BGH Dieselskandal - Anspruch auf Restschaden noch nicht verjährt

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Der BGH hat am 21.02.2022 entschieden, dass Käufern von vom sogenannten Dieselskandal betroffenen Neuwagen, deren Anspruch nach § 826 BGB verjährt ist, ein Anspruch gegen den Hersteller aus § 852 Satz 1 BGB zusteht.

Sachverhalt:

In den Gerichtsverfahren forderten die Kläger von VW Schadensersatz aufgrund des Kaufes eines neuen PKW.

Es ging einmal um einen Kauf aus April 2013 bzgl. eines VW Golf Cabrio TDI mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 189. Das Fahrzeug war bei Erwerb mit einer Software ausgestattet, die erkannte, ob es sich auf einem Prüfstand befand, und in diesem Fall vom regulären Abgasrückführungsmodus in einen Stickoxid-optimierten Modus wechselte.

Im anderen Fall aus dem Juli 2012 ging es um einen nagelneuen VW EOS 2.0 l TDI mit gleichem Motor der Reihe EA 189.

Ab September 2015 wurde über den sogenannten Abgasskandal der Motorenreihe EA 189 in den Medien berichtet. Beide Kläger ließen ein von der Beklagten entwickeltes Software-Update aufspielen.


Prozessverlauf:

Das Landgericht hat VW auf die im Jahr 2020 erhobene Klage wegen einer sittenwidrig vorsätzlichen Schädigung des Klägers unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung und Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs zur Rückzahlung des Kaufpreises nebst Zinsen und zur Erstattung vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten verurteilt.

Das Oberlandesgericht hatte die Klage abgewiesen und die Revision "hinsichtlich des Herausgabeanspruchs nach Eintritt der Verjährung gemäß § 852 BGB" zugelassen. Mit seiner Revision hat der Kläger, der eine wirksame Zulassungsbeschränkung in Zweifel gezogen hat, sein Klagebegehren im Umfang der zuletzt gestellten Anträge weiterverfolgt.

Im anderen Verfahren hatte das Landgericht die erst 2020 erhobene Klage abgewiesen, ebenso das Oberlandesgericht.

BGH:

Der Bundesgerichtshof hat in beiden Verfahren die Berufungsurteile insoweit aufgehoben, als die Berufungsgerichte einen Anspruch auf Schadensersatz auf der Grundlage des von den Klägern verauslagten Kaufpreises verneint und den Anträgen auf Feststellung des Annahmeverzugs nicht entsprochen haben. 

Soweit die Kläger Ersatz vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten begehrt haben, hat der BGH die klageabweisenden Entscheidungen bestätigt. 

Nach dem BGH kann die Revision nicht wirksam auf die Frage des Bestehens eines Anspruchs aus § 852 Satz 1 BGB beschränkt werden. Vielmehr sei in beiden Verfahren nicht nur zu überprüfen, ob die Berufungsgerichte einen Anspruch aus § 852 Satz 1 BGB rechtsfehlerfrei verneint hätten, sondern vorrangig auch, ob ihre Überlegungen zu einer Verjährung des Anspruchs aus § 826 BGB zuträfen.

Im einen Verfahren war von einer Verjährung des Anspruchs aus § 826 BGB schon deshalb auszugehen, weil die Klägerin im Jahr 2016 über die konkrete Betroffenheit ihres Fahrzeugs durch ein Schreiben unterrichtet worden war und ein Software-Update hatte aufspielen lassen. Im anderen Verfahren geht der BGH davon aus, dass dem Kläger ab dem Jahr 2016 der Vorwurf grob fahrlässiger Unkenntnis von der Betroffenheit seines Fahrzeugs vom sogenannten Dieselskandal gemacht werden kann. 

Da beiden Klägern die Klageerhebung noch im Jahr 2016 zumutbar gewesen sei, habe die dreijährige Verjährung des Anspruchs aus § 826 BGB mit dem Schluss des Jahres 2016 begonnen und sei am 31. Dezember 2019 abgelaufen.

Der BGH hat weiter entschieden, dass sich die Beklagte auf die Einrede der Verjährung des Anspruchs aus § 826 BGB berufen könne, obwohl sie auf diese Einrede in erster Instanz "verzichtet" habe. Diesen Verzicht habe das Berufungsgericht zutreffend nicht als endgültigen materiell-rechtlichen Verzicht gewertet. Richtig hätten beide Berufungsgerichte entschieden, dass es der Beklagten nach Treu und Glauben nicht verwehrt sei, sich auf die Einrede der Verjährung zu berufen.

Nach Verjährung des Anspruchs aus § 826 BGB stehe den Klägern in beiden Verfahren aber ein Anspruch auf Restschadensersatz nach § 852 Satz 1 BGB zu. 

Dieser Anspruch bestehe ohne Rücksicht darauf, dass die Beklagte vor Ablauf der Verjährung ohne Schwierigkeiten als Schädigerin hätte in Anspruch genommen werden können. Der Geltendmachung eines Anspruchs aus § 852 Satz 1 BGB stehe nicht entgegen, dass sich die Kläger nicht an einem Musterfeststellungsverfahren gegen die Beklagte beteiligt hätten.

Nach § 852 Satz 1 BGB müsse die Beklagte, die die Kläger durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs geschädigt habe, das von ihr Erlangte herausgeben. Erlangt habe die Beklagte zunächst einen Anspruch gegen den Kläger aus dem Kaufvertrag. Nach Erfüllung der Forderung aus dem Kaufvertrag durch den Kläger habe die Beklagte als Ersatz im Sinne des § 818 Abs. 1 Halbsatz 2 BGB den Kaufpreis erlangt. Im anderen Verfahren habe die Beklagte eine Forderung gegen den Händler aus Kaufvertrag erlangt. Ihre Bereicherung setze sich nach Erfüllung dieser Forderung am Händlereinkaufspreis fort, der geringer war als der von der Klägerin später gezahlte Kaufpreis und dessen Höhe zwischen den Parteien im konkreten Fall nicht in Streit stand.

 Nicht "erlangt" habe die Beklagte dagegen Leistungen an die von den Klägern vorgerichtlich mandatierten Rechtsanwälte und von der Klägerin verauslagte Finanzierungskosten, so dass sich der Anspruch aus § 852 Satz 1 BGB - anders als der verjährte Anspruch aus § 826 BGB - nicht auf solche Schäden erstrecke.

Von dem erlangten Kaufpreis bzw. Händlereinkaufspreis könne die Beklagte Herstellungs- und Bereitstellungskosten nach § 818 Abs. 3 BGB nicht abziehen, weil sie sich im Sinne der § 818 Abs. 4, § 819 BGB bösgläubig bereichert habe. Allerdings reiche der Anspruch auf Restschadensersatz aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB nicht weiter als der Anspruch auf Schadensersatz aus § 826 BGB, der grundsätzlich der Vorteilsausgleichung unterliege. Die Kläger müssten sich deshalb eine Nutzungsentschädigung für die von ihnen mit den Fahrzeugen gefahrenen Kilometer anrechnen lassen und könnten Zahlung nur Zug um Zug gegen Herausgabe der Fahrzeuge verlangen.

Da die Vorinstanzen – von ihrem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – keine Feststellungen zur Höhe einer anzurechnenden Nutzungsentschädigung getroffen haben, hat der VIa. Zivilsenat die Sachen zur Klärung der Höhe anzurechnender Vorteile an die Berufungsgerichte zurückverwiesen.


Fazit:

Unabhängig davon, dass VW und andere Hersteller auch bzgl. anderer Motorenreihen noch etwas zittern müssen, zeigt sich, dass noch nicht endgültig hinsichtlich aller Ansprüche Verjährung eingetreten ist. Man wird sehen müssen, wie hoch dieser Schaden genau ist. Hat man seinerzeit die Verjährungsfrist verstreichen lassen, so bietet es sich jetzt an, noch vor Ablauf der 10-Jahresfrist wenigstens zu prüfen, ob doch noch ein (ggf. reduzierter) Anspruch gegen VW besteht.

Man sollte nicht auch noch diese Frist verstreichen lassen.

Margit Bandmann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Verkehrsrecht


Die Kanzlei in Cottbus und Hoyerswerda beschäftigt mehrere Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte mit dem Schwerpunkt Verkehrsrecht sowie mehrere Fachanwälte für Verkehrsrecht.



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