10 fundamentale IP-Empfehlungen: 6. Vergessen Sie das Gebrauchsmuster nicht!

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Meine bisherigen IP-Empfehlungen in dieser Serie: 


1. Vermeiden Sie diesen existentiellen Fehler!

2. Kennen Sie Ihre Schutzmöglichkeiten!

3. Priorisieren Sie die frühe IP-Generierung!

4. Folgen Sie einer IP-Strategie!

5. Vergessen Sie den Designschutz nicht!



Nun zum Gebrauchsmuster 


Das Gebrauchsmuster ist ein technisches Schutzrecht, das gegenüber dem Patent einige sehr wichtige Unterschiede aufweist, die es vor allen für taktisch-strategische Überlegungen als Schutzrecht sehr interessant machen. Wie das Patent dient es dem Schutz von Erfindungen, die neu sind, eine Erfindungshöhe aufweisen und gewerblich anwendbar sind.



Merkmale des Gebrauchsmusters

Die wesentlichen Merkmale des Gebrauchsmusters sind grob zusammengefasst folgende: 


Schutzumfang: Gebrauchsmuster schützen nur die strukturellen Merkmale einer Erfindung, während Verfahrenserfindungen ausschließlich durch Patente schützbar sind. Sogenannte Product-by-Process-Erfindungen, also solche, die ein unmittelbares Verfahrensprodukt betreffen, sind dennoch gebrauchsmusterrechtlich schützbar. 


Schutzansprüche: Im Gegensatz zu einer Patentanmeldung fallen bei einer Gebrauchsmusteranmeldung keine Anspruchsgebühren an. Das sollten Sie sich zunutze machen, indem Sie ausreichend viele und vor allem gut durchdachte abhängige Ansprüche formulieren, um den Hauptanspruch später nötigenfalls bereits durch Beschränkung mit abhängigen Ansprüchen rechtsbeständig machen zu können. 


Schutzdauer: Gebrauchsmuster haben eine kürzere Schutzdauer von bis zu 10 Jahren, verglichen mit bis zu 20 Jahren beim Patenten.


Kurzes Prüfungsverfahren, schneller Schutz: Gebrauchsmuster werden nicht wie Patente auf Neuheit und erfinderische Tätigkeit geprüft, sondern werden nach einer kurzen Formalprüfung sofort eingetragen. Das Eintragungsverfahren ist also wesentlich schneller und kostengünstiger als das eines Patents. Ab der Eintragung etwa 2 bis 3 Monate nach der Anmeldung sind Gebrauchsmuster durchsetzbar, das heißt Sie können daraus auf Verletzung klagen (§ 27 GbmG) und beispielsweise Unterlassung geltend machen (dazu unten mehr). 


Neuheitsschonfrist: Bei Gebrauchsmustern gilt eine 6-monatige Neuheitsschonfrist für vorherige Veröffentlichungen des Gegenstandes durch den Erfinder. Patente haben in den meisten Ländern keine solche Schonfrist, insbesondere nicht in Deutschland und Europa. Sollten Sie Ihre Produkterfindung versehentlich veröffentlicht haben, können Sie als innerhalb von 6 Monaten noch ein Gebrauchsmuster anmelden, aber kein Patent mehr.


Doppelschutz: Sie können auf dieselbe Erfindung sowohl ein Gebrauchsmuster als auch ein Patent anmelden, um verschiedene Aspekte Ihrer Erfindung zu schützen und insbesondere die beiden Schutzrechte taktisch einsetzen (dazu unten mehr). 


Gebrauchsmusterabzweigung: Sie können aus einer anhängigen deutschen oder Europäischen Patentanmeldung innerhalb der ersten 10 Jahre ein Gebrauchsmuster abzweigen (§ 5 (1) GbmG), welches dann sehr schnell durchsetzbar ist, während das Patent unter Umständen noch weit von der Erteilung entfernt ist. Das eröffnet besondere taktische Möglichkeiten, wie untern beschrieben werden. Tatsächlich ist die Abzweigung sogar bis zu zwei Monate nach der Erledigung des Patents möglich.


Testen des Marktes: Wenn Sie sich über den kommerziellen Erfolg Ihrer Erfindung unsicher sind, können Sie zunächst ein Gebrauchsmuster anmelden. Sollte sich die Erfindung als erfolgreich erweisen, können Sie dann innerhalb eines Jahres, des sogenannten Prioritätsjahres, eine gleichlautende oder durch Verfahrensansprüche ergänzte Patentanmeldung einreichen.


Dem Gebrauchsmuster steht weniger Stand der Technik entgegen

Die nachfolgende Tabelle zeigt, dass das Gebrauchsmuster einen weiteren Vorteil gegenüber dem Patent hat, denn der relevante Stand der Technik ist demgegenüber deutlicher eingeschränkt.

Stand der Technik
Gebrauchsmuster
Patent
Schriftliche Offenbarung (weltweit)
relevant
relevant
Mündliche Offenbarung
irrelevant
relevant
Öffentliche Vorbenutzung
nur bei Vorbenutzung in Deutschland relevant
relevant
Neuheitsschonfrist (eigene Veröffentlichungen)
ja, 6 Monate
nein

Das Gebrauchsmuster hat also hinsichtlich des relevanten Standes der Technik große Vorteile gegenüber dem Patent, indem einem Gebrauchsmuster mündliche Offenbarungen, z.B. öffentliche Vorträge, Vorbenutzungen im Ausland und auf den/die Erfinder zurückzuführende Offenbarungen, die jünger als 6 Monate sind, gar nicht entgegenstehen. 


Sollten Sie Ihre Erfindung also bei einem öffentlichen Vortrag in Deutschland vorgestellt oder vor 5 Monaten in einem Fachartikel beschrieben haben, können Sie zwar kein Patent mehr anmelden, aber ein Gebrauchsmuster steht Ihnen noch immer offen. Auch wenn Sie ihre Erfindung auf einer Messe im Ausland vorgestellt haben, können Sie darauf in Deutschland noch Gebrauchsmusterschutz erlangen. 



Was ist der Vorteil des Doppelschutzes?

Die häufig zu lesende Auffassung, dass das Gebrauchsmuster für „kleine“ Erfindungen bestimmt sei und das Patent für die richtigen Erfindungen, ist salopp gesagt Unsinn. Jedenfalls ist die materielle Prüfung auf Neuheit und Erfindungshöhe bei beiden Schutzrechten inzwischen gleich, nur der Zeitpunkt der Prüfung ist ein anderer. Während eine Patentanmeldung sofort geprüft wird, wird das Gebrauchsmuster erst bei der Durchsetzung geprüft. Das verschiebt die Kosten der Prüfung auf den Zeitpunkt der Durchsetzung. 


In den meisten Branchen ist bei den modernen Entwicklungszyklen auch die die 10-jährige Schutzdauer des Gebrauchsmusters kein Problem. Bestenfalls mag der Ausschluss von Verfahrenserfindungen beim Gebrauchsmuster auf die landläufig angenommen „Minderwertigkeit“ des Gebrauchsmusters gegenüber dem Patent hinweisen. 


Für Ihre wichtigen Erfindungen, also solche,


  • die Ihnen einen deutlichen technologischen Vorteil verschaffen, und/oder
  • die Sie schnell gegenüber Wettbewerbern durchsetzen wollen

empfiehlt sich der Doppelschutz, indem Sie zunächst eine Patentanmeldung mit breitem Schutzumfang einreichen, also mit sehr umfassend formulierten unabhängigen Ansprüchen, und dann daraus bedarfsweise ein oder mehrere unmittelbar durchsetzbare Gebrauchsmuster abzweigen, deren Schutzumfang zum Beispiel auf bestimmte Ausführungsformen der Konkurrenz beschränkt sind.  


In der Regel überwacht die Konkurrenz Patentanmeldungen und -erteilungen, aber keine Gebrauchsmuster. Diese abgezweigten Schutzrechte können also lange als U-Boote tauchen, bis sie plötzlich auftauchen, wenn Sie sie durchsetzen, sprich Verletzungsklage erheben.


Wenn Ihre Patentanmeldung eine wettbewerbsrelevante Erfindung betrifft, wird Ihre Konkurrenz das Erteilungsverfahren genau beobachten, was bei der Online-Akteneinsicht des Europäischen Patentamts und auch des USPTO (Patent Center) kein Problem ist.


Man wird dann schnell feststellen, in welche Richtung Sie Ihre Ansprüche aufgrund des ermittelten Standes der Technik einschränken und entsprechende Umgehunglösungen favorisieren, die von diesen eingeschränkten Patentansprüchen nicht mehr erfasst werden.


Die Ansprüche Ihres U-Boots bzw. Gebrauchsmusters können Sie nun in Kenntnis der Umgehungslösung der Konkurrenz unbemerkt auf diese abstimmen. Selbstverständlich können die Gebrauchsmuster-Ansprüche von den eingeschränkten Ansprüchen der Europäischen Patentanmeldung (oder denjenigen einer US-Anmeldung) abweichen. Völlig unbeeindruckt von den Ansprüchen der Patentanmeldung können Sie nun die Gebrauchsmuster-Ansprüche so formulieren, dass sie schutzfähig sind und die Umgehungslösung der Konkurrenz erfassen.


Dies wird naturgemäß umso eher gelingen, je detailreicher die Anmeldung ist und je mehr tragfähige Unteransprüche vorliegen. Insofern sollten Sie darauf achten, dass die initiale Patentanmeldung die Erfindung umfassend und mit mehreren Ausführungsbeispielen und Varianten beschreibt und beansprucht.



Besser 10 Gebrauchsmuster als ein Patent?

Noch eine andere strategische Möglichkeit bietet das Gebrauchsmuster aufgrund seiner geringeren Kosten. Diese wirksame Strategie wurde beispielsweise von Google perfektioniert, das im Laufe der Jahre nahezu 1.000 Gebrauchsmuster eingereicht und damit eine enorm hohe Schutzdichte aufgebaut hat, gegen die die Wettbewerber nur wenig ausrichten können.   


Auch wenn das ein oder andere dieser Gebrauchsmuster nicht rechtsbeständig ist/war, so ist die schiere Masse ein großes Problem für die Konkurrenz, die für jedes Gebrauchsmuster, in dessen Schutzbereich sie hineinentwickeln will, ein Löschungsverfahren anstrengen muss.   


Auch wenn Sie nicht 1.000 Gebrauchsmuster einreichen können, so kann es dennoch sinnvoll sein, über eine Vielzahl von Gebrauchsmustern nachzudenken, denn jedes einzelne ist unmittelbar durchsetzbar und stellt insofern ein Problem dar für Ihre Konkurrenz.



Was ist bei einer Klage aus einem Gebrauchsmuster zu beachten?

Gebrauchsmuster lassen sich in der Regel genauso effektiv vor Gericht durchsetzen wie Patente, wenn man deren Besonderheiten beachtet.


Rechtsbeständige Ansprüche.  Zunächst, Ansprüche, die Sie durchsetzen wollen, müssen natürlich rechtsbeständig sein. Da das Gebrauchsmuster ein ungeprüftes Schutzrecht ist, wie beispielsweise auch das Geschmacksmuster, ist die eigene Recherche nach Stand der Technik unerlässlich, um die Ansprüche gegenüber diesem Stand der Technik so einzuschränken, dass sie voraussichtlich rechtsbeständig sind. 


Idealerweise gelingt Ihnen das bereits durch Beschränkungen mit vorhandenen abhängigen Ansprüchen.


Es gibt zwar frei verfügbare Rechercheninstrumente, etwa Espacenet oder Depatisnet, Sie sollten die Recherche aber besser von Profis erledigen lassen, damit Sie en relevanten Stand der Technik finden und die richtigen Schlüsse daraus ziehen. Idealerweise gelingt Ihnen das bereits durch Beschränkungen mit vorhandenen abhängigen Ansprüchen.


Wenn das Gebrauchsmuster aus einem Patent abgezweigt wurde oder es ein anderes Parallelverfahren gibt, reicht auch die dortige amtliche Recherche.


Das Gebrauchsmuster ist circa zwei bis drei Monate nach der Anmeldung eingetragen und ist dann durchsetzbar. Sie können bereits dann gerichtlich Unterlassung und Schadensersatz geltend machen, während das beim Patent unter Umständen erst Jahre später mit der Erteilung möglich wird.  

Das parallele Löschungsverfahren.  Der vermeintliche Verletzer, also der Verletzungsbeklagte, wird einerseits im Verletzungsverfahren versuchen, die ihm vorgeworfene Verletzung zu widerlegen. Andererseits wird er die Rechtsbeständigkeit des Gebrauchsmusters mittels eines Löschungsverfahrens von dem DPMA angreifen (§ 16 GbmG), denn ohne Rechtsbeständigkeit des Gebrauchsmusters gibt es auch keine Verletzung.

Somit sind die Unterlassung- und Schadensersatzansprüche des Gebrauchsmusterinhabers vom Ausgang von zwei idealerweise synchronisierten, getrennten Verfahren abhängig, nämlich vom gerichtlichen Verletzungsverfahren und vom amtlichen Löschungsverfahren.

Aussetzung des Verfahrens.  Aus mehrerlei Gründen ist das Verletzungsverfahren häufig weiter fortgeschritten als das parallele Löschungsverfahren. Deshalb wird im Verletzungsverfahren, sollte das Verletzungsgericht eine Verletzung nicht ausschließen, regelmäßig auch die Aussetzung des Verfahrens nach § 148 ZPO diskutiert, bis im Löschungsverfahren eine Entscheidung über die Rechtsbeständigkeit des Gebrauchsmusters gefallen ist. Das Verletzungsverfahren wird nur dann ausgesetzt, wenn der Verletzungsbeklagte das Gericht davon überzeugen kann, dass es erheblich Zweifel an der Rechtsbeständigkeit des Gebrauchsmusters gibt, da die Ansprüche nicht einmal die Neuheitshürde nehmen.

Sie sollten als Verletzungskläger an dieser Stelle Ihr Gebrauchsmuster bereits derart beschränkt haben, idealerweise allein durch Unteransprüche, dass Sie das Gericht vom Gegenteil überzeugen können, nämlich vom voraussichtlichen Rechtsbestand Ihres Klageschutzrechts.

Sollte parallelen Löschungsverfahren später festgestellt werden, dass das Gebrauchsmuster nicht rechtsbeständig ist, wird das Verletzungsverfahren mangels Anspruchsgrundlagen beendet. Andernfalls wir das ausgesetzte Verletzungsverfahren basierend auf dem rechtsbeständigen Gebrauchsmuster fortgesetzt.

Injunction Gap.  Im Rahmen dieser rechtlich sowie tatsächlich komplexen Synchronisation der beiden parallelen Verfahren kann es aber auch zu dem kommen, was allgemein als „Injunction Gap“ bezeichnet wird. Dies ist eine Situation, in der das Verletzungsgericht auf Verletzung erkannt hat und dem Verletzungskläger einen durchsetzbaren Unterlassungstitel in die Hand gibt, während im Löschungsverfahren noch keine Entscheidung über die Rechtsbeständigkeit des Gebrauchsmusters vorliegt.

Patentanwaltliche Hilfe.  Um die richtige Strategie in Ihrer individuellen Situation zu finden und umzusetzen, sollten Sie unbedingt die Hilfe eines erfahrenen Patentanwalts in Anspruch nehmen, der nicht nur Erfahrung mit Erteilungsverfahren (pre-grant) hat, sondern auch Erfahrung mit der Durchsetzung (post-grant) von technischen Schutzrechten und mit den oben skizzierten taktischen Möglichkeiten und Zusammenhängen.   

Insbesondere die Vermeidung der Aussetzung des Verletzungsverfahrens erfordert fundierte Kenntnisse, insbesondere der Rechtsprechung, sowie praktische Erfahrung und Geschick.


KLUNKER IP Patentanwälte

 Seit 1985 sind wir für unsere Mandanten weltweit in allen Bereichen des gewerblichen Rechtsschutzes tätig und bieten seitdem Einzelerfindern, Start-Ups, KMUs und Konzernen maßgeschneiderte Lösungen an.


Gerne entwickeln wir auch für Sie die richtige Strategie, um Ihre Erfindungen zu schützen und effizient durchzusetzen.


Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren – wir stehen Ihnen als vertrauenswürdiger Partner gerne zur Seite.

Foto(s): Lexica Commercial License

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