Berufsunfähigkeitsversicherung: Anforderungen an die Verweisungstätigkeit im Nachprüfungsverfahren

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Der BGH hat in einer jüngst veröffentlichten Entscheidung Position zu vielen Fragen bezogen, die sich beim sog. Nachprüfungsverfahren in der Berufsunfähigkeitsversicherung stellen. Dabei geht es vor allem um die Anforderungen an die Verweisungstätigkeit.

Worum geht es?

Hat der Versicherer einmal die Berufsunfähigkeit des Versicherungsnehmers anerkannt, kann er sich von diesem Anerkenntnis nur durch ein sog. Nachprüfungsverfahren wieder lösen. Will der Versicherer nach Anerkennung der Berufsunfähigkeit beispielsweise den Versicherungsnehmer auf eine von diesem zwischenzeitlich ausgeübte, neue Tätigkeit verweisen, muss er nachweisen, dass diese neue Tätigkeit der bisherigen Lebensstellung entspricht, d. h., dass die neue Erwerbstätigkeit keine deutlich geringeren Kenntnisse und Fähigkeiten erfordert und in ihrer Vergütung sowie in ihrer sozialen Wertschätzung nicht spürbar unter das Niveau des bislang ausgeübten Berufs absinkt.

Welchen Fall hatte der BGH zu beurteilen?

In dem vom BGH entschiedenen Fall war eine Versicherte als Krankenschwester bei einem ambulanten Pflegedienst mit der Betreuung von pflegebedürftigen Personen in der stationären und ambulanten Pflege tätig. Sie arbeitete 40 Stunden pro Woche und verdiente brutto im Schnitt 1.359,31 EUR. Aufgrund mehrerer Bandscheibenvorfälle wurde sie berufsunfähig, der Versicherer erkannte die Berufsunfähigkeit an, und zahlte die BU-Renten.

Nach einiger Zeit nahm die Versicherte wieder eine Tätigkeit als Krankenschwester auf, diesmal aber mit ausschließlich administrativen und unterstützenden Tätigkeiten ohne körperliche Belastungen, einer 30-Stunden-Woche und einem monatlichen Bruttolohn von 1.050,00 EUR.

Der Versicherer nahm dies zum Anlass, die BU-Leistungen einzustellen. Nach seiner Auffassung war die Versicherte nicht mehr berufsunfähig, da die neue Tätigkeit der bisherigen Lebensstellung der Versicherten entspreche.

Die Versicherte war mit der Leistungseinstellung nicht einverstanden und erhob daher Klage gegen den Versicherer.

Wie entschied der BGH?

Der BGH entschied, dass der Versicherer nicht nachgewiesen hat, dass die neue Tätigkeit der bisherigen Lebensstellung der Versicherten entspricht und die Voraussetzungen der Berufsunfähigkeit weggefallen sind. Dabei stellte der BGH folgendes klar:

1. Auch wenn ein Versicherungsnehmer nur eine Teilzeittätigkeit ausübt, bleibt sein tatsächlichen, aus der Teilzeittätigkeit erzieltes Einkommen maßgeblich. Es ist also nicht etwa der Verdienst der nun 30 Stunden pro Woche tätigen Versicherten auf 40 Stunden hochzurechnen.

2. Ob ein „spürbares“ Absinken der Vergütung vorliegt, lässt sich nicht generell in Prozentzahlen ausdrücken. Als Richtwert ist zwar eine Einkommenseinbuße von mehr als 20 Prozent unzumutbar; jedoch ist zu berücksichtigen, dass sich prozentuale Einkommens- und Gehaltsminderungen – je nach Höhe des bisherigen Verdienstes – unterschiedlich belastend auswirken. Je niedriger das Einkommen, desto eher ist die Gehaltseinbuße unzumutbar; bei höheren Einkommen verhält es sich umgekehrt.

3. Der BGH lässt offen, ob zum Vergleich des in gesunden Tagen erzielten Lohns mit dem heutigen Einkommen das früher erzielte Einkommen auf den Zeitpunkt der Verweisung fortzuschreiben ist. Eine Entscheidung trifft der BGH hierzu nicht, da die Versicherte nicht konkret dazu vorgetragen hatte, was sie aktuell in ihrem früheren Job verdienen würde, wenn sie nicht berufsunfähig geworden wäre.

4. Eine Absage erteilte der BGH der Argumentation des Versicherers, die Lebensstellung der Versicherten sei heute gewahrt, weil sie schließlich mehr Freizeit habe und besondere Belastungen wie etwa Nachtarbeit entfielen. Dies gleicht, so der BGH, den Einkommensverlust nicht aus: „Von der zusätzlich gewonnenen Freizeit kann der Unterhalt nicht bestritten werden.“

Quelle: BGH, Urt. v. 07.12.2016, Az.: IV ZR 434/15

Dr. Finzel, Rechtsanwalt / Fachanwalt für Versicherungsrecht


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