Arbeitszeitüberschreitung – Anspruch auf Arbeitsentlastung für Lehrkräfte?

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Besteht ein Anspruch auf Arbeitsentlastung für eine Lehrkraft -hier einen Schulleiter-, soweit die Überschreitung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit gerügt wird?

Das Verwaltungsgericht Hannover (VG) hat diese Frage mit seinem Urteil vom 6.10.2020 verneint und hat die dortige Klage des Rektors einer Grundschule in Hannover abgewiesen (vgl. VG Hannover, Az. 13 A 900/18, Pressemitteilung vom 6.10.2020).

Der Kläger begehrte die Entlastung von dienstlichen Aufgaben und Freizeitausgleich für seit April 2015 geleistete Mehrarbeit im Umfang von mehr als acht Stunden wöchentlich (a. a. O.).

Er berief sich zur Begründung (u. a.) auf eine Arbeitszeitstudie der Universität Göttingen für Lehrkräfte an öffentlichen Schulen, die nach seiner Auffassung belege, dass er dauerhaft über die regelmäßige geschuldete Arbeitszeit hinaus dienstlich in Anspruch genommen werde (a. a. O.).

Damit habe das Bestehen einer individuellen Arbeitszeitüberschreitung nicht -wie nach Sichtweise des VG durch den Kläger erforderlich- nachgewiesen werden können (a. a. O.). Die Arbeitszeitanalyse habe in Bezug auf die individuell durch den Kläger vorgenommenen Aufzeichnungen nach Auffassung des Gerichts Unstimmigkeiten erkennen lassen, die in der mündlichen Verhandlung nicht ausgeräumt worden seien (a. a. O.). 

Nach der Arbeitszeitstudie habe der Kläger zwar die geschuldete Arbeitszeit wöchentlich insgesamt deutlich überschritten (a. a. O.). Allerdings habe er nicht hinreichend plausibel erklärt, wie sich die Arbeitszeitüberschreitung zusammensetze (a. a. O.). Aus den erhobenen Daten gehe hervor, dass er in seiner Funktion als Schulleiter und im Hinblick auf die von ihm geschuldete Unterrichtszeit um insgesamt mehr als zehn Stunden hinter dem wöchentlichen Soll zurückbleibe, wobei die geltend gemachte erhebliche Überschreitung seiner Arbeitszeit hiernach allein auf seine „weiteren Tätigkeiten“ zurückzuführen sei (a. a. O.).

Das VG hat darauf hingewiesen, dass diese Entscheidung allein den individuellen Anspruch des dortigen Klägers auf Entlastung von dienstlichen Aufgaben betreffe und das Gericht keine grundsätzliche Aussage über die Frage zu treffen hatte, ob und ggf. in welchem Umfang Lehrerinnen und Lehrer an öffentlichen Schulen in Niedersachsen über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus dienstlich in Anspruch genommen werden dürfen (a. a. O.).

Die Entscheidung des VG Hannover dürfte im Widerspruch zur aktuellen Rechtsprechung des EuGH stehen. Demnach besteht eine Pflicht des Arbeitgebers zur Einrichtung eines leicht zugänglichen Systems zur Erfassung der täglichen effektiven Arbeitszeit (Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer bei der Arbeit – Art 3, 5 und 6 EGRL 88/2003 – Art 31 Abs 2 EUGrdRCh – EWGRL 391/89 – tägliche und wöchentliche Ruhezeit – wöchentliche Höchstarbeitszeit) vom 14.5.2019 (vgl. EuGH, Urteil vom 14. Mai 2019 – C-55/18 –, juris). Unstimmigkeiten gingen damit grds. zu Lasten des Arbeitgeber/Dienstherrn. Da die Rechtssätze des EuGH grds. auch für Lehrkräfte (im Beamten- und auch im Angestelltenverhältnis) in der BRD gelten, ist trotz des vom VG in der PM hervorgehobenen Einzelfallbezugs durchaus fraglich, ob diese Begründung letztlich wird tragen können. Die Berufung wurde vom VG zugelassen. Daher wird das OVG Niedersachsen (und nachfolgend sicherlich auch das BVerwG) nun wohl Gelegenheit erhalten, für Rechtsklarheit i. S. d. Entscheidung des EuGH auch für Lehrkräfte (und Schulleiter) in Niedersachsen zu sorgen.

Die dem o. g. Rechtsstreit zu Grunde liegende Grundsatzfrage betrifft jedenfalls tatsächlich sämtliche Lehrkräfte an Schulen (und auch an Hochschulen) in Deutschland, deren Stunden bislang nicht objektiv (und zugänglich) erfasst, sondern i. d. R. lediglich pauschaliert (fingiert) in Form sog. Lehrverpflichtungsstunden abgerechnet werden. Es lohnt sich daher im Einzelfall für die betr. Lehrkräfte (und auch für Schulleiter) trotz der hier besprochenen Entscheidung des VG Hannover, Verfahren wegen Einhaltung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit zu führen.

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