Corona-Krise und Kürzung des Kindesunterhalts in Polen

  • 6 Minuten Lesezeit

Die Coronavirus-Krise betrifft eigentlich uns alle. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, führen die mit der Bekämpfung der Epidemie verbundenen Einschränkungen und Restriktionen sehr oft zum Verlust von Arbeitsplätzen, Aufträgen oder Löhnen, was wiederum zu einer Verschlechterung der finanziellen Situation vieler Menschen führt und im schlimmsten Fall auch eine Existenzgefährdung bedeuten kann. Gleichzeitig müssen jedoch die bestehenden Verpflichtungen, wie z. B. Miete und Kredite, bedient werden. Zu solchen Verpflichtungen gehört auch die Kindesunterhaltspflicht.

Die Corona-Krise betrifft eigentlich die ganze Welt und die o. g. negativen Auswirkungen treten sowohl in Deutschland als auch in Polen auf. Wenn also ein in Deutschland (bzw. in Österreich) lebenden Unterhaltspflichtige den Unterhalt für das in Polen lebenden Kind bezahlen muss, kann er sich die Frage stellen, ob es möglich ist, den Unterhalt unter Hinweis einer erheblichen Krise zu kürzen. Wie sieht also die Möglichkeit aus, im Hinblick auf die derzeitige Corona-Krise den Kindesunterhalt in Polen zu kürzen? Wenn das unterhaltsberechtigte Kind in Polen wohnt, ist in Bezug auf die Unterhaltspflicht das polnische Recht anwendbar.

Nach polnischem Recht bestimmt sich die Höhe des Kindesunterhalts nach dem berechtigten Bedarf des Unterhaltsberechtigten und der finanziellen Leistungsfähigkeit sowie den Verdienstmöglichkeiten des Unterhaltsverpflichteten. Dies bedeutet, dass bei einem unterhaltspflichtigen Elternteil vor allem die Höhe seiner Vergütung, seine gerechtfertigte Lebenshaltungskosten, allgemeine finanzielle Lage sowie die Bewertung, ob der Unterhaltspflichtige seine Einkommensmöglichkeiten nutzt, berücksichtigt werden. Es ist erwähnenswert, dass das polnische Gesetz keine Mindest- und Höchstbeträge für den Kindesunterhalt festlegt. Insbesondere gibt es im polnischen Recht keine Entsprechung der sog. Düsseldorfer Tabelle, so dass die Höhe des Kindesunterhalts vom konkreten Einzelfall abhängig ist.

Nach dem Artikel 138 des polnischen Familiengesetzbuches (poln. Kodeks Rodzinny i Opiekuńczy), "im Fall der Änderung der Umstände kann eine Abänderung des Beschlusses oder des Vertrages über die Unterhaltspflicht beantragt werden". Es besteht kein Zweifel, dass der Verlust des Arbeitsplatzes, eine Gehaltskürzung, der Ausfall von Aufträgen, die Einstellung des Gewerbes, Kurzarbeit und andere Umstände, die wegen der Corona-Krise das Einkommen des Unterhaltsverpflichteten verringert haben, zur Änderung der Einkommensverhältnisse im Sinne des o. g. Artikels führen und gleichzeitig negativen Einfluss auf die Einkommensmöglichkeiten des Unterhaltsverpflichteten haben.

In diesem Fall ist es auch wichtig zu ermitteln, ob das verminderte Erwerbseinkommen nur vorübergehend oder ziemlich lange dauern kann. Die Corona-Krise und die damit verbundenen Einschränkungen führen leider zum Anstieg der Arbeitslosigkeit und wirken sich negativ auf den innerstaatlichen und internationalen Arbeitsmarkt und die globale Wirtschaftslage aus. Deshalb ist meistens eine Person, die ihren Arbeitsplatz oder ihren Verdienst verloren hat, nicht in der Lage, ihre Situation schnell zu verbessern (z. B. schnell eine neue Stelle zu finden, neue Firma zu errichten usw.). Es ist auch offensichtlich, dass die staatliche Beihilfe die negativen Auswirkungen der Corona-Krise nur in begrenztem Maße mildern kann. Das sind Argumente, die aus meiner Sicht bei einem gerichtlichen Verfahren in Polen wegen Abänderungsklage vorgebracht werden können.

Derzeit erscheint also aufgrund der Beeinträchtigungen des gesamten öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens eine Reduzierung der Unterhaltsverpflichtung in Polen sehr realistisch. Deswegen sollten die Unterhaltspflichtigen, deren Einkommensverhältnisse sich wegen der Coronavirus-Krise geändert haben, entsprechende Schritte ergreifen, um die Unterhaltshöhe zu kürzen. Man muss dabei beachten, dass Unterhaltsansprüche zunächst bestehen und sich nicht automatisch in einer Krisensituation ändern.

Das weitere Vorgehen für die Änderung der Unterhaltshöhe ist grundsätzlich davon abhängig, ob der Unterhalt vom Unterhaltsverpflichteten bisher freiwillig aufgrund der Vereinbarung mit dem zweiten (betreuenden) Elternteil (bzw. mit dem erwachsenen Kind) bezahlt wurde oder ob ein gerichtliches Unterhaltsurteil (bzw. gerichtlicher Vergleich) vorliegt. Im ersten Fall ist die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens vom Unterhaltsverpflichteten nicht nötig.

Ich würde dann empfehlen, schnellstmöglich Kontakt mit dem Unterhaltsberechtigten aufzunehmen und die Reduzierung der Unterhaltszahlung aufgrund der Krise anzukündigen und diese zu erklären. Wenn der Unterhaltsberechtigte damit nicht einverstanden ist, muss er eine Unterhaltsklage bei dem zuständigen polnischen Gericht erheben. In dem nachfolgenden Verfahren kann sich natürlich der Unterhaltspflichtige zur Klage sowie der geforderten Unterhaltshöhe äußern und mit allen nötigen Beweismitteln nachweisen, dass er aufgrund der Corona-Krise nicht mehr in der Lage ist, den Kindesunterhalt in der bisherigen Höhe zu bezahlen.

Anders sieht die Situation aus, wenn der Unterhaltsberechtigte über ein gerichtliches Urteil verfügt, das die Unterhaltshöhe bestimmt. In dem Fall besteht natürlich die Möglichkeit, den Unterhalt zu kürzen, ohne das gerichtliche Verfahren einzuleiten. Viel hängt von der Einstellung und dem Verständnis des Unterhaltsberechtigten ab. Wenn sich die beiden Seiten auf die neue Unterhaltshöhe aufgrund der aktuellen Situation verständigen, kann man hierzu einen außergerichtlichen Vergleich bei einem Notar abschließen. Sollte aber eine außergerichtliche einvernehmliche Lösung in absehbarer Zeit nicht möglich sein, muss der Unterhaltsverpflichtete schnellstmöglich Klage auf Kürzung des Unterhalts bei dem jeweiligen polnischen Gericht einreichen und somit das gerichtliche Verfahren einleiten.

Sonst wird das unterhaltsberechtigte Kind (bzw. dessen gesetzlicher Vertreter) die Möglichkeit haben, gegen den Unterhaltsschuldner Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zu ergreifen. In den Wochen seit Beginn der Epidemie und der Einführung der Einschränkungen haben sich mehrere Unterhaltsverpflichtete dazu entschieden, Abänderungsklage bei polnischen Gerichten einzureichen. Die Zahl solcher Fälle wird mit jeder Woche zunehmen, so dass ich empfehlen würde, mit solch einer Entscheidung nicht zu zögern, weil eine Verzögerung die gerichtliche Bearbeitungszeit der Klage erheblich verlängern kann.

Das Verfahren über die Kürzung des Unterhalts ist im polnischen Zivilverfahrensgesetzbuch und Familiengesetzbuch geregelt. Für Ansprüche auf Kürzung der Unterhaltshöhe, genauso wie bei Unterhaltsansprüche von Kindern, gilt das Amtsgericht als zuständig, in dessen Bezirk das Kind (und meist auch der Elternteil, der das Kind vertritt) seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Polen hat. Der Streitwert ist in dem Fall so hoch wie der Unterschiedsbetrag zwischen dem bisherigen Unterhalt und dem mit der Abänderungsklage verfolgten Betrag bezogen auf ein Jahr.

Die Gerichtsgebühr, die schon mit dem Eingang der Klage bei Gericht fällig ist, richtet sich nach der berechneten Streitwert. Beispielsweise beträgt die Gebühr bei einem Streitwert zwischen 1501 złotych (PLN) und 4000 złotych (PLN) – 200 złotych (ca. 47 Euro), bei einem Streitwert zwischen 4001 złotych und 7500 złotych – 400 złotych (ca. 93 Euro) und bei einem Streitwert über 7500 złotych bis zum 10.000 złotych – 500 złotych (ca. 117 Euro). Natürlich kann der unterhaltsverpflichtete Kläger Prozesskostenhilfe beantragen, wenn er die Gerichtskosten nicht selbst tragen kann. Bei einer Klage auf Kürzung des Unterhalts muss man auch Übersetzungskosten der vom Kläger vorgelegten Unterlagen berücksichtigen (in Polen betragen diese ca. 10 Euro pro Normseite – 1.125 Zeichen).

In der Klageschrift muss man alle nötigen Beweismittel nennen, die die Verschlechterung der finanziellen Lage aufgrund der Corona-Krise bestätigen. Meistens werden als Beweis Unterlagen wie beispielsweise die Kündigung des Arbeitsvertrages, eine Bescheinigung über Arbeitslosengeld, eine Einkommensbescheinigung sowie eine Aufstellung der Einnahmen und Ausgaben für letzte Monaten und deren Vergleich mit Zeitraum vor der Epidemie vorgebracht. In solch einem gerichtlichen Verfahren ist auch die persönliche Anhörung des Klägers (Unterhaltsverpflichteten) von großer Bedeutung. Der Kläger muss aber nicht vor dem polnischen Gericht angehört werden, sondern auch vor dem für seinen Aufenthaltsort zuständigen Gericht im Rahmen der internationalen Rechtshilfe.

Aufgrund der großen Zahl ähnlicher Fälle und des allgemeinen Problems der Verzögerung der Gerichtsverfahren in Polen kann sich die Bearbeitung der Klage vom zuständigen polnischen Gericht verlängern. In einem solchen Fall lohnt es sich, in die Klageschrift einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz (sog. Klagesicherung) mit Begründung aufzunehmen. Dann ist das Gericht dazu verpflichtet, diesen Antrag zuerst zu bearbeiten. So besteht die Möglichkeit, dass der Unterhaltspflichtige bereits im Laufe des Verfahrens Unterhaltszahlungen in geringer Höhe leisten wird.

Für die Abänderungsklage besteht in Polen keinen Anwaltspflicht. Eine Vertretung durch einen deutschsprachigen Rechtsanwalt ist jedoch im Verfahren vor einem polnischen Gericht wegen der polnischen Gerichtssprache und der polnischen Verfahrensvorschriften empfehlenswert. 

Meine Kanzlei spezialisiert sich im polnischen Familienrecht und steht Ihnen gerne in ganz Polen zur Verfügung.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Anwalt (Adwokat) Krystian Castillo Morales

Beiträge zum Thema