Welche Strafen drohen beim Ankleben auf der Autobahn? Strafbefehl, Anklage – Tipps vom Anwalt

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Unter anderem in Berlin kam es in den letzten Tagen vermehrt zu Protestaktionen auf Autobahnen von Klimaaktivisten. Einige Protestierende ketteten oder klebten sich an die Fahrbahn, sodass der Verkehr lahmgelegt wurde. Den Medien zufolge kamen wohl teilweise nicht einmal Krankenwagen und Feuerwehr durch die Straßen.

Es kam aber nicht nur zu Blockaden und Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Aktivisten, sondern auch zwischen Aktivisten und den betroffenen Autofahrern. Und dabei blieb es den Medienberichten zufolge nicht immer nur bei der Aufforderung, den Weg frei zu machen sondern kam es auch zu gewalttätigen Situationen.

Welche Strafe erwartet nun die Protestierenden? Und haben sich auch die Autofahrer, die einfach nur weiter fahren wollten, strafbar gemacht?

Ob sich eine Person tatsächlich strafbar gemacht hat, hängt natürlich von den genauen Umständen des Einzelfalls ab, die auch nicht den Medienberichten entnommen werden können. Diese Entscheidung trifft am Ende der Hauptverhandlung nämlich einzig der entscheidende Richter. Wir wollen uns trotzdem einmal darüber Gedanken machen, welche Straftaten vielleicht verwirklicht wurden und welche Konsequenzen daraus folgen.

Welche Straftaten kommen seitens der Aktivisten in Betracht?

Lassen Sie uns zunächst ein paar der möglicherweise von den Aktivisten verwirklichten Straftatbestände betrachten. Anspruch auf Vollständigkeit hat diese Liste aber nicht.

Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

In vielen Fällen von Protestaktionen und auch hier, steht eine Strafbarkeit wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (hierfür droht in der Regel eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren) sowie wegen tätlicher Angriffe auf Vollstreckungsbeamte im Raum. In letzterem Fall ist eine Geldstrafe nicht mehr vorgesehen. Der Strafrahmen beläuft sich hier auf eine Freiheitsstrafe zwischen 3 Monaten und 5 Jahren. Bestraft wird hier, durch Gewalt oder Drohungen die Vollstreckung rechtmäßiger Diensthandlungen zu behindern.

Behinderung von hilfeleistenden Personen

Zum Teil wurde berichtet, dass auch sowohl Feuerwehr als auch medizinisches Personal von den blockierten Straßen betroffen waren.

Hilfeleistende Personen, wie beispielsweise die Feuerwehr, bei einem Einsatz zu behindern, indem Gewalt angewandt oder damit gedroht wird, ist strafbar (§ 115 Abs.3 StGB).

Daran gehindert werden zum Einsatzort zu gelangen, behindert die Hilfeleistung ebenso wie ein direktes Vorgehen vor Ort, sodass auch das Verhindern, dass hilfeleistende Personen überhaupt erst zu dem Unfallort gelangen können, ein strafwürdiges Verhalten in diesem Sinne darstellen kann.

Im Fall der Straßenblockaden müsste dann aber zunächst festgestellt werden, dass tatsächlich ein Einsatz behindert wurde.

Protestieren als Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr?

Mit einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren ist es bedroht, die Sicherheit des Straßenverkehrs durch Bereiten eines Hindernisses zu gefährden. Voraussetzung für eine Strafbarkeit ist aber, dass konkret das Leben oder die Gesundheit eines Menschen oder Sachen von bedeutendem Wert einer anderen Person gefährdet werden (§ 315b StGB). Dass es zu einem Schaden kommt, hängt dann nur noch vom Zufall ab.

Denkbar wäre im Fall Protestierender auf der Autobahn zum Beispiel, dass durch das erzwungene Bremsen eines Autos Unfälle mit anderen Verkehrsteilnehmern provoziert werden. Auch das Verhindern, dass ein Krankenwagen zu einer Unfallstelle gelangt, kann eine Gefahr für denjenigen, zu dem der Krankenwagen gelangen will, darstellen.

Voraussetzung ist natürlich, dass im konkreten Fall nachgewiesen werden kann, dass eine solche brenzlige Situation durch die Sitzblockade entstanden ist.

Aber selbst wenn nicht, so ist auch der Versuch des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr strafbar. Hierfür reicht es, wenn der Protestierende vorsätzlich eine derartige Gefahrensituation herbeiführen wollte und unmittelbar dazu ansetzte.

Die Strafbarkeit geht sogar noch weiter. Strafbar kann es nämlich auch sein, wenn der Protestierende die Gefahr gar nicht herbeiführen wollte, sie aber dennoch eintritt und dies sowohl vorhersehbar, als auch vermeidbar war. Dann handelt der Protestierende fahrlässig. Und auch das kann strafbar sein. Für die fahrlässige Verursachung einer Gefahr sind aber geringere Strafen vorgesehen.

Strafbarkeit der Protestierenden wegen Nötigung der Autofahrer

Die Strafbarkeit, die im Zentrum solcher Blockadefälle steht, ist aber die Nötigung.  Hiernach wird im Grunde bestraft, dass jemanden eine andere Person zu etwas zwingt.

Durch das Sitzen, das Angekettet oder Festgeklebt Sein auf der Fahrbahn bringen die Protestierenden die Autofahrer dazu, stehen zu bleiben.

Aber theoretisch können die Autofahrer ja weiterfahren. Sie entscheiden sich ja bewusst dagegen, um die Angeketteten nicht zu verletzen. Freiwillig. Und Gewalt ist das bloße Sitzen auf der Autobahn keinesfalls.

Oder? Kann nicht auch das Sitzen auf der Fahrbahn Gewalt sein?

Ganz so einfach ist das nämlich nicht.

Auch das Sitzen auf der Autobahnfahrbahn kann Gewalt sein. Gewalt ist nämlich körperlicher Zwang, der auch körperlich bei der anderen Person wirkt. Rein psychische Einwirkungen sind keine Gewalt. Das emotionale Hemmnis, eine andere Person nicht überfahren zu wollen, reicht also erst einmal nicht.

Dass eine Person auf der Autobahnfahrbahn sitzt, ist ein körperlicher Zustand.

Dass der Fahrer des Autos unmittelbar vor dem Protestierenden nicht weiter fährt liegt aber daran, dass der Fahrer nicht den Aktivisten überfahren will. Keine körperliche Wirkung.

Es gibt aber noch die anderen Fahrer, in der Reihe an Autos, die sich mehr und mehr stauen. Die können nicht weiter fahren, weil jeweils ein Auto vor ihnen steht. Hier haben wir eine körperliche Wirkung.

Und das nutzt der Protestierende. Er nutzt im Grunde den ersten Autofahrer, um den anderen Autofahrern ein körperliches Hindernis zu bereiten und so dazu zu zwingen, stehen zu bleiben.

Damit setzt der Protestierende Gewalt zur Nötigung zu einem Dulden (das Stehenbleiben) ein. Vgl. BGH, Urteil v. 20.07.1995 – 1 StR 126/95 (LG Augsburg) in NJW 1995, 2643; bestätigt durch BVerfG, Beschluss v. 07.03.2011 – 1 BvR 388/05.

Und das kann eine strafbare Nötigung sein.

Darf man all das, um so die Klimakrise aufzuhalten?

Nicht allzu fern liegt nun der Gedanke, dass sich die Aktivisten schließlich für ein wichtiges Ziel einsetzen. Das Ankämpfen gegen den Klimawandel.

Juristisch muss hier allerdings bemerkt werden, dass das in diesem Fall wohl nicht dafür genügt, die Tat zu rechtfertigen oder zu entschuldigen. Es liegt weder ein Angriff, noch eine gegenwärtige konkrete Gefahr vor, die zu einer Rechtfertigung oder Entschuldigung führen könnte.

Die Strafbarkeit bleibt also bestehen.

Strafbefehl erhalten? Wie soll ich mich jetzt verhalten?


Wenn Sie einen Strafbefehl erhalten haben, sollten Sie zunächst Ruhe bewahren und sich gern an unsere Kanzlei wenden. Die Ruhe darf jedoch die wichtige Einspruchsfrist von 2 Wochen nicht übersteigen. Die Frist beginnt auch nicht mit Ihrer Kenntnis vom Strafbefehl, sondern mit dem vermerkten Einwurfdatum auf dem gelben Umschlag. Heben Sie daher dringend den Umschlag auf und übersenden uns diesen ebenfalls. 

Nach einem erhobenen Einspruch erhält der Strafverteidiger Akteneinsicht und kann prüfen, wie und ob ein Vorgehen gegen diesen Strafbefehl Sinn macht.


Haben sich die Autofahrer strafbar gemacht oder durften sie sich zur Wehr setzen?

Beleidigung, Körperverletzung, Nötigung. Unter anderem diese Delikte stehen hinsichtlich des Verhaltens mancher Autofahrer im Raum.

Aber ist das nicht unfair? Haben Sie sich nicht einfach gegen den Angriff durch die Aktivisten gewehrt?

Vielleicht.

Zunächst ist aber festzustellen, welche Straftaten möglicherweise begangen wurden.

Beleidigung

Teilweise überschritten wohl die Gespräche zwischen Autofahrern und Aktivisten so manche Grenze und es fielen Beleidigungen.

Für Beleidigungen – falls im Einzelfall das Vorliegen einer solchen bejaht werden kann – drohen Geldstrafen oder Freiheitsstrafen bis zu 2 Jahren.

Körperverletzung

Medienberichten zufolge schlug ein Autofahrer eine Aktivistin. Abhängig davon, ob die Betroffene davon Schmerzen und insbesondere auch andere körperliche Folgen – wie beispielsweise ein Hämatom – erlitten hat, kann ein solcher Schlag eine einfache Körperverletzung darstellen.

Hierfür droht normalerweise eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren.

Berichtet wurde auch darüber, dass die Protestierenden zum Teil von Autofahrern weggezogen und dann auf den Boden fallen gelassen wurden. Auch das kann eine Körperverletzung sein.

Das Wegziehen von Protestierenden als Nötigung?

Der Vorwurf der Körperverletzung bezieht sich dabei aber nicht auf das Wegtragen als solches, sondern auf das Fallen lassen der Person.

Das Wegtragen kann jedoch eine Strafbarkeit wegen Nötigung begründen.

Ist es aber überhaupt Gewalt, jemanden wegzutragen? Ja. Denn auch hier wird körperliche Kraft eingesetzt und körperlich auf jemanden eingewirkt. Nötigungserfolg ist das Dulden, weggetragen zu werden.

Waren diese Straftaten aber gerechtfertigt?

Die Frage nach der Strafbarkeit der Autofahrer wird vor allem im Hinblick auf eine mögliche Rechtfertigung interessant.

Die Protestierenden haben schließlich angefangen. Nicht die Autofahrer.

In Betracht kommt eine Rechtfertigung in Gestalt der Notwehr. Der Gesetzgeber sagt in § 32 StGB, dass man sich gegen einen gegenwärtigen und rechtswidrigen Angriff wehren darf. Damit soll zum Einen gebilligt werden, dass man seine eigenen Rechtsgüter schützt (z.B. sein eigenes Leben, seine Ehre, seine Freiheit), aber auch dass jemand sich dafür einsetzt, dass die Rechtsordnung wiederhergestellt wird, indem ein rechtswidriger Angriff unterbunden wird.

Die Nötigung durch die Protestierenden ist ein noch andauernder Angriff auf die Willensfreiheit der Autofahrer. Die Freiheit, den Willen umzusetzen, weiterzufahren.

Rechtswidrig war dieser Angriff auch. Wir haben schließlich gerade festgestellt, dass sich die Protestierenden wohl sogar strafbar gemacht haben.

Diese Notwehrlage erlaubt es dem Handelnden – dem Autofahrer – nun eine Verteidigungshandlung vorzunehmen, die den Angriff sicher abwehren kann.

Stehen aber gleich effektive und mildere Mittel zur Verfügung, so müssen diese genutzt werden.

Ein milderes Mittel wäre das Einreden auf die Protestierenden, was aber wohl entweder gar nicht funktioniert oder jedenfalls nicht sicher die verübte Nötigung abstellen kann.

Milderes Mittel könnte auch das Warten auf Hilfe seitens der Polizeibeamten sein. Ob dies gleich effektiv ist (insbesondere im Hinblick auf die damit möglicherweise verbundene zeitliche Verzögerung), ist aber fraglich.

Es ist zu beachten, dass der Handelnde sich nicht auf unsichere Mittel zur Abwehr des Eingriffs einlassen muss.

Hier ist also auch zwischen den verschiedenen Handlungen der Autofahrer zu unterscheiden. Also vor allem: Wurde der Protestierende „nur“ weggetragen? Wurde er weggetragen und fallen gelassen und somit verletzt? Dürfte ein Autofahrer vielleicht sogar über die Person fahren und so für die eigenen Rechte einstehen?

Dass letzteres zwar ein geeignetes aber in keinem Fall das mildeste Mittel ist, steht wohl zweifellos fest. Ein ebenso geeignetes, milderes Mittel, wäre jedenfalls das Wegtragen.

Eine Notwehr scheitert dann spätestens daran, dass eine Straßenblockade und Überfahren als Reaktion hierauf in einem krassen Missverhältnis zueinander stehen. Ist dies der Fall, so ist auch eine Grenze dessen, was über die Notwehr gerechtfertigt werden kann, überschritten.

Ein Überfahren der Protestierenden wäre also nicht mehr durch Notwehr gerechtfertigt.

Anders ist es, was das Wegtragen anbelangt.

Ein milderes, gleich wirksames Mittel, um weiter fahren zu können, ist hier nicht ersichtlich. Eine Einschränkung dahingehend, dass der Autofahrer sich dadurch rechtsmissbräuchlich verhält, besteht auch nicht. Insbesondere ist dies kein krasses Missverhältnis mehr.

Gleiches gilt wohl auch für den Fall des Wegtragens und des Fallen Lassens der Person. Zwar wäre das mildere Mittel das Wegtragen ohne das Fallenlassen, andererseits muss auch berücksichtigt werden, dass den Handelnden bei der Notwehr auch keine allzu ausgeprägte Pflicht zur Rücksichtnahme trifft. Er muss sich nämlich auf keine unsicheren Verteidigungsmöglichkeiten einlassen. Ein krasses Missverhältnis besteht hier auch noch nicht.

Der Autofahrer handelt auch mit dem Willen, sich zu verteidigen, sodass das Wegtragen im Rahmen der Notwehr gerechtfertigt ist.

Wie die Protestaktionen und die daraus folgenden Strafverfahren schlussendlich tatsächlich ausgehen werden, bleibt aber natürlich abzuwarten.

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