„Das Leben ist lebensgefährlich“

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Vor Kurzem führte ich eine überraschende Diskussion auf Twitter. Ein Regional-Politiker aus der Hauptstadt (Partei spielt keine Rolle) bat seine Follower, auch bei Fahrten mit dem Roller immer Schutzkleidung zu tragen. Die Intention seines Tweets war sicher edel, kurz zuvor hatte er – so berichtete er – einen schlimmen Unfall gesehen. Jedoch: Schutzkleidung auf einem Roller, ernsthaft jetzt? 

Ich fragte nach, ob er tatsächlich jene Lederklamotten meine, die beim Fahren von großen Maschinen üblich sind. „Was denn sonst?“ lautete eine der rüden Antworten seiner anderen Follower, die ihm inzwischen zahlreich empört zur Seite gesprungen waren. Schließlich müssten, so ein Argument, bei einem Unfall ja „wir alle“ zahlen. Gemeint waren die Beiträge für Kranken- und Unfallversicherungen. Die Sorge um den Einzelnen war also rasant der ums eigene Portemonnaie gewichen und einer Verärgerung darüber, dass da einer seine die persönliche Freiheit höher bewerte als gesellschaftliche Gruppenzwänge. Ich zog mich zurück, der Sturm der Entrüstung ging ohne mich weiter. 

Was hat das nun mit einem Anwalt, bzw. einem Rechtsportal zu tun? Folgendes: Richter entscheiden durchaus nach gesellschaftlicher Akzeptanz oder hier nach „allgemeinem Verkehrsbewusstsein“. Dabei kann die Haftungspflicht durch Mitverschulden nach § 254 BGB bei einem Unfall beispielsweise nicht nur von der Stärke des Zweirades abhängig sein, sondern sogar von dessen Marke. 

So hat das Landgericht Frankfurt entschieden, dass der Fahrer einer Harley-Davidson für den Unfallschaden nicht allein deshalb haftbar gemacht werden kann, weil er lediglich eine Army-Hose trug. Das Tragen von schützender Beinkleidung hielt das Gericht unter Harley-Davidson-Fahrern nämlich für allgemein nicht anerkannt, da diese „typischerweise eher cruisen“, was auch immer nun damit gemeint war. Hätte der Fahrer also eine starke BMW gefahren, wäre das Urteil laut dieser Argumentation ein anders gewesen. Es ist bei Haftungsfragen also von Bedeutung, wie die Gesellschaft sich verhält, bzw. was sie akzeptiert. 

Hier zitiere ich den Kollegen Jahnke in seiner ausführlichen Anmerkung zu dem o. g. Fall bei juris.de: Motorradschutzkleidung auf einem Roller würde in der Realität von dem meisten sicher noch als lächerlich wahrgenommen werden. (Die sozialen Medien spiegeln oft ein verzerrtes Meinungsbild wider, Twitter und Co können aber durchaus Trends setzen bzw. ankündigen.) Ist jedoch jemand mit Schlappen unterwegs und verursacht deshalb einen Unfall, die Versicherung hätte sehr gute Karten, den Schaden abzuwälzen. Schlappen gelten allgemein nicht mehr als verkehrstauglich.

Mein Tipp: Seien sie bei Haftungsausschlüssen bitte nie leichtgläubig! Versicherungen müssen oft auch für Schäden aufkommen, deren Haftung sie zunächst ablehnen. Nicht gleich verständnisvoll nicken dann. Die Rechtsverordnung verbietet Selbstgefährdung und Selbstbeschädigung ja nicht. Nur wer diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die nach Lage der Sache erforderlich erscheint, um sich selbst vor Schaden zu bewahren, muss den Verlust oder die Kürzung von Ansprüchen hinnehmen (BGH, AZ VI ZR 63/52). Und auch dann gilt: Der Rechtsweg ist niemals ausgeschlossen und die Rechtsprechung ständig in Bewegung.

Für mich ist die persönliche Freiheit ein hohes Gut, dass nicht von Versicherungen, Gesetzen und Verordnungen immer mehr eingeschränkt werden darf. Ja, sie ist mir wichtiger als ein Rundumschutz. Oder, wie Erich Kästner es so treffend formulierte: „Das Leben ist lebensgefährlich.“ Passen Sie gut auf sich auf! 

Herzlichst, Ihr 

Rechtsanwalt Gerhard Rahn 

(Urteil: Landgericht Frankfurt, AZ 2-01 S 118/17, Quelle: juris)



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