Wenn Großeltern den Enkeln statt oder neben den Eltern Unterhalt schulden - die sog. Ersatzhaftung

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Familienrechtlich sind gemäß § 1601 BGB Verwandte in gerader Linie untereinander unterhaltspflichtig. Ebenso besteht eine Unterhaltspflicht gegebenenfalls zwischen Ehegatten oder geschiedenen Ehegatten aus anderen Vorschriften.

Aus § 1609 BGB ergibt sich hinsichtlich der Unterhaltsberechtigung eine Rangfolge. Hier heißt es: 

§ 1609 BGB Rangfolge mehrerer Unterhaltsberechtigter

Sind mehrere Unterhaltsberechtigte vorhanden und ist der Unterhaltspflichtige außerstande, allen Unterhalt zu gewähren, gilt folgende Rangfolge:

1. minderjährige Kinder und Kinder im Sinne des § 1603 Abs. 2 Satz 2,

2. Elternteile, die wegen der Betreuung eines Kindes unterhaltsberechtigt sind oder im Fall einer Scheidung wären, sowie Ehegatten und geschiedene Ehegatten bei einer Ehe von langer Dauer; bei der Feststellung einer Ehe von langer Dauer sind auch Nachteile im Sinne des § 1578b Abs. 1 Satz 2 und 3 zu berücksichtigen,

3. Ehegatten und geschiedene Ehegatten, die nicht unter Nummer 2 fallen,

4.  Kinder, die nicht unter Nummer 1 fallen,

5. Enkelkinder und weitere Abkömmlinge,

6. Eltern,

7. weitere Verwandte der aufsteigenden Linie; unter ihnen gehen die Näheren den Entfernteren vor. 

Zudem stellt § 1606 BGB klar, dass näherstehende Verwandte (zum Beispiel die Eltern) gegenüber entfernteren Verwandte (zum Beispiel die Großeltern  des Kindes) vorrangig unterhaltspflichtig sind:

§ 1606 BGB Rangverhältnisse mehrerer Pflichtiger

(1) Die Abkömmlinge sind vor den Verwandten der aufsteigenden Linie unterhaltspflichtig.

(2) Unter den Abkömmlingen und unter den Verwandten der aufsteigenden Linie haften die näheren vor den entfernteren.(3) Mehrere gleich nahe Verwandte haften anteilig nach ihren Erwerbs- und Vermögensverhältnissen. Der Elternteil, der ein minderjähriges Kind betreut, erfüllt seine Verpflichtung, zum Unterhalt des Kindes beizutragen, in der Regel durch die Pflege und die Erziehung des Kindes.

Was vielen allerdings nicht bewusst ist ist, dass Großeltern möglicherweise auch neben den Eltern eines Kindes für dessen Unterhalt haften.

Der Bundesgerichtshof hat nunmehr durch Beschluss vom 27. Oktober 2021 klargestellt, dass es durchaus Konstellationen geben kann, in denen ein unterhaltspflichtiger Elternteil nur in bestimmter Höhe oder gar nicht unterhaltspflichtig ist, wenn daneben noch leistungsfähige Großeltern vorhanden sind.

Zugrunde lag dabei ein Fall eines unterhaltspflichtigen Kindesvaters, der mit einem Nettoeinkommen in Höhe von 1400 EUR für zwei Kinder aus verschiedenen Beziehungen Unterhalt zahlen sollte. Die Mutter des einen betroffenen Kindes - welches in diesem Fall ausschließlich eine Rolle spielte - selbst erzielte lediglich ein  Einkommen in Höhe von 1000 EUR netto. Der Kindesvater zahlte als Unterhaltsbetrag lediglich 100 EUR für dieses Kind, den Rest musste die Unterhaltsvorschusskasse aufstocken. Die Eltern des Kindesvaters, also die Großeltern des Kindes, hatten wiederum Nettoeinkünfte in Höhe von zusammen 5700 EUR monatlich zu verzeichnen. 

Die Unterhaltsvorschusskasse wollte nun den Kindesvater über die 100 EUR hinaus in Anspruch nehmen und verlangte von ihm, dass er mehr Unterhalt zahlt. 

Der Kindesvater ließ im Verfahren vortragen, dass ihm der sogenannte angemessene Selbstbehalt, damals 1300 EUR (derzeit 1400 EUR) monatlich zu verbleiben habe. Die Unterhaltsvorschusskasse bestand jedoch  darauf, dass der Kindesvater Unterhalt zahlen müsste, soweit sein notwendiger Selbstbehalt nicht unterschritten wird. Dieser liegt aktuell bei 1160 EUR, lag aber zum Zeitpunkt der Verhandlung bei nur 1.080 EUR. 

Nach der Logik der Unterhaltsvorschusskasse hätte der Kindesvater also bei einem Einkommen in Höhe von 1400 EUR einen Betrag in Höhe von monatlich 320 EUR zahlen können. Nach Ansicht des Kindesvaters hätte er gar nicht mehr als die 100 EUR zahlen müssen und ihn träfe auch keine sogenannte gesteigerte Erwerbsobliegenheit, also die Verpflichtung z.B. bis zu 47 Stunden pro Woche zu arbeiten, um den Unterhalt aufbringen zu können. 

Der Bundesgerichtshof gab dem Kindesvater recht und lehnte die Beschwerde der Unterhaltsvorschusskasse ab. Das Gericht beschloss, dass der Kindesvater nicht über die ohnehin von ihm erbrachte Unterhaltsleistung in Höhe von 100 EUR hinaus leistungsfähig sei. Er stellte zwar klar, dass die Unterhaltspflicht von Eltern gegenüber ihren Kindern der etwaigen Unterhaltspflicht von Großeltern vorgeht, aber nur so weit, wie der sogenannte angemessene Selbstbehalt des unterhaltspflichtigen Elternteils nicht gefährdet sei. Die Höhe des sogenannten Selbstbehaltes kann man übrigens in den Anmerkungen zur Düsseldorfer Tabelle bzw. den Unterhaltsleitlinien des für die Gerichtsbezirke zuständigen OLGs bzw. des Kammergerichts in der jeweils aktuellen Fassung ermitteln.  

Laut Bundesgerichtshof lässt das Vorhandensein leistungsfähiger Großeltern die sogenannte gesteigerte Unterhaltspflicht der Eltern für ein minderjähriges Kind entfallen. Dies entspräche dem Willen des Gesetzgebers im Sinne einer generationenübergreifenden Solidarität. Die Großeltern haften dabei nur gegenüber den Enkeln, nicht gegenüber ihren eigenen Kindern, § 1607 Abs. 1 BGB. 

Zu berücksichtigen bleibt allerdings, dass Großeltern jeweils gegenüber den Enkeln ein sehr hoher Selbstbehalt zusteht, nämlich ein Basisselbstbehalt in Höhe von 2000 EUR zuzüglich der Hälfte des über 2000 EUR liegenden Einkommens. Tatsächlich dürfte also eine Haftung von Großeltern eher die Ausnahme als der Regelfall sein. Hinzu kommt, dass die Unterhaltsvorschusskasse bei Großeltern auch nicht Regress nehmen kann, §  7 Abs. 1 Satz 1 UVG. D. h., dass wenn die Unterhaltsvorschusskasse in Vorschussleistung gegangen ist, sie zwar versuchen kann, diesen Einsatz bei dem unterhaltspflichtigen Elternteil wiederzubekommen. Sollte dieser aber wegen Leistungsunfähigkeit wie vorliegend ausscheiden, kommt eine Haftung der Großeltern gegenüber der Unterhaltsvorschusskasse nicht in Betracht. Das Kind muss, um gegebenenfalls  höheren Unterhalt über die Großeltern zu erlangen, diese wohl direkt in Anspruch nehmen. Haftbar sind dann ggf. alle leistungsfähigen Großeltern des Kindes, nicht nur die Eltern des unterhaltspflichtigen Elternteils. 

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.10.2021 - XII ZB 123/21

Vorinstanzen: Amtsgericht Leipzig, Beschluss vom 27.05.2020 - 340 F 3031/19 und OLG Dresden, Beschluss vom 08.02.2021- 23 UF  474/20

Nicole Rinau

Rechtsanwältin

Fachanwältin für Familienrecht

Fachanwältin für Sozialrecht



Foto(s): @buemlein

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