Einmal Straftäter, immer Straftäter? Nein, wehren Sie sich dagegen!

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Wenn ein Thema extrem brisant ist, hilft es mir zur Einschätzung oft, einen Vergleich zu bemühen (auch wenn Vergleiche nie gleichwertig sind), die Sachlage also in eine andere Situation zu verpflanzen.

Stellen wir uns bitte einmal Folgendes vor:

In jüngeren Jahren, als Student oder Studentin, kamen Sie in Kontakt mit Partydrogen. Bei einer Razzia wurden Sie erwischt, zeigten sich reumütig. Ihr Vergehen war relativ (!) gering, Sie erhielten eine recht kurze Haftstrafe, die zudem zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das ist Jahre her, inzwischen sind Sie ein erfolgreicher Arzt, operieren perfekt und Kollegen wie Patienten schätzen Sie. Auch, weil sie anderen in Ihrer Freizeit helfen, ohne Eigennutz.

Plötzlich taucht in der Klinik die Krankenkasse auf, will unter vier Augen mit Ihnen sprechen. Hinter verschlossener Tür teilt man Ihnen mit, dass man Ihren Arbeitgeber von Ihrem (früheren) Vergehen informieren werde. Sie wissen, was das bedeuten kann: Die Sache spricht sich rum, neidische Kollegen werden lästern: „Deshalb hat er also immer so viel Energie.“ Patienten beginnen zu zweifeln und am Ende wird Ihr Arbeitsvertrag nicht verlängert. Auch woanders gibt man Ihnen dann keine Chance mehr. Freunde wenden sich ab, der Ehepartner ebenso – ein Alptraum. Die Krankenkasse jedoch beharrt auf ihrer Entscheidung. Zum „Wohle der Patienten“, wie sie sagt.

Absurd? Ungerecht? Allerdings!

„Persönlichkeitsrecht? Nicht so wichtig…“

Nun der reale Fall: Henning F.* hat, wie wir wohl alle, als Jugendlicher festgestellt, dass Jugendliche ihn faszinieren. Allerdings hat sich das bei ihm, als er älter wurde, nicht geändert. Nie hatte er Sex mit Minderjährigen, ist aber einmal der Versuchung erlegen, sich Bildmaterial herunterzuladen. Das flog auf, F. wurde nach Paragraf 184b (Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornografischer Schriften) zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten auf Bewährung verurteilt. Bei dem geringen Strafmaß ist davon auszugehen, dass es sich hier maximal um Bilder von nackten Minderjährigen gehandelt hat. F. kooperierte vollständig und das Gericht urteilte, dass von ihm keinerlei Gefahr ausgehe. Was sich auch bewahrheitete. Acht Jahre später lernt er nun eine Syrerin mit vier Kindern kennen. Hilft ihr, erledigt Behördengänge, Transportfahrten, berät bei der allgemeinen Integration.

Das Jugendamt erfährt davon, besucht F. und teilt ihm mit, dass man die Frau von seinem früheren Vergehen informieren werde. F. bittet, dies nicht zu tun, will seine neue Wahlfamilie nicht verlieren. Doch das Jugendamt kennt keine Gnade. In letzter Minute stellt F. einen Eilantrag bei Gericht. Das urteilt wenig später tatsächlich: Zwar greife die Mitteilung in das Persönlichkeitsrecht des Antragstellers ein, der Umgang mit vier minderjährigen Kindern sei im Zusammenhang mit der (früheren) strafrechtlichen Verurteilung aber ein ausreichend gewichtiger Anhaltspunkt für die Annahme einer Gefährdung des Kindeswohls. Der Antrag von Hennig F. wird abgelehnt.

Kein Recht auf Neustart?

Wohlgemerkt, F. hat sich nie an Jugendlichen vergriffen, bereute seinen Fehler umgehend und war nicht mehr auffällig geworden. Sicher, an dieser Stelle wird es Leute geben, die fragen: „Muss denn erst etwas passieren?“ In Deutschland gilt: Ein Vergehen, das strafrechtlich gebüßt und aus dem Register gestrichen wurde, ist erledigt. Jeder hat dann das Anrecht auf einen Neustart, auch Menschen, die einmal Bilder von nackten Minderjährigen auf ihrem Rechner hatten und besonders bei einer solch positiven Prognose. Werfen wir diese Regel über Bord oder setzen sich Ämter über sie hinweg, werden Unzählige ihre Jobs verlieren, werden reihenweise Freundschaften zerbrechen und Ehen geschieden. Auch Suizide könnten stark zunehmen.

Vieles würde sich ändern. Nicht zum Guten.

Amtsmissbrauch!

Kinder müssen in besonderem Maße geschützt werden, keine Frage. Doch was sich das Jugendamt hier anmaßt, ist schlicht Amtsmissbrauch. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, ich rate Henning F. – und jedem/jeder in solch einer Lage – dringend zur nächsten Instanz. Man hat gute Chancen, sie zu gewinnen!

Gerhard Rahn, Fachanwalt für Strafrecht/Anwalt für Familienrecht

(*Name geändert, nach einem aktuellen Fall mit vom Verwaltungsgericht Münster, Az.: 6 L 211/19)


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