BAG: Erschütterung des Beweiswerts einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

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Jährlich werden in Deutschland etwa 75 Mio. „gelbe Scheine“ ausgestellt. Über deren prozessrechtliche Wirkung herrschte jedoch häufig Unklarheit. Die Rechtsprechung schreibt der AU die Beweiser-leichterung des Anscheinsbeweises zu. Nunmehr ist für einen Extremfall eine Klarstellung durch das Bundesarbeitsgericht erfolgt.

In dem am 08.09.2021 entschiedenen Fall war eine Arbeitnehmerin am Tag ihrer Kündigung des Arbeitsverhältnisses passgenau bis zum Ablauf der Kündigungsfrist arbeitsunfähig krankgeschrieben worden. Die Arbeitgeberin verweigerte daraufhin die Entgeltfortzahlung mit dem Argument, der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeit sei erschüttert, weil diese genau die Restlaufzeit des Arbeitsver-hältnisses abdecke. Die Arbeitnehmerin wandte dagegen ein, sie sei vor einem Burn-Out gestanden, weshalb die Krankschreibung zu Recht erfolgt sei. Die Vorinstanzen haben der Arbeitnehmerin recht gegeben und die Arbeitgeberin auf Entgeltzahlung für diesen streitigen Zeitraum, es waren zwei Wochen, verurteilt.

Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner Entscheidung klargestellt, dass die von der Klägerin behauptete Arbeitsunfähigkeit vom Ausgangspunkt her durch die Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bewiesen sei. Der Arbeitgeber könne diesen Beweiswert aber erschüttern, wenn er tatsächliche Umstände darlegt, die berechtigten Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit geben. Dies war hier durch die Übereinstimmung von Kündigungsfrist und Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gegeben. In einem solchen Fall liegt es dann am Arbeitnehmer, etwa durch Vernehmen des behandelnden Arztes, den Beweis seiner Arbeitsunfähigkeit beizubringen.

Die Entscheidung hat weitreichende praktische Folgen. Nicht selten drängt sich in vergleichbaren Fällen auf Arbeitgeberseite der Verdacht auf, der Arbeitnehmer wolle die Restlaufzeit des Arbeits-verhältnisses auf ihre Kosten „abfeiern“. Hier kann, wie bisher auch, das Anrufen des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen Klarheit bringen. Andererseits ist auf Arbeitnehmerseite gerade bei psychischen Erschöpfungszuständen oft ein Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis zu sehen. Arbeitnehmern ist nach dieser Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in vergleichbaren Fällen nunmehr dringend zu empfehlen, im Rechtsstreit wesentlich konkreter zu Art und Umfang der Erkrankung vorzutragen und ggf. auch detailliertere Atteste vorzulegen, die die Arbeitsunfähigkeit untermauern.

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 08. September 2021 – 5 AZR 149/21


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