Zur Organisierten Kriminalität – Ansätze zur Verteidigung und kleiner Ausblick in die USA

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Medien berichten immer häufiger über Fälle organisierter Kriminalität bei Berichterstattung aus Strafprozessen vor den allgemeinen großen Strafkammern oder Spezialkammern der Landgerichte oder Schwurgerichte oder wenn die Rede von Großfamilien, aufsehenerregenden Rockerprozessen oder Taten aus dem Rotlichtmilieu ist.

1. Was aber ist eigentliche organisierte Kriminalität?

Im Urteil hat die normative Zuschreibung eines Strafgerichts über einen Menschen, etwa „Der Angeklagte ist Mitglied der Organisierten Kriminalität in Berlin“ (oder andernorts) für diesen weitreichende Folgen. Auf Urteilsverkündung folgt Revision, auf die Revision folgt irgendwann später Rechtskraft. Rechtskraft bedeutet in aller Regel Vollstreckung der Freiheitsstrafe in einer Justizvollzugsanstalt oder in einer Strafvollzugsanstalt.

Die Strafvollstreckung wiederum beaufsichtigt und ist zuständig für alle Rechtsfragen und Gesuche des Verurteilten. Ein Haftpersonalband wird über den Verurteilten angelegt, auch Haftakte genannt, und besteht dieses auch aus dem die Strafe bildenden Urteil.

Der sog. OK-Vermerk im Strafurteil hat dann zur Folge, dass sich die Staatsanwaltschaft gegen jede Lockerung aus der Haft, sei es etwa frühzeitige Entlassung zum Halbstrafen-Zeitpunkt, frühere Entlassung zum Zwei-Drittelzeitpunkt (§ 57 StGB), offener Vollzug oder sonst Ausgänge aus der Haft zu bestimmten privaten Terminen (Beerdigungen, Einschulungen etc.) sperrt und der Verurteilte hier gegen ein Kammerverfahren nach §§ 109 ff. StVollzG anstreben muss. Man spricht daher auch vom Sperrvermerk.

Ferner werden Tatgenossen in Untersuchungshaft nach § 119 StPO und in der Strafhaft voneinander getrennt und in verschiedenen Häusern der entsprechenden JVA oder gleich in verschiedenen JVAen der BRD untergebracht. Rechtfertigen tut dies der Staat durch präventive Ansätze, z. B. Gefährdungslage für Mithäftlinge in der Haftanstalt. Insbesondere soll diese bestehen in der U-Haft bei aussagebereiten Beschuldigten oder Kronzeugen in der JVA.

Gute Verteidigung wird diese Szenarien bereits frühzeitig im Blick haben, den Strafprozess vorbereiten und hiergegen offen verteidigen. Es gilt dann vor Gericht darzulegen, dass der Satz in der Anklage „Die Tat entstammt dem Milieu Organisierte Kriminalität“ oder die „Tat trägt Wesenszüge Organisierter Kriminalität“ nicht zutrifft eine vorschnelle Zuordnung war, deren These im Rahmen der Beweisaufnahme widerlegt ist.

2. OK- Definition aus Anlage E zur RiStBV

Dazu bedarf es der Auseinandersetzung mit dem Begriff organisierter Kriminalität.

Weder Strafgesetzbuch noch Strafprozessordnung erläutern den Begriff, dieser ist in der Anlage E zu den Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren (RiStBV) geregelt.

Dabei zu beachten ist, dass Richtlinien immer nur empfehlenden Charakter haben, während ein Gesetz immer verbindlich ist. Die RiStBV ist also bloßes Verwaltungsinnenrecht.

Anlage E der RiStBV definiert den Begriff organisierter Kriminalität als die vom Gewinn- oder Machtstreben bestimmte planmäßige Begehung von Straftaten, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung sind, wenn mehr als zwei Beteiligte auf längere oder unbestimmte Dauer arbeitsteilig unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen unter Anwendung von Gewalt oder anderer zur Einschüchterung geeigneter Mittel oder unter Einflussnahme auf Politik, Medien, öffentliche Verwaltung, Justiz oder Wirtschaft zusammenwirken. Organisierte Kriminalität umfasst nicht Straftaten des Terrorismus.

3. Arbeitsvorgaben für die Strafverfolgungsbehörden

Es soll typische Felder geben, in welchen mit Strukturen Organisierter Kriminalität gerechnet werden muss, z.B. Rauschgift-. Waffen-, Schleusung,- Fälschungs- oder Erpressungsdelikte, aber auch Einbruchsserien, unerlaubte Arbeitsvermittlung, Subvention- oder Kapitalanlagenbetrug.

Die Staatsanwaltschaft ist gehalten, das Ermittlungsverfahren so zu führen, dass es gelingt, in den Kernbereich der Organisation vorzudringen und die im Hintergrund agierenden Straftäter zu überführen. Dazu sollen kleine Fälle im Wege der Opportunitätsvorschriften (Siehe mein BLOG Verfahrensprinzipien) eingestellt werden, um die Effektivität auf die Verfolgung der großen Fälle zu steigern und das frühzeitige Bekanntwerden der Ermittlungen zu unterbinden.

Diese Festlegung folgt aus einer bundesweit gemeinsamen Arbeitsgruppe von Justiz und Polizei (GAG) im Mai 1990.

Sollte diese Arbeitsthese vom Staatsanwalt nicht umgesetzt werden, Täterumfeld und Hintermänner nicht ermittelt worden sein – könnte man behaupten, der Fall wäre dann auch nicht der OK zuzuschreiben, andernfalls wären Strukturen der Organisation offengelegt worden oder hätte dies geschehen müssen. Ermittlungsansätze müssen von der Staatsanwaltschaft als Herrin des Ermittlungsverfahrens stets in den Akten dokumentiert werden und sind auf Verlangen des Verteidigers überprüfbar durch Akteneinsichtsgesuche und Beiziehungsgesuche.

Weiter kann Strafverteidigung in angeklagten Fällen der Organisierten Kriminalität darauf aufbauen, durch eigene investigative Ermittlungen offen zu legen und in den Strafprozess einzuführen die Ergebnisse über z. B. bestehende legale Geschäftstätigkeiten oder illegale, möglicherweise strafbare Handlungen von Kontakt – oder Hintermännern.

4. Kurzer Ausblick in die USA

Vergleicht man den Begriff Organisierter Kriminalität im deutschen Strafprozess mit dem in den USA ergibt sich dort eine knappere Definition und eine Anlehnung an die Mafia:

Demnach ist Organisierte Kriminalität im US-amerikanischen Strafprozess ein Zusammenschluss von Berufsverbrechern, welche die Begehung von Straftaten als Lebensweg verstehen („Organized Crime is a syndicate of professional criminals who rely on unlawful activities as a way of life“, Barron´s Legal Guides: Law Dictionary, 6th Edition)

Diese Definition ist leicht auszuhebeln, da einseitig und sehr subjektiv gehalten.

Die weiche Formulierung birgt die Gefahr, dass Polizei oder Staatsanwaltschaft zu persönlich wertet, was überhaupt der Lebensstil eines Kriminellen sein soll und wie hierzu die Zuschreibung Berufsverbrecher passt.

Ist dies noch rein das Fahren teurer Autos oder die die Ablehnung, mit der Polizei zu kooperieren? Beides keine Straftaten, daher für die Annahme „Verbrechertum“ nicht tauglich.

Sollte „Berufsverbrechertum“ dem deutschen Strafrecht mit Wiederholungstäter oder dem gewerbsmäßigen Handeln durch Straftaten gleichgesetzt werden, würde dies schon allein wegen des Verbots der Doppelbestrafung und Doppelverwertung nach § 46 Abs. 3 StGB hierzulande nicht vereinbar sein.

Gegen beide Definitionen dessen, was Organisierte Kriminalität sein soll, lässt sich folglich sehr gut verteidigen, um die obigen Folgen für Beschuldigte oder Angeklagte zu vermeiden.

Daniel Lehnert

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Strafrecht, Strafverteidiger und Lehrbeauftragter StPO in Berlin




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