingebunden werden und welche Aufgaben sie darin wahrnehmen sollen.

Alles in allem

Auch wenn die Familiengerichte gerade in Kindschaftssachen weitgehende Gestaltungsmöglichkeiten haben, ist immer zu empfehlen, alles zu tun, um eine einvernehmliche Regelung im gegenseitigen Einverständnis zu ermöglichen und alles zu unterlassen, was eine solche Regelung gefährdet. Nicht umsonst erkennt der Richter Jürgen Rudolf Umgangsverweigerung oder Beeinflussung des Kindes gegen den Partner als eine Form der Kindesmisshandlung an.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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