Anwalt bei Vorladung, Anklage und Strafbefehl wegen Nötigung im Straßenverkehr

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Es scheint so, als würde es gerade im Straßenverkehr relativ oft zu hitzigen Situationen und riskanter Fahrmanöver kommen. Aber ist jedes drängelnde Aufleuchten Lassen der Lichthupe eine strafbare Nötigung? Macht man sich dann nicht strafbar, wenn der andere Verkehrsteilnehmer einen durch seinen schlechten Fahrstil ja im Grunde zu einer Reaktion genötigt hat?

Wie hoch ist die Strafe für Nötigung im Straßenverkehr?

Nötigung im Straßenverkehr wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft (§ 240 StGB).

Wird durch eine Nötigung im Straßenverkehr ein Unfall verursacht, so sind regelmäßig noch weitere Straftatbestände erfüllt, wie beispielsweise (fahrlässige) Körperverletzung, Sachbeschädigung oder gegebenenfalls ein Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr.

Ist die Strafe wegen Nötigung im Straßenverkehr höher als für sonstige Nötigung?

Es gibt keinen gesonderten Straftatbestand, der die Nötigung im Straßenverkehr unter Strafe stellt. Es greift also der reguläre Strafrahmen, der für die Nötigung in § 240 Abs.1 StGB normiert ist.

Wann macht man sich wegen Nötigung im Straßenverkehr strafbar?

Eine strafbare Nötigung beschreibt, dass jemand eine andere Person zu etwas (einem Tun, Dulden oder Unterlassen) zwingt. Maßgeblich ist dabei, dass dieser Zwang mittels Gewalt oder durch die Drohung mit Gewalt ausgeübt wird. Ferner muss die Nötigung verwerflich sein.

Was ist Gewalt?

Gewalt ist das Ausüben körperlichen Zwangs, der sich auch körperlich bei dem Genötigten auswirkt. Diese doppelte Körperlichkeit ist ein wichtiges Merkmal des Gewaltbegriffs im Sinne des § 240 Abs.1 StGB. Die Rechtsprechung hatte vor einiger Zeit nämlich die Tendenz, auch psychischen Zwang unter die Nötigung zu fassen. Dies ist inzwischen nicht mehr so.


Gewalt liegt zum Einen in der sogenannten vis absoluta. Das ist diejenige Gewalt, bei der der Wille gebrochen wird. Zum Anderen ist Gewalt in diesem Sinne auch die vis compulsiva. Durch diese Form der Gewalt wird der Wille des Genötigten „lediglich“ gebeugt. Auch hier bedarf es aber einer körperlichen Vermittlung von Zwang und einer körperlichen Wirkung.

Wann droht man mit einem empfindlichen Übel?

Drohen ist das Inaussichtstellen eines empfindlichen Übels, wobei der Drohende vorgibt, auf den Eintritt des Übels Einfluss zu haben.

Ein Übel ist dann empfindlich, wenn dem Opfer nicht zugemutet werden kann, der Androhung entgegenzustehen bzw. (vereinfacht ausgedrückt) sich „davon nicht beeindrucken zu lassen“.

Die Nötigung muss verwerflich sein

Eine Straftat wird nicht schon dann bestraft, wenn der gesetzlich normierte Straftatbestand, also alle vorgesehenen Merkmale (sowohl in objektiver als auch subjektiver Sicht) erfüllt werden. Erforderlich ist unter anderem auch, dass die Tat rechtswidrig war. Es gibt zum Einen bestimmte Rechtfertigungsgründe, die die Rechtswidrigkeit der Verwirklichung des Straftatbestandes entfallen lassen. Außerdem gibt es manche Straftatbestände, die auch als offene Straftatbestände bezeichnet werden, nämlich deshalb, weil noch ein Umstand in der Rechtswidrigkeit positiv festgestellt werden muss, damit die Tat rechtswidrig ist (in der Regel indiziert die Tatbestandsverwirklichung die Rechtswidrigkeit, sodass sie nur entfällt, wenn bestimmte Rechtfertigungsgründe ausnahmsweise greifen). Die Nötigung ist ein solcher offener Tatbestand. Die Nötigung ist nur dann rechtswidrig und damit strafbar im Sinne des § 240 Abs.1 StGB, wenn sie verwerflich ist.


Die Verwerflichkeit kann sich dabei aus drei Umständen ergeben. Entweder

  • der Zweck (der durch die Nötigung erreicht werden soll) ist verwerflich,
  • das Mittel (mit dem der Zweck durchgesetzt und damit die Nötigung begangen wird) ist verwerflich oder
  • die Beziehung, die Relation, zwischen Zweck und Mittel ist verwerflich (das ist insbesondere dann der Fall, wenn Zweck und Mittel in keinerlei innerer Verbindung zueinander stehen)

Wann macht man sich gerade im Straßenverkehr wegen Nötigung strafbar?

Nötigende Gewalteinwirkungen oder Drohungen finden nicht selten im Straßenverkehr statt.


Hier ist insbesondere an bedrängende Fahrmanöver zu denken. Dies allerdings unter der Einschränkung, dass solche Fahrweisen bei dem/den anderen Autofahrer(n) als körperlicher Zwang empfunden werden muss. Eine rein psychische bzw. seelische Zwangswirkung (also z.B. das reine Hervorrufen von Sorge bzw. Angst) genügt im Rahmen einer Nötigung hingegen nicht. Vgl. z.B. OLG Köln, Beschluss v. 17.09.1996 – Ss  439/96 – 153  in openJur 2012, 75713.


Im Straßenverkehr kommen als gegebenenfalls strafbare Handlungen insbesondere das „Schneiden, Blockieren oder Ausbremsen“(OLG Köln, Beschluss v. 17.09.1996 – Ss  439/96 – 153  in openJur 2012, 75713) anderer Verkehrsteilnehmer in Betracht.


Das Oberlandesgericht Köln führte in einem Beschluss aus, dass „das Verbleiben auf der Überholspur der Autobahn vor einem schnelleren Nachfolgefahrzeug, dem dadurch das Überholen unmöglich gemacht wird“ in der Regel nur bei „schikanöser Behinderung“ eine strafbare Nötigung darstellt, was regelmäßig insbesondere dann nicht der Fall ist, wenn man seinerseits mit hoher Geschwindigkeit fährt (OLG Köln, Beschluss v. 17.09.1996 – Ss  439/96 – 153  in openJur 2012, 75713).


Bei der Flucht vor der Polizei im Straßenverkehr, wenn diese beispielsweise den Autofahrer zum Halten auffordert (z.B. weil dieser ohne gültige Fahrerlaubnis fährt) oder bei der Vornahme sonstiger Diensthandlungen, ist zu beachten, dass eine etwaige Strafbarkeit wegen Nötigung hinter der dann auch verwirklichten Strafbarkeit wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte gem. § 113 StGB zurücktritt, da der Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte dann das speziellere Delikt ist (vgl. BGH, Urteil v. 20.02.2003 – 4 StR 228/02). Im Falle eines spezielleren Delikts ist im Grunde der Unrechtsgehalt des allgemeineren Delikts in dem spezielleren Delikt mit enthalten, so dass nur wegen des spezielleren Delikts bestraft wird.

Ist dichtes Auffahren strafbar?

Dichtes Auffahren im Straßenverkehr kann strafbar sein. In Betracht kommt hier beispielsweise eine Strafbarkeit wegen Nötigung. Durch das Auffahren (welches eine körperliche Einwirkung auf eine andere Person darstellt) kann der vorausfahrende Kfz-Fahrer nämlich gegebenenfalls zu einer körperlichen Reaktion, beispielsweise einem Ausweichen auf eine andere Spur, gezwungen werden.  Ist dies der Fall und bestand insbesondere keinerlei rechtlich schützenswerter Grund hierfür, steht eine Strafbarkeit wegen Nötigung nach § 240 Abs.1 StGB im Raum.

Sind Straßenblockaden eine strafbare Nötigung?

Wie bereits angedeutet, bestand eine ganze Zeit lang ein Streit darüber, ob und inwiefern die Nötigung körperlichen Zwang voraussetzt. Anlass für diesen Streit waren insbesondere Straßenblockaden. So hart das nun nämlich klingen mag, so ist dennoch festzustellen, dass der erste Autofahrer, wenn eine Sitzblockade auf einer Straße gebildet wird, rein faktisch betrachtet über die den Weg blockierenden Menschen fahren könnte. Das macht er natürlich nicht. Die Hemmschwelle ist dabei aber eine psychische. Man will nicht auf Kosten eines Menschenlebens passieren. Das ist auch gut so, wirft dann aber eben die Frage auf, ob sich die blockierenden Menschen wegen Nötigung strafbar gemacht haben.

Das Ergebnis dieses Streits in der Rechtsprechung und einem recht langen Hin und Her ist die sog. „Zweite-Reihe-Rechtsprechung“. Diese besagt vereinfacht ausgedrückt, dass die Blockierenden sich zwar nicht gegenüber dem ersten Autofahrer wegen Nötigung strafbar machen (kein körperlich wirkender Zwang), wohl aber gegenüber den nun folgenden – hinter dem ersten Auto stehenden – Autofahrern. Diese sind durch das Auto vor ihnen körperlich daran gehindert, weiter zu fahren. Die Blockierenden machen sich diesen Umstand zu nutze, sodass hierüber eine Strafbarkeit wegen Nötigung begründet werden kann.

Im Ergebnis kann also gesagt werden: Ja, Straßenblockaden können eine strafbare Nötigung (im Straßenverkehr) sein.

Kann man seinen Führerschein wegen Nötigung im Straßenverkehr verlieren?

Grundsätzlich ist das möglich. Insbesondere (aber nicht nur) bei Straßenverkehrsdelikten kann die Beschlagnahme des Führerscheins, ein Fahrverbot oder gar die Entziehung der Fahrerlaubnis drohen. Dies ist grundsätzlich auch dann möglich, wenn man beruflich auf seinen Führerschein und seine Fahrerlaubnis angewiesen ist.

Mache ich mich dann nicht wegen Nötigung im Straßenverkehr strafbar, wenn der andere mich provoziert hat?

Das kommt auf die genaue jeweilige Situation an. Es kann durchaus Fallgestaltungen geben, bei denen eine Provokation einer Person dafür sorgt, dass eine Strafbarkeit entfällt.

So verneinte das Oberlandesgericht Köln eine Strafbarkeit wegen Nötigung zum Beispiel in einem Fall, in dem ein Autofahrer dem Angeklagten sehr nah auffuhr und der Angeklagte diesem durch Antippen der Bremse ein entsprechendes Lichtzeichen (die Bremsleuchte) gab. Das OLG Köln führte aus, dass in einem plötzlichen Abbremsen bei hoher Geschwindigkeit in der Regel eine strafbare Nötigung darstellt, wenn dies dazu dient, den hinter dem bremsenden Auto befindlichen Kfz-Führer dazu zu zwingen, seinerseits zu bremsen. Dass lediglich das Bremslicht aufleuchten gelassen wird, genügt wohl in der Regel – so das OLG Köln – nicht zur Begründung einer Nötigungsstrafbarkeit, da sich hier der Zwang zum Abbremsen in einem rein psychischen Zwang erschöpft. Die Rechtsprechung fordert aber eine körperliche Zwangswirkung zur Bejahung der Gewalt im Sinne des § 240 Abs.1 StGB.Werden Lichtzeichen gegeben und gleichzeitig sehr nah an das vorausfahrende herangefahren, so besteht die strafbare Handlung (im Rahmen der Nötigung) nicht in dem Geben der Lichtzeichen, sondern vielmehr in dem Auffahren selbst. Vgl. OLG Köln, Beschluss v. 17.09.1996 – Ss  439/96 – 153  in openJur 2012, 75713.


Unter Umständen kann eine Nötigung im Straßenverkehr bei vorheriger Provokation durch beispielsweise riskantes Auffahren des nachfolgenden Fahrzeuges auch als Notwehr oder Notstand gerechtfertigt sein und damit straflos bleiben.


Zu beachten ist aber, dass es zum Entfall einer Strafbarkeit wegen Nötigung im Straßenverkehr wohl in aller Regel nicht kommt, wenn man sich allein über den „schlechten Fahrstil“ eines anderen Verkehrsteilnehmers aufregt und diesen durch ein eigenes riskantes Fahrmanöver belehren möchte.


Hier muss man sich aber den konkreten Fall ganz genau anschauen. Sollten Sie eine polizeiliche Vorladung, eine Anklage oder einen Strafbefehl mit dem Vorwurf einer Nötigung im Straßenverkehr erhalten haben, so sollten Sie sich bestenfalls an einen erfahrenen Anwalt für Verkehrsstrafrecht wenden. Dieser hat nämlich die nötige berufliche Erfahrung und fachliche Expertise, um Ihren Fall juristisch korrekt einschätzen zu können und auf dieser Grundlage eine gerade für Ihren Fall geeignete Verteidigungsstrategie zu erarbeiten.

Können bei riskanten Manövern im Straßenverkehr weitere Strafbarkeiten drohen?

Das ist möglich. Je nachdem, wie sich die Situation darstellt, können Verhaltensweisen, wie plötzliches Abbremsen außer einer Nötigung gegebenenfalls z.B. einen strafbaren Gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr darstellen. Insbesondere im Zusammenhang mit der Nichtbeachtung der Vorfahrt oder falschem Überholen kommt eine Strafbarkeit wegen Gefährdung des Straßenverkehrs in Betracht.

Im Rahmen einer Strafbarkeit wegen Gefährdung des Straßenverkehrs oder eines Gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr, ist insbesondere erforderlich, dass es zu einem sog. „Beinahe-Unfall“ kommt. Es muss zu einer konkreten Gefährdung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit einer anderen Person oder zu einer konkreten Gefährdung von fremden Sachen von bedeutendem Wert (ab ca. 750 Euro; vgl. z.B. BGH, Beschluss v. 28.09.2010 – 4 StR 245/10 (zu § 315b StGB)) kommen. Eine konkrete Gefährdung kann dann bejaht werden, wenn es im Grunde nur noch vom Zufall abhing, ob es zu einer Schädigung dieser genannten Rechtsgüter kommt oder ob „es gerade nochmal gut ging“ (vgl. z.B. BGH, Beschluss v. 05.11.2013 – 4 StR 454/13 (zu § 315b StGB).

Kommt es zu einem Unfall und fährt der Nötigende einfach weiter, so steht eine Strafbarkeit wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort („Unfallflucht“) (§ 142 StGB) und gegebenenfalls wegen Unterlassener Hilfeleistung (§ 323c StGB) im Raum.

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