Auch ein hoher Nachlasswert führt nicht zur Sittenwidrigkeit eines Behindertentestaments

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In den vergangenen Jahrzehnten wurde immer wieder über die Zulässigkeit des sogenannten Behindertentestaments gestritten. Hierbei wird aufgrund testamentarischer Anordnung dafür Sorge getragen, dass ein behinderter Erbberechtigter zwar in den Genuss des Erbes kommt, die Masse an sich aber dem Zugriff des Sozialhilfeträgers, der ihm gegenüber Leistungen erbringt, entzogen ist. Im vorliegenden Fall, den das Landgericht Essen entschieden hat (Urteil vom 3. Dezember 2015, Aktenzeichen 2 O 321/14) hatte der Sozialhilfeträger zunächst Leistungen von etwa 100.000 € erbracht – nun verlangte er nach dem Tod der Mutter eines Leistungsempfängers Auskunft über den Nachlass, da ein Pflichtteilsanspruch von ca. 1 Million € im Raum stand. Der Leistungsempfänger war als nicht befreiter Vorerbe eingesetzt, das Testament sollte aber aufgrund der behaupteten Sittenwidrigkeit nichtig sein.

Andreas Keßler, Rechtsanwalt, Steuerberater und Fachanwalt für Erbrecht und Steuerrecht aus Bad Vilbel bei Frankfurt am Main, weist darauf hin, dass das Landgericht Essen der Rechtsprechung des BFH folgt und mit diesem Urteil auch eine der letzten Fragen, die im Rahmen des Behindertentestaments noch offen sind, zulasten des Sozialhilfeträgers entscheidet. Soweit nämlich noch strittig ist, ob bei derartig hohen Nachlässen die Nutzung des Behindertentestaments sittenwidrig ist und das Testament wegen Verstoßes gegen § 138 BGB nichtig sei, nimmt das Landgericht eindeutig Stellung.

Soweit der BGH in Urteilen aus den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts darauf hingewiesen hat, dass sich diese Frage bei extrem hohen Nachlässen stellen kann, zweifelt das Landgericht Essen, ob es auf diese Grenze überhaupt ankommt und ob diese Grenze bei 1 Million € schon erreicht ist. Auch wenn der Pflichtteil ausreichen würde, sämtliche, zu Lebzeiten des Behinderten anfallenden Kosten abzudecken und so dessen Versorgung sicherzustellen, liegt kein taugliches Abgrenzungskriterium für die Annahme der Sittenwidrigkeit vor. Letztendlich wird der Möglichkeit, dass durch eine Gestaltung im Rahmen des Behindertentestaments, die ja vom Bundesgerichtshof ausdrücklich anerkannt worden ist, eine Sittenwidrigkeit erreicht wird, eine Absage erteilt. Begründet wird dies damit, dass das Behindertentestament ja immer zu einer Benachteiligung des Sozialhilfeträgers führt. Trifft dies aber zu, dann kann es auf die Größe des Nachlasses nicht ankommen. Da also das Testament wirksam war, kamen Pflichtteilsansprüche nicht in Betracht, dem Sozialhilfeträger war der Zugriff verwehrt.

Andreas Keßler


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