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Zur Zulässigkeit von Bordellen im Mischgebiet

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Das Bundesverwaltungsgericht hat am 09.11.2021 entschieden, dass ein Bordell in einem Mischgebiet bauplanungsrechtlich nicht per se als unzulässig anzusehen ist (BVerwG, Urteil vom 9. November 2021, 4 C 5.20). Der Volltext der Entscheidung liegt mittlerweile vor. 

Es handelt sich bei dem fraglichen Betrieb um ein so genanntes Wohnungsbordell. Wohnungsbordelle (auch als Modell- oder Terminwohnungen bezeichnet) sind Prostitutionsstätten, die, anderes als Großbordelle in Rotlichtbezirken, nicht von außen als solche zu erkennen sind, etwa durch grelle Leuchtreklame. Sie sind vielmehr auf Diskretion angelegt und können sich auch in Gegenden bzw. Häusern befinden, in denen gewohnt wird. Es gibt zumeist keinen Bar- oder Wartebereich, keine Wellnesseinrichtungen und keine Rezeption; die Prostituierten werben auf einschlägigen Internetportal und geben hier ihre Telefonnummer an. Sie vereinbaren mit ihren Kunden telefonisch oder per SMS einen Termin und nutzen jeweils ein von ihnen angemietetes Zimmer zum Arbeiten. 

Das Urteil ändert die bisherige Rechtsprechung, weil bislang die ganz überwiegende Anzahl der Gerichte in Deutschland davon ausgegangen war, dass alle Bordellarten in einem Mischgebiet generell unzulässig sind. 

Mischgebiete im Sinne von § 6 BauNVO (Baunutzungsverordnung) dienen dem Wohnen und der Unterbringung von Gewerbebetrieben, die das Wohnen nicht wesentlich stören.

Im Mischgebiet zulässig sind:

- Wohngebäude, 

- Geschäfts- und Bürogebäude

- Einzelhandelsbetriebe, Schank- und Speisewirtschaften sowie Betriebe des Beherbergungsgewerbes,

- sonstige Gewerbebetriebe

- Anlagen für Verwaltungen sowie für kirchliche, kulturelle, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke,

- Gartenbaubetriebe,

- Tankstellen,

- Vergnügungsstätten.

Zu beachten ist, dass Bordelle und bordellartige Betriebe keine Vergnügungsstätten sind, sondern gemäß Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts als „Gewerbebetriebe aller Art“ angesehen werden, die grundsätzlich im Gewerbegebiet zulässig sind. 

Bordelle und bordellartige Betriebe wurden in der Vergangenheit regelmäßig nach einer typisierenden Betrachtungsweise aufgrund eines „milieubedingten Störpotentials“ als störende Gewerbebetriebe angesehen. Es kommt demnach nicht darauf an, ob es zu konkreten Störungen gekommen ist. Vielmehr genügt ein "abstraktes Potential für Störungen", das aufgrund der Besonderheiten des Gewerbes als gegeben angesehen worden ist. 

Denn bei gewerblicher Prostitution sei nach hergebrachter Rechtsprechung stets mit milieutypischen Begleiterscheinungen wie organisierter Kriminalität, Menschen- und Drogenhandel, ausbeutender Zuhälterei, Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, Verstößen gegen das Waffenrecht, Gewaltkriminalität bis hin zu Tötungsdelikten zu rechnen (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29.1.2015, OVG 2 B 1.14, juris Rn. 32; OVG Bautzen, Beschluss vom 28.6.2010, 1 A 659/08, juris; VGH München, Beschluss vom 10.6.2010, 1 ZB 09.1971, juris; OVG Koblenz, Urteil vom 11.5.2005, BRS 69 Nr. 35; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14.11.2005, OVG 10 S 3.05, juris Rn. 10 m.w.N.; OVG Berlin, Beschluss vom 9.4.2003, 2 S 5.03, juris; zu Milieustraftaten: BGH, Beschluss vom 4.7.2013, NStZ 2013, 580; Beschluss vom 23.2.2010, NStZ 2010, 391; OLG Celle, Beschluss vom 24.1.2013, StV 2014, 420 ff).

Im Verfahrensverlauf hatte die Eingangsinstanz, das Verwaltungsgericht Berlin, in einer vielbeachteten Entscheidung (VG Berlin, Urteil vom 24. Mai 2018, VG 19 K 195.16) der Klage einer Betreiberin einer Prostitutionsstätte auf Erteilung einer Bauerlaubnis für ihren Betrieb in einem Mischgebiet stattgegeben. Das Verwaltungsgericht Berlin hatte in seinem Urteil der herrschenden typisierenden Betrachtungsweise eine Absage erteilt und vielmehr das Vorliegen oder auch Fehlen konkreter Störungen - zu denen offenbar nichts vorgetragen worden war und die deshalb prozessual nicht vorlagen - als relevant angesehen. 

Die nächste Instanz, das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, folgte hingegen wieder der herkömmlichen Rechtsprechung, hob das stattgebende Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin auf und wies die Klage ab. Das Vorhaben sei unzulässig; ein bordellartiger Betrieb sei mit der im Mischgebiet zulässigen Wohnnutzung wegen der damit bei typisierender Betrachtung verbundenen "milieutypischen Unruhe" unvereinbar. Das im Jahr 2017 eingeführte Prostituiertenschutzgesetz, das u.a. hohe Anforderungen an den Betreiber einer Prostitutionsstätte stellt, ändere nichts an dieser Betrachtungsweise. Eine atypische Fallgestaltung, die eine Einzelfallbetrachtung erfordere, liege nicht vor (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29. Oktober 2019, OVG 2 B 2.18).

Das Bundesverwaltungsgericht hob nun dieses Urteil auf und verwies die Sache an das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zurück. Der Entscheidung ist zu entnehmen, dass das der Typisierung zugrundeliegende Störpotenzial vom Oberverwaltungsgericht fehlerhaft bestimmt worden ist, weil es den Begriff der "milieubedingten Unruhe" zu weit verstanden habe. Begleitumständen des Prostitutionsgewerbes, die keine städtebauliche Relevanz haben, könne mit Auflagen und ordnungsrechtlichen Mitteln begegnet werden. 

Die Unverträglichkeit von bordellartigen Betrieben und Wohnnutzung beruhe auf der Annahme, dass die Betriebe nach außen als solche in Erscheinung treten und dies gerade in den Abend- und Nachtstunden zu Störungen insbesondere durch den Zu- und Abgangsverkehr führe. Dieses typische Störpotenzial komme einem auf Diskretion angelegten, nach 22.00 Uhr geschlossenen so genannten Wohnungsbordell allerdings nicht zu, da es sich für den Betrachter nicht erkennbar von der sonst zulässigen Nutzung unterscheide und insbesondere keine Laufkundschaft anziehe. Die typisierende Betrachtungsweise kann auf einen Betrieb, der nicht nach außen in Erscheinung tritt und/oder nicht in den Nachstunden (ab 22:00 Uhr) betrieben wird, nicht zugrunde gelegt werden. 

Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit derartiger Wohnungsbordelle, die nicht von außen erkennbar und nicht nach 22:00 Uhr geöffnet sind, muss daher im Wege einer Einzelfallbetrachtung geprüft werden, was das Oberverwaltungsgericht unterlassen hat.

Die Sache muss nunmehr erneut vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg verhandelt werden. Es bleibt abzuwarten, wie das Gericht entscheidet. Festzuhalten ist bereits jetzt,  dass der Betrieb von Wohnungsbordellen in Mischgebieten ab sofort nicht mehr per se unzulässig ist.

Die typisierende Betrachtungsweise findet allerdings nach wie vor Anwendung auf Bordelle/bordellartige Betriebe (die von außen zu erkennen sind und auch nach 22:00 Uhr geöffnet haben). Das Bundesverwaltungsgericht stellt in seiner Entscheidung explizit klar, dass weder das Prostitutionsgesetz (ProstG) noch das Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) etwas an der Beurteilung prostitutiver Betriebe auf Grundlage der eingeschränkten Typisierungslehre geändert haben. 

Der Verfasser führt derzeit ein Berufungsverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein in einem vergleichbaren Fall und wird über den Verlauf dieses Verfahrens zeitnah berichten. 


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