Zwangsmedikation von demenziell Erkrankten: Nur im Krankenhaus möglich?

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Wenn eine demenziell erkrankte Person Medikamente, die sie dringend benötigt, ablehnt, dann ist das eine schwierige Situation. Der Betreuer muss dann womöglich über eine Zwangsbehandlung nachdenken, die von dem zuständigen Betreuungsgericht jedoch genehmigt werden muss. Zu beachten ist dabei § 1906a BGB. Nach dieser Vorschrift ist die Durchführung ärztlicher Zwangsmaßnahmen nur in einem Krankenhaus möglich.

Die Verlegung in ein Krankenhaus ist jedoch nicht immer die beste Lösung. So kann der Betroffene in "seiner" Altenpflegeeinrichtung womöglich viel besser aufgehoben sein. Außerdem könnte sich der Wechsel in ein Krankenhaus negativ auf seine physische und psychische Gesundheit auswirken. Was also tun?

Der aktuelle Fall

Das Bundesverfassungsgericht hatte kürzlich über einen solchen Fall zu entscheiden.

Der betroffene Mann litt an fortgeschrittener Demenz mit ausgeprägter Orientierungslosigkeit und fehlendem situativen Verständnis. Aufgrund dessen wurde er mit Neuroleptika behandelt. Für ihn wurde im Jahr 2015 zudem eine Betreuung eingerichtet.

Im Rahmen der Demenzerkrankung kam es immer wieder zu organisch wahnhaften Störungen, aufgrund derer er die Einnahme von Medikamenten verweigerte. Der behandelnde Facharzt für Neurologie sah es als erforderlich an, den Mann zum Zwecke der zwangsweisen Medikation in die zuständige psychiatrische Klinik einzuweisen. 

Die Einweisung sei aber aus medizinischer Sicht aber eigentlich kontraindiziert. Der Ortswechsel hatte in der Vergangenheit mehrfach zu einer deutlichen Verschlechterung des Krankheitsbildes des Mannes geführt. Die Verabreichung von Medikamenten sei aus ärztlicher Sicht auch in der Pflegeeinrichtung möglich, beispielsweise durch Beigabe zum Essen, ohne dass Zwang oder freiheitsentziehende Maßnahmen notwendig seien.

Die Betreuerin des Mannes rief das Betreuungsgericht an. Dieses vertrat die Auffassung, dass die verdeckte Gabe von Medikamenten, verabreicht durch Untermischung in Nahrungsmittel oder Getränke, eine Zwangsmedikation im Sinne des § 1906a BGB darstelle. Diese sei nur dann erlaubt, wenn sie stationär in einem Krankenhaus und nicht in einem Pflegeheim durchgeführt würde.

So haben die Richter:innen entschieden

Das Bundesverfassungsgericht hat den zuvor geschilderten Fall nicht zur Entscheidung angenommen (Beschluss vom 2. November 2021, Az. 1 BvR 1575/18). Die Begründung: Der Rechtsweg war noch nicht ausgeschöpft. Zunächst müssten die unteren Gerichte entscheiden. Erst dann dürfe sich das Bundesverfassungsgericht des Falles annehmen.

Das ist eine sehr formale Ablehnung - und deswegen etwas unbefriedigend. Allerdings haben die Richter:innen in ihrem Beschluss den unteren Gerichten einige Denkanstöße mit auf den Weg gegeben.

Das Bundesverfassunsgericht sieht einige Spielräume bei der Auslegung von § 1906a BGB. So fragen die Richter:innen: Liegt in dem heimlichen Untermischen von Medikamenten tatsächlich eine freiheitsentziehende Maßnahme, die von einem Betreuungsgericht genehmigt werden muss? Auch weist das Gericht darauf hin, dass der Verbleib in einer Altenpflegeeinrichtung als "milderes Mittel" gegenüber einem Krankenhaus den Vorzug verdienen könnte. Und schließlich könnte es von § 1906a BGB gedeckt sein, wenn der Patient das Medikament in einer teilstationären Einrichtung erhielte. Er müsste dann nicht in ein Krankenhaus umziehen.

Das bedeutet die Entscheidung für Sie

Der Beschluss des Bundesverfassungsgericht ist zunächst einmal misslich, da er keine Entscheidung in der Sache enthält. Das Gericht verweist lediglich darauf, zunächst den Rechtsweg zu beschreiten und diesen vollständig auszuschöpfen.

Darin liegt dann aber auch schon ein wichtiger Hinweis für Sie: Wenn Sie in der geschilderten Situation Betreuer sind, dann beantragen Sie bei dem zuständigen Betreuungsgericht die Genehmigung für eine Zwangsbehandlung - und zwar zur Durchführung in der Altenpflegeeinrichtung. Bzw. dort, wo sich der Betreute üblicherweise aufhält.

Schon ein solcher Antrag war in dem Ausgangsfall erst gar nicht gestellt worden. 

Immerhin haben die Betreuungsgerichte nun bei der Entscheidung über Ihren Antrag - durch die Erläuterungen in dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts - schon einmal Anhaltspunkte dafür, dass sie dem Antrag durchaus stattgeben könnten. 

Wenn das Betreuungsgericht den Antrag gleichwohl ablehnt, dann sollten Sie dagegen Beschwerde einlegen. Denn erst dadurch schöpfen Sie den Rechtsweg aus - und können notfalls dann den Weg zum Bundesverfassungsgericht beschreiten. Mit einigen Erfolgsaussichten.

Mehr Infos zu dem aktuellen Fall gibt es in der Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts.


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