BGH zur Gewerberaummiete bei Corona-Lockdown: Mieter hat Anspruch auf Anpassung/Kürzung der Mietzahlung

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Mit Urteil vom 12. Januar 2022 – XII ZR 8/21 hat der BGH entschieden, dass Mieter von gewerblich genutzten Räumen für die Zeit einer behördlich angeordneten Geschäftsschließung während der COVID-19-Pandemie einen Anspruch auf Anpassung der vertraglich vereinbarten Miete gem. § 313 Abs. 1 BGB haben.

1. Covid-19-Pandemie stellt eine Störung der Geschäftsgrundlage dar

Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass im Fall einer Geschäftsschließung, die aufgrund einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie erfolgt, grundsätzlich ein Anspruch des Mieters von gewerblich genutzten Räumen auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB in Betracht kommt.

Der BGH hatte im vorliegenden Fall über den Lockdown I zu entscheiden, in dem eine Schließung vom 19. März 2020 bis einschließlich 19. April 2020 angeordnet worden war (abhängig vom Bundesland).

2. Anspruch auf Mietanpassung gem. § 313 BGB besteht „dem Grunde nach möglich“

Aufgrund der Störung der Geschäftsgrundlage leitet der BGH grundsätzlich unter bestimmten Voraussetzungen einen möglichen Anspruch auf Anpassung der Miete gemäß § 313 BGB aufgrund Betriebsschließung ab. Der Anspruch auf Anpassung ist– so der BGH- nicht durch die eingeführte Vorschrift  des Art. 240 § 2 EGBGB ausgeschlossen (Vorschrift zur Beschränkung des Kündigungsrechts).

3. Betriebsschließung kein Mangel des Mietgegenstandes, § 536 Abs. 1 S. 1 BGB

Die Betriebsschließung hat jedoch nicht zu einem Mangel des Mietgegenstands i.S.v. § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB geführt, weshalb auch der BGH ein Recht auf Minderung der Miete nach den speziellen mietrechtlichen Vorschriften gem. § 536 Abs. 1 BGB ablehnt.

4. Anpassung der Miete bei Betriebsschließung kein Automatismus, sondern Einzelfallprüfung 

Bei der Anpassung der Miete ist nach Ansicht des BGH eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, bei der sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind (§ 313 Abs. 1 BGB); ein Automatismus – so der BGH - zur Anpassung der Miete bei Betriebsschließung besteht hierbei nicht.

Ebenfalls kommt eine pauschale Betrachtungsweise z.B. im Rahmen einer pauschalen Anpassung der Miete je zur Hälfte (50/50) nach Ansicht des BGH auch nicht in Betracht. Eine pauschale Betrachtungsweise – so der BGH - wird den Anforderungen an dieses „normative Tatbestandsmerkmal der Vorschrift“ (Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls) nicht gerecht.

5. Kriterien zur Anpassung der Miete „der Höhe nach“

Als Kriterien hat der BGH lediglich Ansatzpunkte genannt, die für eine Beurteilung einer Anpassung herangezogen werden können. Gerichte erster Instanz können sich zumindest bei der Beurteilung, ob ein Anspruch auf Vertragsanpassung besteht daran orientieren.

Zunächst ist im Rahmen der Einzelfallabwägung festzustellen welche Nachteile dem Mieter durch (Kausalität) die Geschäftsschließung und deren Dauer entstanden sind:

  • Umsatzrückgang bezogen auf das konkrete Mietobjekt (nicht auf Konzernumsatz)
  • Welche Maßnahmen der Mieter ergriffen hat oder ergreifen konnte, um die drohenden Verluste während der Geschäftsschließung zu vermindern;
  • Höhe von etwaigen Kompensationsleistungen: Wirtschaftshilfen und Betriebsschließungsversicherung

Der BGH hat an die Vorinstanz (Oberlandesgericht Dresden Urteil vom 24.02.2021 - 5 U 1782/20 ) zurückverwiesen. Das Oberlandesgericht Dresden hat nunmehr zu prüfen, welche konkreten wirtschaftlichen Auswirkungen die Geschäftsschließung in dem streitgegenständlichen Zeitraum für die Beklagte hatte und ob diese Nachteile ein Ausmaß erreicht haben, das eine Anpassung des Mietvertrags erforderlich macht.

6. Konsequenz für die Praxis und offene Fragen

Gewerbliche Mieter, die von einer Schließung betroffen sind/waren, können auch rückwirkend einen Anspruch auf Anpassung des Mietvertrags und eine Herabsetzung der Miete prüfen. Dies ist insbesondere beim ersten Lockdown (März-April/Mai 2020), der unerwartet beschlossen wurde und hierbei kaum wirtschaftlichen Hilfen oder Hilfskredite (lediglich Überbrückungshilfen und Soforthilfe) geflossen sind.

Der vom BGH entschiedene Sachverhalt betraf lediglich den ersten Lockdown im Frühjahr 2020, der "plötzlich" aufgetreten ist. Die rechtlichen Ausführungen zur Anwendbarkeit des § 313 BGB für den zweiten wesentlich längeren Lockdown werden dabei die gleichen sein, sich aber in den Umständen des Einzelfalls unterscheiden. So waren die wirtschaftlichen Hilfen für den zweiten Lockdown deutliche umfangreicher, wurden jedoch deutlich verspätet ausgezahlt. Hingegen war ein erneuter Lockdown aufgrund der allgemein andauernden und bekannten Corona-Situation "erwartbarer". Auch wird wohl je nach Branche zu unterscheiden, so bspw. bei Restaurants, ob ein Außerhausverkauf als Schadensminderungsmöglichkeit möglich gewesen ist. 

Zudem wird es nun den einzelnen Gerichten überlassen sein, sämtliche Gesichtspunkte gegeneinander abzuwägen. Einheitliche Rechtsprechung ist aufgrund der jeweiligen Einzelfallentscheidung somit nicht zu erwarten. Eine Einzelfallprüfung wird in der Praxis nun ein hohes Maß an wirtschaftlichen Kenntnissen über Wirtschaftshilfen (Überbrückungshilfe I-IV, Novemberhilfe/Dezemberhilfe, KfW-Kredite) erfordern, um eine treffende Einzelfallentscheidung auch notfalls vor Gericht durchsetzen zu können. Die vom BGH angesprochenen Kompensationsleistungen in Form der beantragten Wirtschaftshilfen, waren z.T. in Form von Fixkostenhilfen (Insb. Überbrückungshilfen) als auch in Form von Umsatzersatz (Novemberhilfe und Dezemberhilfe) gezahlt worden.

7. Direkt von der Corona-Schließung/Betriebsschließung betroffenen Branchen

  • Restaurants, Hotels, Bars, Cafés, Diskotheken, Nachtlokale
  • Sporteinrichtungen (u.a. Fitnessstudios, Tanzstudios)
  • Friseure, Solarien, Kosmetikstudios, Massagesalons (nicht medizinisch)
  • Einzelhandel
  • Messen
  • Eventhallen
  • Kinos usw.

Herr Rechtsanwalt und Wirtschaftsjurist Felix Kushnir ist bundesweit tätig und hat sich auf das Zivil-, Wirtschafts- und Mietrecht spezialisiert. Weitere Informationen und Kontaktdaten unter: www.fk-kanzlei.de

Foto(s): Felix Kushnir


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