BGH zum Mitverschulden bei Sturz auf Eis und Schnee

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Urteil des BGH vom 20. Juni 2013 zum Mitverschulden eines Fußgängers bei einem Schnee- und Glatteisunfall (III ZR 326/12)

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich in diesem Fall mit den Voraussetzungen befasst, unter denen das Mitverschulden eines Fußgängers, der bei einem Schnee- und Glatteisunfall verletzt wurde, die Haftung der für die Verkehrssicherheit verantwortlichen Stadt ausschließen kann. Eine vollständige Überbürdung des Schadens auf den Fußgänger gemäß § 254 BGB kommt laut dem Urteil des BGH nur äußerst selten in Betracht.

Der Sachverhalt:Eine Fußgängerin klagte gegen die Stadt auf Schadensersatz und Schmerzensgeld, da sie als Fußgängerin am 20. Dezember 2010 gegen 17.30 Uhr in der Innenstadt von A aufgrund von Glätte gestürzt war. Die Klägerin argumentierte, dass die Stadt ihrer Winterdienstpflicht zur Räumung und Streuung des Schnees nicht nachgekommen sei, wodurch es zu einem gefährlich glatten Zustand gekommen sei.

Das Oberlandesgericht (OLG) wies die Klage ab und argumentierte, dass das Mitverschulden der Klägerin den Anteil der Stadt an dem Unfall vollständig in den Hintergrund treten lasse. Die Klägerin müsse daher allein für die Schäden verantwortlich gemacht werden. Die Revision der Klägerin führte zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Rückverweisung der Sache an das OLG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung.

Die Gründe:Zunächst stellte der BGH fest, dass die Stadt ihre Winterdienstpflicht zur Räumung und Streuung am Unfallort verletzt hatte, was nicht bestritten wurde. Der BGH kritisierte jedoch die Ansicht des OLG, dass das Mitverschulden der Klägerin den Beitrag der Stadt zum Unfall vollständig in den Hintergrund treten lasse. Eine vollständige Überbürdung des Schadens auf eine Partei gemäß § 254 BGB sei nur in seltenen Ausnahmefällen gerechtfertigt. Das OLG-Urteil wies aus Sicht des BGH rechtliche Mängel auf.

Das OLG hatte angenommen, dass an der Unfallstelle eine Schneematschschicht von etwa 3 bis 4 cm lag, die zu einer erheblichen Glätte führte. Aufgrund dieses erhöhten Sturzrisikos ging das OLG von einem Mitverschulden der Klägerin an ihrer Verletzung aus, da sie sich ohne zwingenden Grund dieser Gefahr ausgesetzt hatte. Der BGH stimmte dieser Einschätzung grundsätzlich zu, bemängelte jedoch, dass das OLG das Mitverschulden der Klägerin am Unfall zu hoch bewertet hatte. Das OLG hatte nicht berücksichtigt, dass die Stadt durch die Verletzung ihrer Räum- und Streupflicht die hauptsächliche Ursache für den Unfall der Klägerin gesetzt hatte.

Der BGH betonte, dass das Verhalten eines Verkehrsteilnehmers, der sich nicht auf die Gefahren winterlicher Witterung einstellt und die erforderlichen Maßnahmen nicht ergreift, in der Regel ein Mitverschulden gemäß § 254 BGB begründet. Dies bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass der Beitrag des Geschädigten den Beitrag des Pflichtverletzers in den Hintergrund drängt. Andernfalls könnte dies dazu führen, dass bei besonders gefährlichen Situationen und schweren Verletzungen infolge der Vernachlässigung der Räum- und Streupflicht die Pflichtverletzung ohne Konsequenzen bliebe. Die Gesamtverantwortung für den Unfall würde auf den Geschädigten übertragen, obwohl der Verantwortliche eine entscheidende Rolle bei dem Schadensereignis gespielt hat.

Die Unterscheidung des OLG zwischen einem vorwerfbaren Verhalten der Klägerin und einem weniger schwerwiegenden Versäumnis der Stadt wurde vom BGH nicht als geeignetes Kriterium zur Abwägung der Verursachungsbeiträge angesehen. Im Allgemeinen ist davon auszugehen, dass derjenige, der die Räum- und Streupflicht verletzt, die wesentliche Ursache für einen Unfall ist, der aufgrund der nicht beseitigten Gefahr eintritt. Ein die Haftung des Verkehrssicherungspflichtigen ausschließender, weit überwiegender Verursachungsbeitrag des Geschädigten kann nur in Ausnahmefällen angenommen werden, wenn das Verhalten des Geschädigten von einer außerordentlich groben Fahrlässigkeit geprägt ist.

Foto(s): www.kanzlei-steinwachs.de


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