Wintersportunfall! Damit der „Alp-Traum“ nicht zum Albtraum wird…

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Die Tourismusbranche in Österreich verzeichnete vor COVID-19 rund 70 Millionen Nächtigungen pro Wintersaison, Tendenz steigend. Ein Gros dieser Nächtigungen fällt auf Touristen, die die österreichischen Alpenregionen zum Schi- und Snowboardfahren bereisen. Die Ausübung des Wintersports auf dafür vorgesehenen Pisten ist aber nicht nur erholsam und schön, sondern birgt naturgemäß auch das Risiko von Unfällen in sich. Der gegenständliche Beitrag soll auf wesentliche Aspekte hinweisen, die nach einem Kollisionsunfall mit Personenschaden berücksichtigt werden sollen, um für eine möglichst reibungslose Abwicklung des Schadenfalles aus rein zivilrechtlicher Sicht vorzusorgen.

Frage: „Angenommen, ich bin mit einem anderen Pistenbenützer kollidiert. Ich verspüre Schmerzen, außerdem sind Teile meiner Ausrüstung (z.B. Schi, Stöcke, Helm, Brille o.ä.) beschädigt. Was mache ich als erstes?“

Antwort: „Sollte es Ihnen in Anbetracht der erlittenen Verletzungen noch möglich sein, selbst zu handeln, so empfiehlt sich, in einem ersten Schritt Hilfe zu rufen. Während 112 die europäische Notrufnummer ist, die grundsätzlich für alle Notfälle in Europa Gültigkeit hat, ist 140 die Notrufnummer für alpine Unfälle in Österreich und somit die Rufnummer der österreichischen Bergrettung (mit Ausnahme von Vorarlberg, hier wählt man 144). Weiters wäre anzudenken, zur möglichst lückenlosen Dokumentation des Ist-Zustandes nach einem Unfall unter der Nummer 133 die Polizei zu verständigen. Die österreichische Polizei hat speziell ausgebildete Alpinpolizisten in ihren Reihen, deren Aufgabe es ist, Unfälle im alpinen Gelände zu erheben und an die jeweiligen Behörden und Gerichte zu berichten. In Österreich sind sämtliche Pisten nummeriert und können dem Pistenplan des betreffenden Schigebiets entnommen werden. Durch Angabe der Pistennummer können Sie von den Einsatzkräften schnell(er) gefunden werden.“

Frage: „Was kann ich bis zum Eintreffen der Pistenrettung und der Polizei sonst noch tun?“

Antwort: „Mit dem Unfallgegner sollten die wichtigsten Daten zur Person ausgetauscht werden, die in weiterer Folge eine Kontaktaufnahme mit ihm ermöglichen. Dazu zählen jedenfalls Vor- und Nachname, Wohnadresse, Telefonnummer und – falls vorhanden – idealerweise auch die Daten der privaten Haftpflichtversicherung (Versicherungsgesellschaft und Polizzennummer/Vertragsnummer). Außerdem sollten die personenbezogenen Daten möglicher Unfallzeugen notiert werden. Leider kommt es auch immer wieder vor, dass Menschen nach einem Unfall Fahrerflucht begehen und den Unfallort in Erwartung unliebsamer Konsequenzen überstürzt verlassen. Hier kann es durchaus hilfreich sein, mit dem Mobiltelefon ein Foto vom Unfallgegner aufzunehmen, um damit der Polizei in weiterer Folge dessen Ausforschung zu erleichtern oder überhaupt erst zu ermöglichen. Die Polizei kann bspw. die Aufnahmen von Überwachungskameras im Bereich der Liftanlagen auswerten und über Ticketdaten Rückschlüsse auf die jeweilige Person ziehen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt ein Drehkreuz am Lift passiert hat. Darüber hinaus kann es auch hilfreich sein, umstehende Personen zu bitten, bis zum Eintreffen der Hilfskräfte an Ort und Stelle zu bleiben. Diese Zeugen können dabei helfen, äußere Merkmale einer flüchtigen Person zu beschreiben.“

Frage: „Während ich im Krankenhaus liege, kontaktiert mich die Polizei und möchte mich zum Unfallhergang einvernehmen. Ich habe normalerweise nichts mit der Polizei zu tun und fühle mich unsicher. Was soll ich tun?“

Antwort: „Ob Sie sich unsicher fühlen oder nicht, es empfiehlt sich jedenfalls, bereits im ehest möglichen Stadium einen Rechtsanwalt beizuziehen. Generell sollten am Telefon keine Angaben gegenüber der Polizei zum Unfall gemacht werden. Bei Pistenunfällen steckt der Teufel wie so oft im Detail und ein falsches Wort bzw. eine sprachliche Ungenauigkeit kann nicht nur zu Missverständnissen, sondern auch dazu führen, dass ein Fall eine komplett andere (ungewollte) Wendung nimmt. Der von Ihnen beauftragte Rechtsanwalt kann vor Ihrer Vernehmung mit den zuständigen Polizeibeamten Kontakt aufnehmen und den Termin der Einvernahme koordinieren. Außerdem kann er vorab in den Ermittlungsakt Einsicht nehmen und Kopien der Aktenstücke anfertigen. Es kann taktisch klug sein, sofern man bei Verletzung des Unfallgegners auch als Beschuldigter geführt wird, vorerst überhaupt auf eine Aussage zu verzichten oder eine schriftliche Stellungnahme über den Rechtsanwalt abzugeben, auf die im Rahmen der mündlichen Einvernahme nur noch verwiesen wird. Die im jeweiligen Fall probateste Vorgehensweise kann jedoch nicht verallgemeinert werden und ist auf die Umstände des Einzelfalles hin abzustimmen. Jedenfalls sollten Sie sich merken, so früh wie möglich einen Rechtsanwalt zu kontaktieren und vorher nicht mit der Polizei zu reden.“

Frage: „Ich liege also im Krankenhaus oder zuhause und kann wegen der erlittenen Verletzungen nichts unternehmen. Macht es Sinn, wenn ich mir den Unfallhergang nochmals vor Augen führe? Ich habe Angst, bis zur Einvernahme durch die Polizei oder das Gericht Dinge wieder zu vergessen.“

Antwort: „Absolut. Noch besser wäre allerdings, den Unfallhergang nach eigener Erinnerung schriftlich festzuhalten. Wenn Sie verletzungsbedingt nicht schreiben können, fragen Sie einen Angehörigen oder nehmen Sie eine Sprachnotiz über das Mobiltelefon auf. Wichtig ist die frühe Dokumentation, zumal das menschliche Gehirn mit zunehmendem zeitlichen Abstand zu einem Ereignis mehr und mehr Details vergisst.“

Frage: „Wie kann eine solche Dokumentation des Unfallherganges aussehen? Was muss ich beachten?“

Antwort: „Zumindest folgende Fragen sollten Sie sich stellen und beantworten:

1. Sind Sie lange, mittlere oder kurze Schwünge gefahren?

2. Mit welcher Geschwindigkeit sind Sie Schi gefahren: eher vergleichbar mit einem Marathonläufer, Radfahrer oder Auto?

3. In welche Richtung sind Sie vor der Kollision gefahren: geradeaus, nach rechts, nach links?

4. Wo befanden Sie sich als Sie den Unfallgegner zum ersten Mal sahen: am Beginn der Kurve, in der Kurvenmitte oder am Ende des Schwunges?

5. Ungefähr wie viele Meter von der Kollisionsstelle entfernt haben Sie den Unfallgegner erstmals gesehen?“

6. Wie waren die Wetterbedingungen und Sichtverhältnisse zum Zeitpunkt des Unfalls?

7. Wie frequentiert war die Piste?

8. Wie war der Zustand der Piste: eisig/glatt, hart, weich, hügelig, gut präpariert?

9. Auf welcher Piste sind Sie gefahren: Pistennummer, Schwierigkeitsgrad (blaue Piste – leicht, rote Piste – mittel, schwarze Piste – schwer)

10. In welchem Bereich der Piste sind Sie gefahren: am rechten Rand, linken Rand oder eher mittig?

11. Auf welchem Niveau sind Sie Schi gefahren: Anfänger, Fortgeschrittener, Profi?

12. Hat sich der Unfall während des Schikurses ereignet? Wenn ja, welche Schischule war beteiligt? Hat die Schischule selbst einen Unfallbericht verfasst? Wer war der Schilehrer?

13. Hat sich die Bindung Ihrer Schi und/oder jener des Unfallgegners geöffnet?

14. Wo haben Sie nach dem Unfall angehalten/gelegen?

15. Wo war die andere Person nach der Kollision: oberhalb, unterhalb von Ihnen oder auf gleicher Höhe?

17. Sind Sie mit den FIS-Regeln vertraut?

18. An welcher Körperstelle fand der Anstoß statt? Falls es keinen Anstoß am Körper gab, haben sich die Pistengeräte berührt?

19. Wo haben Sie vor dem Unfall zuletzt angehalten? Haben Sie beim letzten Halt den Unfallgegner gesehen?

20. Wie wurde der Unfalltransport abgewickelt, mit der Pistenrettung (Akia), Lift oder per Hubschrauber? Personen, die sich um den Unfalltransport gekümmert haben, können oft wertvolle Informationen über die von ihnen vorgefundene Situation geben.

21. Wurde auch der Unfallgegner verletzt? Wenn ja, wo?

22. Gab es Personen, die den Zusammenstoß gesehen haben? Idealerweise wurden gleich an Ort und Stelle die persönlichen Daten (Name, Adresse, Telefonnummer) festgehalten.

23. Gab es Personen, die den Zusammenstoß selbst nicht gesehen haben, die sich aber in Ihrer Nähe befunden haben und bestätigen können, wo und wie Sie Schi gefahren sind?

Ich empfehle Ihnen auch eine einfache Skizze vom Unfallhergang anzufertigen.

Frage: „Ich werde nach dem Unfall geborgen, ärztlich untersucht und behandelt, benötige Therapien etc. Es entstehen dabei Kosten, die nicht von meiner Versicherung übernommen werden. Außerdem werde ich während des stationären Krankenhausaufenthaltes regelmäßig von nahen Angehörigen (Ehegatte/Kinder/Eltern) besucht, welche viele Kilometer mit dem eigenen Fahrzeug anreisen müssen. Der Heilungsprozess ist schmerzhaft und langwierig. Auch nach der Entlassung aus dem Krankenhaus bedarf ich der Hilfe im Haushalt und bei meinen täglichen Verrichtungen (Körperpflege etc.). Außerdem kann ich meiner Arbeit längere Zeit nicht mehr nachgehen und verdiene dadurch nichts oder weniger als vor dem Unfall. Was kann ich in dieser Phase tun?“

Antwort: „Wichtig ist eine möglichst detaillierte Dokumentation ab der ersten Untersuchung. Das heißt, Sie sollten sämtliche Behandlungsunterlagen (Arztbriefe, Befunde etc.) sowie die dazugehörigen Rechnungen und Zahlungsbestätigungen sammeln. Wenn Fahrten zu Ärzten und Therapeuten erforderlich sind, so sollte ein Fahrtenbuch geführt werden, aus dem sich ergibt, an welchem Datum welcher Arzt/Therapeut aufgesucht und welche Wegstrecke dabei (hin und retour) zurückgelegt wurde. Gleiches gilt für Krankenhausbesuche naher Angehöriger. Falls kein PKW sondern öffentliche Verkehrsmittel genutzt werden, so sollten die Fahrkarten gesammelt werden. Da – wie schon erwähnt – die Erinnerungen mit zunehmendem zeitlichen Abstand zum Geschehen immer mehr abnehmen, kann es auch sinnvoll sein, ein Schmerztagebuch zu führen. Im Schmerztagebuch wird notiert, wann und wo Schmerzen aufgetreten sind und wie stark sie nach dem eigenen subjektiven Empfinden auf einer Skala von 0 (schmerzfrei) bis 10 (sehr stark, auch mit Schmerzmedikation nur schwer zu ertragen) waren. Dabei sind nicht nur durch den Unfall ausgelöste körperliche sondern auch seelische Schmerzen (z.B. Depression, posttraumatische Belastungsstörung) relevant. In diesem oder einem separat geführten Tagebuch kann auch notiert werden, welche Hilfe am jeweiligen Datum im Haushalt oder bei der Pflege notwendig war bzw. welche Tätigkeiten nicht oder nur eingeschränkt selbständig ausgeführt werden konnten. Wenn Sie selbständig, also unternehmerisch tätig sind, werden die Bilanzen bzw. Einnahmen-Ausgabenrechnungen der letzten drei Jahre vor dem Unfall sowie jene der Zeit nach dem Unfall benötigt, um den Verdienstausfall berechnen zu können. Bei Unselbständigen ergibt sich der Verdienstentgang in der Regel aus dem Vergleich der Lohnzettel in den Perioden vor und nach dem Unfall oder aus der Einkommenssteuererklärung. Hier ist es durchaus hilfreich, neben dem Rechtsanwalt auch einen Steuerberater beizuziehen, der das erforderliche Zahlenmaterial aufbereitet. In Fällen, in denen möglicherweise dem Liftbetreiber, bspw. wegen mangelnder Sicherheitsvorkehrungen auf der Piste, ein Vorwurf zu machen ist, sollte jedenfalls der Zahlungsnachweis für den Schipass und/oder der Schipass selbst aufbewahrt werden.“

Frage: „Was mache ich mit den gesammelten Informationen und Unterlagen?“

Antwort: „Diese stellen Sie Ihrem Rechtsanwalt zur Verfügung. Er kann auf Basis dieser Informationen und Nachweise zunächst den Unfallgegner selbst oder dessen private Haftpflichtversicherung zum Schadenersatz bzw. dem Eintritt in den Schadenfall auffordern und – falls keine Einigung zustande kommt – eine entsprechende Klage beim örtlich und sachlich zuständigen Zivilgericht einbringen. Sie können, wenn sie bei einem Schiunfall verletzt wurden, vom Gegner unter Umständen ein angemessenes Schmerzengeld, den Ersatz von Heilungskosten im weitesten Sinne, für notwendige Haushalts- und Pflegehilfe, von Fahrtkosten, die aufgrund von Fahrten zu Ärzten/Therapeuten etc. entstanden sind, für entgangenen Verdienst sowie bei dauernder Minderung der Erwerbsfähigkeit auch eine Geldrente begehren. Wenn aktuell noch nicht abschätzbare, künftige Unfallfolgen nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden können, kann überdies die Feststellung der Haftung des Unfallgegners für derartige (vor allem) Spät- und Folgeschäden begehrt werden. Eine solche künftige Folge kann nicht nur medizinischer Natur sein, sondern auch in der späteren Besteuerung von Schadenersatzzahlungen liegen; letzteres hauptsächlich in den Niederlanden.“



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