BGH bestätigt Verwertbarkeit der EncroChat-Daten in deutschen Strafverfahren

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Stand der Rechtsprechung zu EncroChat und Ausblick für Beschuldigte

Im Frühjahr 2020 hat der EncroChat-Hack großes mediales Aufsehen erregt. Zwischen den französischen und deutschen Behörden wurden Daten ausgetauscht und zahlreiche Ermittlungsverfahren im Bereich der organisierten Kriminalität eingeleitet. 

Hinsichtlich der Verwertbarkeit der in Frankreich erhobenen Daten in deutschen Strafverfahren gab es rechtliche Bedenken. Nachdem sich nun der BGH geäußert hat, wurden auch das BVerfG und der EuGH ins Boot geholt. Weitere Entscheidungen stehen noch aus.


Allgemeines: Was ist EncroChat und wie gelangten die Daten an das BKA?

EncroChat war ein niederländischer Kommunikationsanbieter, der sich auf verschlüsselte Kommunikation spezialisierte und seinen Nutzern abhörsichere Handys mit entsprechender Software für 1.000 - 2.000 Euro anbot. (1)

Französische und niederländische Fahnder hatten Anfang April bis Ende Juni 2020 die Kommunikation von 32.477 Kunden (2) in 122 Ländern (3) abgefangen (Details hierzu sind als Staatsgeheimnis in Frankreich eingestuft worden), indem sie den Server infiltriert und 66.134 eingetragene SIM-Karten gefunden haben und die darauf enthaltenen Nachrichten entschlüsseln konnten. (I4)

Bei einer französischen Auswertung stellte sich heraus, dass knapp über 60 % der Nutzer schwer kriminell sind und z. B. organisierte Rauschgiftkriminalität und Delikte wie (Kriegs-)Waffenhandel, Korruption, Geldwäsche und Gewalt planten und/oder ausführten. (5)

Europol (europäische Polizeibehörde) übermittelte sämtliche Daten an das BKA (Bundeskriminalamt), darunter IMEI-Gerätenummern, E-Mail-Adressen von Kontakten, Datum und Uhrzeit der Kommunikation, Standorte der Funkmasten und Chatnachrichten - und das täglich!

Kurz darauf folgten zahlreiche Durchsuchungen durch die GSG-9 und das BKA in Berlin und Umgebung. (6)

Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt und das BKA stellten eine Bilanz der Ermittlungen gegen EncroChat-Nutzer auf: 2250 Ermittlungsverfahren wurden bundesweit seit Beginn der Übersendung der entschlüsselten Nachrichten von Europol an die deutschen Behörden eingeleitet (Stand: Januar 2022). Zudem konnten 750 Haftbefehle vollstreckt werden und 360 Ermittlungsverfahren beschleunigt werden. Das BKA stellte tonnenweise Drogen, 310 Schusswaffen und 12.200 Schuss Munition sowie illegale Vermögenswerte im Wert von insgesamt ca. 200 Millionen Euro sicher. (7)


Entwicklung der EncroChat Rechtsprechung

Seit Herbst 2020 sind deutsche Strafgerichte mit den EncroChat Verfahren beschäftigt - als eine der ersten Gerichte entschieden das Amts-, Land- und Oberlandesgericht Bremen über die Verwertbarkeit der ermittelten Daten. Sie entschieden sich für die Verwertbarkeit. Das OLG Hamburg, Rostock und Schleswig schlossen sich an.

Das OLG Bremen wies die Beschwerde eines mutmaßlichen Drogendealers ab, der sich gegen die Einbeziehung der Daten in seinem Strafverfahren wandte. In seinem Beschluss vom 18.12.2020 bezeichnete das Gericht die Datenübermittlung als einen spontanen Datenaustausch zwischen Polizeibehörden außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie über die Europäische Ermittlungsanordnung (kurz: RL-EEA). Dieser Datenaustausch sei durch Art. 7 des Rahmenbeschlusses 2006/960/JI des Rates vom 18.12.2006 über die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten der EU gedeckt und die erhobenen Daten können gemäß §§ 92b, 77h IRG (Gesetz über die Rechtshilfe in Strafsachen) in einem Strafverfahren verwendet werden, wenn der übermittelnde Staat zustimmt. (8)

Auch das OLG Hamburg entschied in seinem Beschluss vom 29.01.2021, dass die EncroChat-Daten verwertbar sind. Im dortigen Verfahren lagen die Voraussetzungen des § 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO (Strafprozessordnung) vor, der die Grundlage der Maßnahmen nach § 100b StPO (Online-Durchsuchung) darstellte. Die Daten, die durch die Online-Durchsuchung erlangt wurden, dürfen verwendet werden, um eine Straftat aufzuklären, die die Maßnahmen nach § 100b StPO oder § 100c StPO rechtfertigen. (9)

In seinem Beschluss vom 23.03.2021  entschied sich das OLG Rostock ebenfalls für die Verwertbarkeit der Daten. Das Gericht schloss sich vollumfänglich den Begründungen des OLG Bremen und des OLG Hamburg an. (10)

Ferner schloss auch sich das OLG Schleswig mit seinem Beschluss vom 29.04.2021 den Auffassungen der anderen OLGs an und betonte im dortigen Verfahren zudem, dass es sich nicht um sogenanntes “Befugnis-Shopping” handelte. Denn auf die Voraussetzungen der §§ 100a ff. StPO kam es gar nicht an, da sich die französischen Überwachungsmaßnahmen in erster Linie gegen den französischen Anbieter der Kryptohandys richteten und nicht gegen deutsche Endnutzer, sodass kein kollusives Zusammenwirken deutscher und französischer Behörden vorlag. (11) 

Als erstes Gericht hat das LG Berlin durch seinen Beschluss vom 01.07.2021 die Verwendung der durch Überwachung der Kommunikation erlangten EncroChat-Daten untersagt und eine Hauptverhandlung gegen einen 31-jährigen mutmaßlichen Drogendealer abgelehnt. Die Polizei habe ohne den erforderlichen konkreten Tatverdacht gegen den Beschuldigten ermittelt, nur weil er ein Kryptohandy besaß. Die Überwachung durch französische Behörden sei ein nicht gerechtfertigter Eingriff in das Telekommunikationsgrundrecht aus Art. 10 GG und das IT-Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 Abs. 1 GG und die Bereitstellung der Daten für die Verwendung durch deutsche Behörden sei ein weiterer eigenständiger und nicht gerechtfertigter Eingriff. Entgegen den Ansichten der OLGs (Bremen, Hamburg & Schleswig) bejahte das LG Berlin einen Verstoß gegen Art. 31 RL-EEA, da keine Unterrichtung der deutschen Behörden über die Kommunikationsüberwachung einer Person in Deutschland stattgefunden habe und diese auch nicht entbehrlich gewesen sei. (12)

Jedoch wurde dieses Urteil des LG Berlin durch Beschluss des KG Berlin am 30.08.2021 aufgehoben und zur Eröffnung eines Hauptverfahrens an eine andere Strafkammer verwiesen. Das Gericht stellte fest, dass die Daten in Frankreich nach deren Rechtsordnung rechtmäßig erhoben wurden und deshalb in Deutschland verwendet und verwertet werden dürfen. Dadurch, dass die Erkenntnisse spontan übermittelt wurden und dem § 100b StPO entsprachen, lag kein Verstoß gegen Art. 31 Abs. 1 lit. b) RL-EEA vor. Deutschland habe die Daten zudem verwendet und somit konkludent die Übermittlung genehmigt. (13)

Am 08.02.2022 folgte der langersehnte Beschluss des BGH, in welchem die Richter entschieden, dass die Daten der Kommunikationsüberwachung der EncroChat-Nutzer durch französische Behörden gerichtlich verwertbar sind. Der 6. Strafsenat schließt sich somit der obergerichtlichen Rechtsprechung an, ohne Einzelheiten in seiner Begründung zu nennen. (14)

In einer Pressemitteilung  des BGH vom 25.02.22 Nr. 038/2022 zum Beschluss vom 02.03.22 erklärte der 5. Strafsenat, dass die EncroChat-Daten in Anlehnung an § 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO zur Aufklärung schwerer Straftaten verwertbar sind. Die Verwertbarkeit richtet sich nach deutschem Recht, § 261 StPO. Es lag im vorliegenden Verfahren kein Verstoß der Beweiserhebung gegen menschen- oder europarechtliche Grundwerte oder gegen den ordre public sowie kein Verstoß gegen die RL-EEA vor, da durch die Verwertung der Daten eine Genehmigung Deutschlands vorlag. Auch von einem Verstoß gegen rechtshilferechtliche Vorschriften war nicht auszugehen. (15)


Welche Aussichten haben Beschuldigte - BVerfG und EuGH

Der BGH hatte sich für die Verwertbarkeit der Daten ausgesprochen, jedoch muss sich in den folgenden Monaten das BVerfG (Bundesverfassungsgericht) ebenfalls mit dieser Frage beschäftigen. Denn gegen die BGH-Entscheidung legte der Hamburger Strafverteidiger Gerhard Strate Verfassungsbeschwerde ein und rügte die Verletzung der Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG, Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 Abs. 1 GG  sowie der Art. 7 und 8 GRCh (Europäische Grundrechtecharta) und Art. 8 EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention). (16)

Auch die 25. große Strafkammer des LG Berlin möchte dem BGH nicht in seiner Rechtsprechung folgen und legt deshalb dem EuGH (Europäischer Gerichtshof) 14 Fragen zur Zulässigkeit der Datenerhebung und Verwertung im Vorabentscheidungsverfahren vor; solange setzt sie die Hauptverhandlung in einem EncroChat-Verfahren aus. (17)

Der Kölner Strafverteidiger und Dozent für Strafprozessrecht Prof. Dr. Ulrich Sommer legte ebenfalls Beschwerde beim BVerfG im Rahmen eines Hamburger Verfahrens ein. Auch er wandte sich gegen die Verwertbarkeit der Daten in deutschen Strafverfahren. (18)

Zusammenfassend gibt es sowohl viele Stimmen, die für eine Verwertbarkeit der Erkenntnisse aus dem EncroChat-Hack sprechen, hauptsächlich aus der Rechtsprechung, als auch eine Menge an Gegenstimmen, vordergründig aus der Lehre und der Strafverteidigung. 

Nun heißt es abwarten, bis sich das BVerfG oder der EuGH mit diesem komplexen Thema auseinandergesetzt hat. 


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Quellen



Foto(s): Foto von Markus Spiske gefunden auf Unsplash


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