Zweifel am „Gelben Zettel“!

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Folgende Konstellation konnte und kann man getrost als üblich bezeichnen: 

Der Arbeitgeber oder der Mitarbeiter kündigt die Zusammenarbeit und umgehend oder kurz darauf flattert dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ins Haus. Es folgen dann eine oder mehrere Folgebescheinigungen, die letzte ausgestellt bis zum letzten Tag der Kündigungsfrist.

Bislang blieb dem Arbeitgeber nichts anderes übrig, als zähneknirschend Entgeltfortzahlung zu leisten. Machen konnte er wenig, denn die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hat und hatte nach der insoweit gusseisernen Rechtsprechung einen sehr hohen Beweiswert.

Dieser Praxis scheint das Bundesarbeitsgericht (BAG) seit geraumer einen Riegel vorschieben zu wollen, die letzte Entscheidung zum Thema stammt vom 13.12.2023 und hat das Aktenzeichen 5 AZR 137/23.

Was war geschehen?

Ein Mitarbeiter erkrankte an einem 2. Mai und schickte eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bis zum 6. Mai. Der Arbeitgeber brachte an diesem 2. Mai eine Kündigung auf den Weg, was dazu führte, dass der Mitarbeiter nun weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorlegte ab dem 7. Mai, und zwar bis zum letzten Tag der Kündigungsfrist. 

Am darauffolgenden Tag trat er – nunmehr vollständig genesen - eine neue Arbeitsstelle bei einem anderen Arbeitgeber an.

Der Arbeitgeber verweigerte die Entgeltfortzahlung mit der Begründung, der Beweiswert der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sei erschüttert. 

Dem widersprach der Mitarbeiter mit der Begründung, die Arbeitsunfähigkeit habe ja bereits vor dem Zugang der Kündigung bestanden und am 2. Mai habe er nicht gewusst, dass ihm gekündigt werden würde. 

Das BAG gab ihm insoweit Recht, was die festgestellte Arbeitsunfähigkeit vom 2. Mai bis zum 6. Mai anging, nicht aber für den Folgezeitraum bis zum Ende der Kündigungsfrist.

Das BAG in der Pressemitteilung zur Entscheidung:

Ein Arbeitnehmer kann die von ihm behauptete Arbeitsunfähigkeit mit ordnungsgemäß ausgestellten ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nachweisen. Diese sind das gesetzlich vorgesehene Beweismittel. Deren Beweiswert kann der Arbeitgeber erschüttern, wenn er tatsächliche Umstände darlegt und ggf. beweist, die nach einer Gesamtbetrachtung Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers geben. 

… 

Bezüglich der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vom 6. Mai 2022 und vom 20. Mai 2022 ist der Beweiswert dagegen erschüttert. Das Landesarbeitsgericht hat insoweit nicht ausreichend berücksichtigt, dass zwischen der in den Folgebescheinigungen festgestellten passgenauen Verlängerung der Arbeitsunfähigkeit und der Kündigungsfrist eine zeitliche Koinzidenz bestand und der Kläger unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung aufgenommen hat. 

Dies hat zur Folge, dass nunmehr der Kläger für die Zeit vom 7. bis zum 31. Mai 2022 die volle Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung für den Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 3 Abs. 1 EFZG trägt. Da das Landesarbeitsgericht – aus seiner Sicht konsequent – hierzu keine Feststellungen getroffen hat, war die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.“

Was bedeutet das?

Das Landesarbeitsgericht (LAG) – also die Vorinstanz - muss erneut über den Fall verhandeln und nun unterstellen, dass der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ab dem 7. Mai erschüttert ist. 

Verliert der Mann deshalb den Prozess?

Nicht unbedingt. Er kann sich für den Beweis seiner Arbeitsunfähigkeit zwar nicht mehr auf die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen stützen, allerdings kann er seinen behandelnden Arzt als Zeugen dafür benennen, dass und warum er – angeblich – arbeitsunfähig gewesen sein soll.

Aller Voraussicht nach wird der Arzt seine eigene Diagnose nicht in Frage stellen, Raum für unangenehme Fragen zur angeblichen Arbeitsunfähigkeit und - auf entsprechenden Antrag des Arbeitgebers - ein gerichtlich eingeholtes Sachverständigengutachten bleibt aber immer, so dass der Mitarbeiter nach wie vor ein Risiko trägt, den Prozess am Ende zu verlieren.

Ein Selbstläufer sieht also anders aus.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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